Tandl macht Schluss (Fazit 134)
Johannes Tandl | 29. Juni 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 134, Schlusspunkt
Freiheit soll die Freiheit der Andersdenkenden sein? Lächerlich! Eine Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) hat im Vorjahr für Deutschland ermittelt, wie viel Vertrauen unterschiedliche Berufe und Branchen genießen. Auf dem letzten Platz landete die Politik. Das ist deshalb wenig verwunderlich, weil es in keiner anderen Branche das Berufsbild mit sich bringt, vor allem die Mitbewerber zu beschädigen. Aber wer sich täglich gegenseitig rhetorisch niedermetzelt, hat das Vertrauen seiner Kunden wohl nicht verdient.
Die politische Kommunikation muss sich aber auch aus anderen Gründen ändern. Durch die Digitalisierung hat sich das Mediennutzungsverhalten nachhaltig verändert. Am besten erkennt man das, wenn man mit Unterdreißigjährigen über deren Medienkonsum spricht. Ganz egal ob Facharbeiter oder Hochschulabsolvent, die Jüngeren setzen sich bestenfalls noch bei Sportübertragungen vor den Fernseher und auch die Tageszeitung auf dem Frühstückstisch gibt es nicht mehr. Was es in sozialen Onlinekanälen wie Facebook, YouTube oder Instagram nicht gibt, findet nicht statt. Und auch innerhalb der Netzwerke dringen meist nur mehr jene Informationen durch, die es in die »persönliche Bubble« schaffen, weil sie begeistern, empören oder andere Arten von Betroffenheit auslösen.
Über die sozialen Netzwerke lassen sich Informationen erstmals ungefiltert massenhaft verbreiten. Damit ist den klassischen Medien die alleinige Interpretation des Geschehens abhanden gekommen. Erstmals in der Geschichte moderner Staaten herrscht echte Meinungsfreiheit, die nicht durch die Zahl der Plätze am Stammtisch als Gegengewicht zum medial verstärkten Politikersprech eingeschränkt ist.
Mit dieser Freiheit haben Despoten, wie der russische Staatspräsident Vladimir Putin, der in seiner »gelenkten Demokratie« unbedingt den Anschein eines Parade-Demokraten wahren will, riesige Probleme. Durch das Internet reduzieren sich für Putin nämlich auf einmal die Möglichkeiten, halbwegs legal den Deckel auf dem Kochtopf des zivilen Ungehorsams zu halten. Bis jetzt konnte er etwaige Demonstrationen mithilfe von Behördenschikanen und der systemtreuen Medien verhindern oder kleinhalten. Nach einem online verbreiteten Demonstrationsaufruf des Korruptionsaufdeckers Alexei Nawalny sind jedoch im März in 80 russischen Großstädten beinahe zeitgleich zehntausende Menschen auf die Straße gegangen. Damals wurde Nawalny verhaftet, aber bald darauf wieder freigelassen. Anfang Juni hat Nawalny neuerlich zu Demonstrationen aufgerufen. Diesmal wurden die Demos zwar genehmigt, allerdings – um die Teilnehmerzahl möglichst klein zu halten – unter schikanösen Auflagen. Daher hat Nawalny gegen die Behördenauflagen verstoßen und die Moskauer Demo kurzfristig an einen attraktiveren Ort verlegt; mit dem Ergebnis, dass nicht nur Nawalny, sondern auch zahlreiche seiner Mitstreiter verhaftet wurden.
Die digitale Meinungsfreiheit ist aber nicht nur ein Test für Scheindemokraten wie Putin oder Erdogan, sondern auch unsere westlichen Demokratien. So beschäftigen sich CDU und SPD in Deutschland derzeit intensiv mit der Möglichkeit, das Internet zu zensieren und die Betreiber sozialer Medien mit exorbitanten Strafen in die Verantwortung zu nehmen, um die Verbreitung von so genannten »Fake News« zu stoppen.
Die Politik ist auch wegen digital verbreiteter Hassaufrufe in einem Dilemma. Natürlich sind Gewaltaufrufe gegen Religionsgemeinschaften und Minderheiten nicht hinnehmbar. Doch die Frage, ob ein Gesinnungstatbestand wie etwa »Verhetzung« auf Dauer nicht Möglichkeiten zu Grundrechtseinschränkungen, wie sie in Russland oder der Türkei bereits vollzogen sind, eröffnet, muss erlaubt sein. In Deutschland wird gerade ausnehmend heftig über ein Netzdurchdringungsgesetz diskutiert, das dazu geeignet sein kann, die Opposition im Netz mundtot zu machen. Reife Demokratien wie jene der EU-Staaten sollten sich größte Sorgen um den Bestand der Meinungsfreiheit machen. »Fake News« oder hetzerische Äußerungen lassen sich nämlich auch mit den Mitteln der Zivilgesellschaft bekämpfen.
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Tandl macht Schluss! Fazit 134 (Juli 2017)
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