Vorwärts in die Vergangenheit
Volker Schögler | 29. Juni 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 134, Fazitportrait
Der Restaurator ist ein Erhalter und Wissender, er festigt, sichert und konserviert. Carl Maria Stepan schaltet das Handy am Wochenende ab. Er schätzt die Entschleunigung und er schätzt es, sich mit schönen Dingen zu beschäftigen. Sein Luxus. Und dient damit der Erhaltung des Ganzen. Unser Luxus.
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Wenn Carl Maria Stepan den hölzernen Christus hochhebt, ist er in guten Händen. Natürlich könnte man die Frage stellen, wer von beiden. Und aus irgendeinem Grund wüßte man es. Der Ort. Eine mächtige alte Linde empfängt den Besucher schon in der Einfahrt, die auf einen ehemaligen Parkplatz eines ehemaligen Gasthauses führt. Ein ehemaliger Stall, der aussieht wie ein ehemaliges Fabriksgebäude dient dem Restaurator als Atelier und Werkstatt. Alte italienische Filmregisseure könnten hier ihre neorealistischen Filme gedreht haben, französische ihre films noirs. Doch ist es keine Filmkulisse, ist es nicht bloß das hohe Lied der Romantik, das hier erklingt, sondern jenes der Handwerkskunst, der altmodische Atem der Erhaltung und Konservierung liegt in der Luft.
Im Reich der Düfte
Der Geruch. Holz ist vielleicht das einzige Material, dass alle Sinne anspricht und in ganz archaischer Weise reagiert zuerst die Nase. Dazu mischen sich die Aromen von Leinölfirnis, Ölfarben, altem Holz und Naturharzlacken. Das Material. Niemand mag Holz nicht; seine Schönheit schmeichelt dem Auge, die Haptik dem Tastsinn; sein Klang, etwa durch Instrumente, dem Ohr; sogar der Geschmackssinn ist nicht ausgeschlossen, wenn man an Süßholz oder Sirup denkt. Der Ton. Den gibt der Meister vor, il restauratore: Diplom-Restaurator Carl Maria Stepan. Der hochgewachsene Mann mit der bedächtigen Körpersprache und der sonoren Stimme läßt den durchschnittlichen Lebensläufer den Glanz und die Eleganz von Kompetenz erahnen: »Wenn wir etwa elendslange Leisten zu restaurieren haben, ist meine Anleitung an die Mitarbeiter: Nimm dir die erste halbe Stunde nur zum Studieren der Leisten und erst die zweite halbe Stunde zum Schnitzen.«
Egal ob Altar, Skulptur oder Möbelstück, so komme ein Restaurator zu seinem eigenen Stil. Verkürzt gesagt, lautet Stepans Stil am ehesten: Weniger ist mehr. Das wissen auch seine Auftraggeber zu schätzen, die sich überwiegend und in etwa zu gleichen Teilen aus Kirche und öffentlichen Auftraggebern zusammensetzen. Für die Vergabe von Restaurierungsarbeiten von Kirchenbesitz ist das bischöfliche Bauamt zuständig. Stifte und Klöster sind hingegen eigenständige Auftraggeber. Einer seiner größten Aufträge waren die Restaurierungsarbeiten für die Basilika in Mariazell. Solche Aufgaben werden von verschiedenen Restauratoren, je nach Fachrichtung und Spezialisierung, erledigt. Stepan: »Wir waren für alles, was aus Holz ist zuständig. Das waren also zum Beispiel der Hochaltar, die Orgel, die Kirchenbänke oder zwei Sakristeien. Dieser Auftrag ging mit Unterbrechungen über zwölf Jahre, von 1994 bis 2006.« Ein anderes Beispiel ist die St. Leonhard-Kirche in Murau, in der Carl Maria Stepan den Hochaltar, den Seitenaltar und die Kanzel restauriert hat.
Apropos Kanzel. Die Pfarrkirche in Hornstein im Burgenland trägt Stepans Handschrift, weil die Putzfrau mitsamt der Kanzel abgestürzt ist. »Das war sozusagen eine Luxus-Freilegung, denn beim Einsturz der braunen Kanzel kam eine barocke Marmorierung zum Vorschein, die wir dann freigelegt haben.« Dass der Mesner vorher noch die Kinder davon abgehalten hat, die Weihnachtslieder von der Kanzel aus zu singen, war das noch größere Glück. Ob es denn einfaches Glück war oder doch göttliche Vorsehung, ist eine andere Frage.
Verfall der Antiquitätenpreise
Womit wir beim Glauben wären, was in der Tat eine übliche, Fazitlesern hinlänglich bekannte, Abschweifung (im Sinne Harry Rowohlts, dem Paganini derselben) rechtfertigen würde. Dieser nach wie vor beinahe teillegitimierte Bestandteil des Fazitportraits wird aus glaubenskriegstechnischen Gründen entfallen müssen, weil einerseits Kreuzzüge nicht mehr zeitgemäß sind, und andererseits sich der Missionierungsgedanke genauso im freien Fall nach unten befindet wie die Preise für Antiquitäten. Und das seit zehn bis fünfzehn Jahren. Auch die sogenannte Generation der Erben trägt ihr Schärflein dazu bei. Stepan: »Oft werden nur ein, zwei Erinnerungsstücke behalten, und der Rest wird verkauft.« Damit wird das Angebot größer und die Preise schlechter, weil auch die Nachfrage ausbleibt. An der Börse würde das wohl »Kaufoption« heißen – übrigens unser Fazittipp des Monats. Auch für den Restaurator ist das eine unwillkommene Entwicklung. Wer läßt schon eine »alte« Kommode um 1000 Euro restaurieren wenn eine schöne am Markt unwesentlich mehr oder gar nur gleich viel kostet? Der Mission des Restaurators, der Kundschaft die Schönheit und hochwertige Verarbeitung einer Antiquität, insbesondere eines Möbelstücks, begreiflich zu machen, gleicht einem Kampf gegen Windmühlen und jeglichen Zeitgeist. Vielleicht ist es auch die mobile Gesellschaft, die, auch wenn sie gar nicht so mobil ist, keine hundert-Kilo-Möbel mehr will, weil das einen allfälligen Umzug im wahren Sinn des Wortes erschwert. Oder die ausgeprägte For-ever-young-Wegwerfgesellschaft, die, von Billigprodukten befeuert, immer neu und niemals alt will.
Nicht nur bei Touristen bekannt und beliebt ist die Fassade der Hofbäckerei Edegger in der Hofgasse. Dass das Eichenholz seit zwei Jahren wieder in altem Glanz erscheint, ist ebenfalls Carl Maria Stepan zu verdanken. Dabei handelte es sich aber um einen der seltenen privaten Aufträge. Zum Glück gibt es auch die öffentlichen. Wie zum Beispiel die Restaurierung des Laufgangs am Grazer Uhrturm (Stadt Graz) oder der Landstube, dem Sitzungssaal des steiermärkischen Landtags (Land) oder des Bodens im kleinen Saal des Palais Meran (Kunstuniversität). Letzteres ist eine äußerst attraktive wie auch aufwendige Arbeit, eine sogenannte Marketerie (Einlegearbeit) mit verschiedenen Holzarten wie Mahagoni, Ebenholz oder Rüster, um 1840 noch von Hand geschnitten (mit der Laubsäge), heute gelasert.
Ausbildung als Abenteuer
Eine eigene Geschichte wert ist der Ausbildungsweg von Carl Maria Stepan, dessen Vornamen sich übrigens von seinem Großvater herleiten, der von 1934 bis 1938 Landeshauptmann der Steiermark war. Während man heute an der »Angewandten« in Wien den Beruf des Restaurators erlernen kann, war das noch in den 1980er Jahren nicht so einfach. Umso breiter und facettenreicher gestaltete sich Stepans Ausbildungs- und Berufserfahrung. Seinen »Dipl.-Restaurator« machte er 1983/84 im Istituto l‘arte e il restauro in Florenz – was für den damals 23jährigen ziemlich mutig war, zumal er nach Italien zog, ohne italienisch zu können. Zugleich suchte er sich eine Werkstatt und landete bei Bartolozzi e Majoli, die wegen der neuen Sakristeiausstattung von Monte Casino berühmt waren. Stepan: »Ich bin dort so lange im Weg gestanden, bis ich aufgenommen wurde.« Und Geld verdiente. Es folgte eine Ausbildung an der Fachakademie Goering Institut in München. »In Italien hat man gelernt wie man alt macht, während es in Deutschland eher wissenschaftlich zuging.« Außerdem lernte er in München bei einer Blechblasinstrumenten-Restauratorin. Über ausgezeichnete Verbindungen gelangte Stepan sogar in die USA, in die Holzrestaurierung am Philadelphia Museum of Art, wo er wieder zwei Jahre blieb und bei Privaten mit Vergoldungen und Schnitzereien jobbte und bei einem Antiquitätenhändler arbeitete. 1989 rundete er seinen umfassenden Ausbildungsreigen mit einem Stipendium für die Attingham Summer School in Großbritannien ab. »Das war vor allem für Museumsleute gedacht und wir hatten die seltene Gelegenheit, mit dem Bus Landhäuser in England abzufahren, wozu man sonst niemals kommt. Außerdem sind so weltweite Kontakte entstanden.«
Im selben Jahr macht sich Stepan in der Grazer Kreuzgasse als Restaurator selbständig und ist seit 2005 in der Walterdorfer Hauptstraße. Sein umfangreiches Wissen stellt er auch als Beirat im Verein für Denkmalpflege in der Steiermark und in der IG freischaffender Restauratoren zur Verfügung. Und dieses Wissen hat es in sich. Grundsätzlich gilt: Je weniger Geld da ist, umso länger hält sich der Originalzustand eines Objekts. Und ungefähr alle 50 Jahre wird restauriert, so Stepan. Die Frage ist nur wie. Heute steht die Konservierung im Vordergrund, die Erhaltung des Objekts. Die Hauptfrage des Experten lautet aber auch: »Handelt es sich um ein Gebrauchsobjekt wie ein Möbelstück, um ein Kunstobjekt oder ein Anbetungsobjekt?« Bis in die 1970er und 1980er Jahre hat der Kirchenmaler – so es noch einen gab – einfach erneuert, sprich, drübergemalt oder vergoldet. Das Bundesdenkmalamt finanziert unter Umständen Probefreilegungen. »Dabei wird mit Skalpell und Mikroskop nachgeschaut, wo sich die Originalfassung findet. Es wird gefestigt und gesichert.« Wenn etwa einer gotischen Madonna in der Kirche ein Arm fehlt, der irgendwann später ersetzt wurde, wird nicht einfach in den gotischen Zustand rückgeführt. Der »falsche« Arm wird erhalten, weil es sich um ein Anbetungsobjekt handelt. Eine Rückführung in den Originalzustand würde man heute nur machen, wenn die Madonna ins Museum kommt.
Der Restaurator Stepan vergoldet nicht, das macht ein Vergolder, er restauriert »nur« eine Vergoldung. Und zwar so, dass man das merkt. »Im besten Fall schaut das Objekt aus, als wäre es nie überarbeitet worden. Es ist für mich das größte Lob, wenn der Kunde sagt, dass man nichts von der Restaurierung sieht.« Dabei hat der Restaurator für die Vergoldung vielleicht extra Hasenhautleim aus dem Gelenksknorpel des hinteren Sprunggelenks hergestellt. Oder Hausenblasenleim aus der Schwimmblase des Störs. Denn er ist der Letzte, der noch über das Wissen der Altvorderen verfügt und sich dem Verfall der Dinge widersetzen kann. Beide sind in guten Händen.
Diplom-Restaurator Carl Maria Stepan
8010 Graz, Waltendorfer Hauptstraße 23
Telefon +43 664 3332362
Fazitportrait, Fazit 134 (Juli 2017) – Fotos: Marija Kanizaj
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