Der stationäre Handel hofft. Vergeblich?
Redaktion | 30. November 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 138, Fazitthema
Nach Jahren der Flaute zieht das Weihnachtsgeschäft heuer endlich wieder an. Erstmals seit Jahren wollen die Steirerinnen und Steirer wieder mehr Geld für Geschenke ausgeben. Doch weil der Onlinehandel überdurchschnittlich wächst, droht der Aufschwung an den klassischen Einzelhändlern in den Einkaufsstraßen und Einkaufszentren vorüberzugehen. Text von Johannes Tandl.
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Mit durchschnittlich 370 Euro für Weihnachtsgeschenke geben die Steirerinnen und Steirer heuer um 10 Euro mehr aus als im Vorjahr. Damit erwartet die gesamte Branche ein leichtes Plus. Die KMU Forschung Austria hat aber nicht nur das Käuferverhalten der über-15-Jährigen untersucht, sondern auch bei den Betrieben nachgefragt. Und da wird aus dem deutlichen Plus im Weihnachtshandel schnell eine – hoffentlich – schwarze Null. Denn jedes siebente Weihnachtspaket wird bereits online gekauft. Und weil mehr als die Hälfte der Onlineumsätze von überregionalen Onlinehändlern stammt, bleibt vom konjunkturbedingten Plus so gut wie nichts übrig. Der stationäre Einzelhandel – das sind jene Kaufleute, die mit ihren Mieten und Investitionen die Innenstädte, aber auch Einkaufszentren attraktiv halten – zählt sogar zu den Verlierern des Weihnachtshandels.
Der Spartenobmann der steirischen Händler, Gerhard Wohlmuth, sieht vor allem in den immer beliebteren Gutscheinen sowie in den Umtauschmöglichkeiten der stationären Händler eine gute Chance auf ein Zusatzgeschäft. Die Beschenkten, so Wohlmuth, geben beim Einlösen der Gutscheine sowie beim Umtausch oft deutlich mehr aus als den ursprünglichen Geschenkwert. Im Ranking der meistgekauften Geschenke haben Gutscheine an Beliebtheit dazugewonnen. Dahinter liegen Bücher, Spielwaren und Bekleidung.
Ein regionaler Onlinehandel funktioniert nicht
Da mittlerweile 34 Prozent der Steirer zumindest fallweise online einkaufen, führt auch für die stationären Einzelhändler kein Weg an der Digitalisierung vorbei. Und so haben bereits 25 Prozent der Betriebe eigene Onlineportale und Webshops eingerichtet.
Wie schwer es für lokale Anbieter ist, gegen Zalando, Amazon oder Alibaba zu bestehen, hat erst kürzlich die österreichische Post gezeigt. Mit ihrem im April gestarteten Onlineportal »Shöpping.at« ist sie drauf und dran, den Megaflop des Jahres zu liefern. Obwohl Shöpping.at mit einem zweistelligen Millionenbetrag entwickelt und beworben wurde, blieb der Erfolg aus. Laut Angaben von Post-CEO Georg Pölzl gibt es auf Shöpping mittlerweile 1.000 Händler mit zwei Millionen Produkten. Offenbar haben selbst namhafte österreichische Händler, die zum Einstieg in das rotweißrote Onlineportal bewogen werden konnten, völlig unterschätzt, dass sie mit ihren gewohnten Kalkulationen den übermächtigen globalen Konkurrenten preislich weit unterlegen sind. Noch will man aber nicht aufgeben. Obwohl die Post das diesjährige Weihnachtsgeschäft auf Shöpping.at werblich völlig verschlafen hat, will sie im nächsten Jahr wieder mehr Geld in die Hand nehmen. Für den Post-Chef Pölzl wäre es bereits ein Erfolg, wenn ein Prozent der von der Post beförderten Pakete von der eigenen Onlineplattform stammt. Ursprünglich sollte Shöpping.at ja als österreichische Alternative zu Amazon positioniert werden.
Der österreichische Markt ist für die Händler einfach viel zu klein, um die hohen Kosten, die mit dem Aufbau einer leistungsfähigen IT und einer geeigneten Vertriebslogistik verbunden sind, abzudecken. Die Entwicklung regionaler digitaler Absatzkanäle ist betriebswirtschaftlich nicht zu rechtfertigen. Da erscheint es aus Sicht der Händler sinnvoller zu sein, auf die Online-Umsätze zu verzichten, obwohl sich Jahr für Jahr mehr Geschäft in das Internet verlagert.
Amazon definiert die Standards der Kundenzufriedenheit neu
Auch in Bezug auf die Kundenzufriedenheit gibt Amazon inzwischen völlig neue Standards vor, an die nicht nur Shöpping.at bisher nicht anknüpfen konnte. Und inzwischen ist auch nur mehr selten vom sogenannten »Beratungsdiebstahl« die Rede. Als Beratungsdiebe bezeichnen stationäre Händler jene Kunden, die sich zwar über ein Produkt informieren, dieses dann aber im Internet zu einem etwas günstigeren Preis kaufen. Doch immer öfter haben die Händler Probleme damit, ihre Mitarbeiter so detailliert zu schulen, dass sie mit den Produktbewertungen der »verifizierten Käufer« bei Amazon mithalten können. Daher gibt es inzwischen das umgekehrte Phänomen: 47 Prozent der Kunden der stationären Händler informieren sich inzwischen online.
Wer im Internethandel reüssieren will, muss in Dimensionen denken, die weit über Österreich hinausragen. Der oststeirische Online-Einzelhändler Roland Fink tut das. Mit seinem Onlineportal Niceshops.com verkauft Fink inzwischen von Feldbach aus europaweit Lederhosen, Gesundheitserzeugnisse, Delikatessen und sogar Swimmingpools. Besonders vielversprechend sind für Fink Erzeugnisse, von denen sich der Kunde durch die Bestellung im Internet mehr Bequemlichkeit erwarten darf als beim Kauf im stationären Handel. Das betrifft sperrige oder besonders schwere Produkte. Und tatsächlich verkaufen die »Niceshops« große Chargen an Blumenerde oder Kaminholz.
»Niceshops« erwirtschaftet heuer von Feldbach aus 30 Millionen Euro
Inzwischen erwirtschaftet Fink mit seinen Niceshops etwa 30 Millionen Euro jährlich. Mit einer Exportquote von 85 Prozent und einem jährlichen Wachstum von 30 Prozent beweist der Oststeirer eindrucksvoll, dass sich Österreich hervorragend als zentraler Standort für den internationalen Online-Einzelhandel eignet. Fink sendet inzwischen täglich mehrere Lkw-Ladungen der in Feldbach kommissionierten Niceshops-Pakete nach Italien, Deutschland, Frankreich oder Polen. In wenigen Tagen startet er in Graz einen neuen Absatzkanal, bei dem er die Vorzüge des stationären Handels mit jenen des Onlinehandels verbinden will. In einem Ladengeschäft in der Fußgängerzone bietet Fink Naturkosmetikprodukte an. Die Warenmuster sind mit RFID-Chips ausgestattet, die den Interessenten einen Einblick in sämtliche Onlinebewertungen, die über das Produkt verfügbar sind, geben. Der Käufer kann dann im Geschäft entscheiden, ob er das Produkt mitnehmen oder es sich nach Hause liefern lassen will.
Schlechte Einkaufslagen brechen weg
Obwohl der Onlinehandel zu Lasten des stationären Handels Marktanteile gewinnt, steht außer Frage, dass der klassische Einkauf auch in Zukunft eine dominierende Rolle spielen wird. Derzeit werden etwa 88 Prozent des Gesamtumsatzes in Einkaufsstraßen und Einkaufszentren sowie Supermärkten erzielt. Trotzdem wurden die innerstädtischen Einkaufsstraßen von einem tiefgreifenden Wandel erfasst. Während die Toplagen boomen, haben schlechtere Lagen keine Chancen mehr, Mieter zu finden. Die Immobilienwirtschaft geht inzwischen davon aus, dass die stationären Handelsflächen außerhalb der Einkaufszentren jährlich um etwa fünf Prozent zurückgehen werden. Dieser Niedergang lässt sich nicht nur in Graz – etwa in der Annenstraße oder der Jakoministraße – beobachten, sondern auch im an sich boomenden Umland, wo etwa im historischen Ortskern von Wildon zahlreiche Flächen leer stehen.
Die Markenindustrie kämpft um die Kontrolle der Absatzkanäle
In den 1a-Lagen steigen die Mieten sogar. Mit sogenannten Flagshipstores sorgt die Markenartikelindustrie für eine zusätzliche Immobiliennachfrage. Sie versucht damit, die Kontrolle über die Absatzwege zurückzugewinnen, denn sowohl der klassische Einzelhandel als auch der Onlinehandel setzen den Markenartiklern zu. Die Kaufhausketten weichen nämlich immer öfter auf Eigenmarken aus, die zum einen höhere Deckungsbeiträge versprechen als klassische Markenprodukte und zum anderen eine zielgruppengenaue Markenausrichtung erlauben. Und im Onlinehandel versuchen immer mehr Anbieter den regionalen Gebietsschutz, den manche Markenartikler ihren stationären Händlern bieten, auszuhebeln. Daher ist Roland Fink davon überzeugt, dass die Industrie versuchen wird, ihre Produkte unter Umgehung des Handels direkt an die Endkunden zu liefern. Vor allem in den USA betätigt sich Amazon schon heute als Absatzkanal für Hersteller, die ihre Endkunden direkt beliefern. In den meisten Einkaufszentren ist der Preisanstieg bei den Mieten hingegen zum Stillstand gekommen. Das hat vor allem mit dem massiven Flächenwachstum der letzten Jahre zu tun. Die Politik hat zwar erkannt, dass die ständige Erweiterung der Einkaufsmöglichkeiten auf der grünen Wiese die Innenstädte schwächt, doch wirksame Gegenmaßnahmen gibt es – wie das Beispiel von Seiersberg zeigt – kaum.
Im heurigen Weihnachtsgeschäft gehen 60 Prozent der steirischen Einzelhändler von gleichen Umsätzen wie im Vorjahr aus, 20 Prozent rechnen immerhin mit Steigerungen. Denen stehen aber ebenfalls 20 Prozent gegenüber, die von leichten Einbußen ausgehen. Wie sich der Weihnachtsumsatz dann tatsächlich entwickelt, hängt jedoch von der ständig steigenden Zahl der »Late Shopper«, also jener Personen, die ihre Geschenke erst unmittelbar vor dem Heiligen Abend besorgen wollen, ab. 40 Prozent wollen ihre Einkäufe erst wenige Tage vor Weihnachten besorgen. Obwohl heuer jedes siebente Weihnachtspaket online gekauft wird, kommt der hohe Anteil an »Late Shoppern« dem stationären Handel zugute. Denn wenige Tage vor Weihnachten wagen nur mehr besonders Mutige den Weihnachtseinkauf im Internet. Schließlich soll das Geschenk ja vor dem Heiligen Abend ankommen.
Fazitthema Fazit 138 (Dezember 2017), Foto: Kai Oberhauser
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