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Ein Garten Eden in Graz

| 4. Oktober 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 136, Fazitportrait

Foto: Marija Kanizaj

Der Botanische Garten in Graz bietet alle Voraussetzungen für einen Krimi: Bauskandale mit eklatanten Baukostenüberschreitungen über zwei Jahrhunderte hinweg, gebrochene Versprechen und Forscherherzen, bis hin zu Selbstmord und Mord. Die Lektüre des 250-Seiten-Prachtbandes der Universität Graz und des Universalmuseums Joanneum »Garten des Wissens, 200 Jahre Botanischer Garten Graz« von 2011 gewährt tiefen Einblick in die fast 500-jährige Geschichte und die Sinnhaftigkeit von botanischen Gärten.

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Der Grazer Garten geht auf eine Schenkung von Erzherzog Johann aus dem Jahr 1811 zurück. Der sogenannte Joanneumgarten befand sich ursprünglich im Lesliehof, dem heutigen Museum in der Raubergasse. Da das Land Steiermark aber kein Interesse zeigte, den Garten weiterhin zu finanzieren, sondern lieber die Grundstücke verwerten wollte, wurde er der Universität und damit dem Staat übertragen. Nach kaiserlicher Genehmigung des Ankaufs eines Grundstücks der Familie Reininghaus dauerte es noch weitere dreizehn Jahre, bis der Garten in der Schubertstraße im Jahr 1889 eröffnet wurde. Ein allzu langer Leidensweg mit gebrochenen Versprechen für den damaligen Direktor des Gartens, Hubert Leitgeb, der 1888 nach dem Tod seiner Frau und seiner Tochter freiwillig aus dem Leben schied. Sein leitender Gärtner Johann Petrasch stemmte in der Folge die gesamte Übersiedlung der Pflanzen und die Neupflanzung im Universitätsgarten und wurde der erste Leiter desselben. Nach 55 Jahren Dienst am Garten ohne Urlaub wurde er als 78-jähriger in den Ruhestand versetzt. Ein Abschied, den er nicht verschmerzen konnte und nach zwei Jahren verstarb.

Der Garten als angedeutetes Paradies
»Die Bedeutung botanischer Gärten für die Forschung nimmt ab, aber jene für Bildung und Naturschutz nimmt zu«, meint der wissenschaftliche Gartenleiter, Christian Berg. Die Frage, ob Gewächshäuser in einer Zeit, wo es ohnedies möglich ist, die ganze Welt zu bereisen, überhaupt notwendig seien, wird eindeutig mit Ja beantwortet. Nun könnte man natürlich einwenden, dass die Betreiber, Verwalter und Eigner einer Sache, eines Produkts oder einer Dienstleistung ihrem eigenen Ding gegenüber nicht ganz unvoreingenommen sind, aber die mannigfaltigen und reflexiven Berichte, Analysen, Aufbereitungen und Schlußfolgerungen in oben genanntem Buch lassen erahnen, was Objektivität sein könnte, auch wenn es sie natürlich nicht gibt. Über letzteren Gedankengang läßt es sich an einem so kontemplativen Ort wie dem Grazer botanischen Garten besonders gut brüten. Doch auch der Zauber, der einem solchen Orte innewohnt, wird angesprochen. Er ist es, der den gewöhnlichen Flaneuer umfängt, der es endlich schafft, jene Stelle aufzusuchen oder wie die Grazer Architektin Karla Kowalski meint, jenen eingerahmten Weltausschnitt, diesen Versuch einer Deutung, wie die Welt wohl gemeint sein könnte, jene Gewächshäuser, die neben dem Heranzüchten von Pflanzen leichthändig die Idee eines angedeuteten Paradieses produzieren.

Foto: Marija KanizajGewächshäuser wie Wahrzeichen
Seit dem Sommer 1995 erheben sich die drei parabelförmigen Gebilde aus Acrylglas auf Aluminiumskeletten des Architekten Volker Giencke aus dem insgesamt 28.000 Quadratmeter  umfassenden ebenen Grundstück in der Schubertstraße, ab dem Baubeginn 1989 heiß umfehdet und wild umstritten. Es gehört damit zu den kleinsten Gärten seiner Art. Die Kontroverse zwischen Form und Zweck, gartentechnischem Anspruch und eigenwilliger Konstruktion sowie ungewöhnlicher Materialwahl, kombiniert mit innovativer, aber nicht friktionsfreier Technik zehrte und zerrte an den Nerven aller Beteiligten. Und das waren viele, sehr viele, bis zum damaligen Wissenschaftsminister Erhard Busek persönlich. Wie Christian Berg penibel recherchierte, eskalierte der Unmut der interessierten Öffentlichkeit und der veröffentlichten Meinung in Gestalt von Kronenzeitung und Großer Grazer Bildzeitung von Verschwendungsvorwürfen über Rückbauforderungen bis zum Ruf nach dem Staatsanwalt. Als der Hochbau im Herbst 1992 stand, hatte der Architekt aber bereits eine Professur an der Universität Innsbruck in der Tasche und realisiert seither mit seinem Architekturbüro regelmäßig spektakuläre Bauten. Die anfangs veranschlagten Kosten in der Höhe von 50 Millionen Schilling vervielfachten sich schließlich auf 225 Millionen Schilling, umgerecht 16,4 Millionen Euro, bezogen auf die Kaufkraft von 2010 sind das sogar 22,1 Millionen Euro. Bis heute steht auch noch das alte Gewächshaus von 1889, das laut einer Studie aus eben jenem Jahr 1995 abgerissen hätte werden sollen. Auch dieser Bau stand seinerzeit unter keinem guten Stern, weil es aus Geldmangel und trotz oder wegen Baukostenüberschreitung von Anfang an als Sparversion unvollständig, zu klein sowie heiztechnisch unzureichend gebaut und niemals saniert wurde. Zu allem Überfluss hatte es zwei Weltkriege zu überstehen, erlitt allerdings keinen Bombentreffer, doch drangen im Juni 1945 russische Soldaten ein und töteten die Rentnerin Thekla Sampt, die im Keller des Gärtnerhauses wohnte mit Schüssen und Bajonetten.

Denkmalschutz hemmt die Entwicklung
2008 wurde das Gewächshaus allerdings vom Bundesdenkmalamt unter Schutz gestellt, heute ist es eine Ruine, die nicht verwendet werden darf und allen im Weg steht, weil es gut besonnte zehn Prozent der Gartenfläche einnimmt, die der Garten insbesondere für die Verlegung des Alpinums bräuchte. Wie Christian Berg ausführt, fehlt es zwar nicht an Revitalisierungsideen für das alte Haus, aber an dem dafür notwendigen Geld: »Die Neukonzeption des Freilandes wurde zwar planerisch in Angriff genommen, konnte aber durch den ausbleibenden Abriss nicht sinnvoll umgesetzt werden. Wie beim Domino hängen die einzelnen Gartenteile planerisch zusammen – scheitert die Verlegung eines Quartiers, bleiben auch alle Folgeprojekte liegen.« Immerhin wurde auf dem 1994 dazugekommen sogenannten Postgrund im Nordwesten im Jahr 2007 ein Bauerngarten realisiert.

Zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit
Ein botanischer Garten soll in erster Linie der Forschung, der Lehre und dem Erhalt von Pflanzenarten dienen, aber auch ein Schnittpunkt zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit sein. Diese macht in Form von rund 20.000 Besuchern pro Jahr auch davon Gebrauch. Genaue Zahlen gibt es nicht, denn der Eintritt ist frei und für die bloße Ausgabe von Zählkarten lohnt sich kein Personalaufwand. Der Garten hat jeden Tag von 8 bis 16.30 Uhr, von 16. September bis 14. Mai bis 14.30 Uhr geöffnet. Jonathan Wilfling ist der technische Gartenleiter und er hat über seine Gärtner viel Kontakt zu Besuchern: »Es gibt Besucher, die jeden Tag kommen. Und wir sind auch immer wieder Ansprechpartner für Fragen aller Art über Pflanzen.« So war auch schon die Rettung zu Gast, mit einer Pflanze und der Frage, ob diese denn giftig sei, weil zwei Kinder im Krankenhaus sich ständig übergeben müssten, nachdem sie von der Knolle dieser Pflanze gegessen hatten; sie dachten es wäre Kren. Die Pflanze wurde identifiziert, es gab Entwarnung. So abwechslungsreich sein Berufsalltag ist, so traumhaft ist auch sein Arbeitsplatz im ersten Stock des Glashauses, nordseitig. Allerdings erst, seit die einzige Klimaanlage im Haus verhindert, dass der Raum im Sommer auf 50 Grad aufheizt. So wie auf Besuchertoiletten, war in der Planung auch auf ein Büro vergessen worden, und sein Raum war eigentlich als eines von vier Anzuchthäusern konzipiert, mit Aludach, ohne jegliche Isolierung. Ganz kleine, diesmal dazupassende Abschweifung: Winifred Wagner soll nach Bekanntwerden einer Fehlplanung im Bayreuther Festspielhaus – es wird kolportiert, man hätte auf die Künstlertoiletten vergessen – gemeint haben: »Wagnersänger sch… nicht.«

Foto: Marija KanizajMit allen Sinnen
Bildhaft gesprochen hat man die Möglichkeit, in den drei Gewächshäusern aufzugehen. Schon nach wenigen Schritten eröffnet sich eine völlig andere Welt. Die Gestaltung als Schaugewächshäuser vermittelt einen lebendigen Eindruck von Flora und Vegetation sowie Nutzpflanzen der Tropen und Subtropen. Wie eine transparente Haut spannen sich viertausend Quadratmeter Verglasungsfläche aus doppelschaligem Acrylglas über 1570 Quadratmeter Grundfläche. Man spaziert über Stege und Brücken im Kronenraum der größeren Bäume und erschließt die Gewächshäuser aus einer besonderen Perspektive. Die Schauhäuser repräsentieren die Klimabereiche Äquatorialklima (Tropenhaus), subtropisches Wechselklima (Sukkulenten- und Temperierthaus) und warm-gemäßigtesWinterregenklima (Kalthaus). Die meisten hier gezeigten Pflanzen wurden nach ökologisch-pflanzengeographischen Gesichtspunkten ausgepflanzt. Hier sieht man auch größere Pflanzenexemplare, die man sonst bestenfalls als kleine Topfpflanzen kennt. Die Auspflanzung bedeutet für die Gewächshausgärtner eine Herausforderung. Im Tropenhaus herrscht Regenwaldatmosphäre. Mit ungewohnt großen Blättern und zahlreichen Lianen im Kampf ums Licht. Allein zwanzig Palmenarten sind hier ausgepflanzt, darunter ältere Exemplare der Fischschwanzpalme, der Strahlenpalme und der Barbados-Königspalme, aber auch Vanille und Kaffee, riesige Victoria-Seerosen und Mimosen. Wer sich vorbereiten will, findet auf der Homepage Informationen über diverse Veranstaltungen oder auch Blütezeiten.

Kowalski identifiziert das Haus als Quelle für Feinstoffliches, wenn sie meint: Es bündelt wage Vorstellungen nach etwas Großatmigem, Unbekanntem und Schönem und ermöglicht ein Entkommen aus dem Alltag in das Besondere. Aus bekannten Bildern kippt es aus der Realität und hat damit eine tiefere Funktion erfüllt, weil es als Kunstblume das Spektrum des Unerwarteten, Sinnbildhaften, das Befreien von Gesetzen sucht und offene Geschichten in die Gedanken der Betrachter schreibt.

Botanischer Garten der Karl-Franzens-Universität
8010 Graz, Schubertstraße 59
Telefon +43 316 3805649

Montag bis Sonntag 8.00–14.30
15. Mai bis 15. September 8.00–16.30
24. Dezember bis 6. Jänner geschlossen
garten.uni-graz.at

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