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Goldrausch in Nullen und Einsen

| 22. Dezember 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 139, Fazitthema

Foto: Markus Spiske

Durch den Höhenflug der Kryptowährungen wird nur mehr über die Goldgräberstimmung, die Bitcoin oder Ethereum ausgelöst haben, diskutiert. Dabei ist nicht die Kursexplosion, sondern die sogenannte Blockchain-Technologie, das dahinterliegende Protokoll, die eigentliche Sensation beim digitalen Geld. Erst sie ermöglicht die Überweisung ohne Banken und bald schon, über sogenannte »Smart Contracts«, dass mit dem Internet verbundene Maschinen andere Maschinen für ihre Leistungen bezahlen können. Text von Johannes Tandl.

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Seit seinem spekulativen Kursanstieg auf über 10.000 Dollar ist der Bitcoin in aller Munde. Doch die Bitcoinblase verstellt den Blick auf den wahren Durchbruch, den die Internetwährung der Welt gebracht hat. Mit dem digitalen Geld wurden nämlich erstmals Überweisungen ohne dazwischengeschaltete Banken möglich, die – ähnlich wie bei Bargeldzahlungen – direkt zwischen zwei Geschäftspartnern ablaufen.
Das ist nur wegen des Verschlüsselungsverfahrens, das hinter dem digitalen Geld steht, möglich. Es sorgt für dauerhafte Transparenz und das notwendige Vertrauen der Marktteilnehmer. Im Zentrum steht dabei die Blockchain, eine offene und dezentral organisierte Buchhaltung.

Die Blockchain-Wallet
Um mit Kryptowährungen wie dem Bitcoin bezahlen zu können, braucht man zuerst ein Konto für sein digitales Geld, die sogenannte Blockchain-Wallet. Obwohl Wallet eigentlich Geldbörse bedeutet, kann die Blockchain-Wallet natürlich viel mehr. Man kann sie sich als App auf das Handy oder den PC installieren. Sie speichert Bitcoins oder andere Kryptowährungen und ermöglicht es, die Coins an andere Wallets zu transferieren. Die Wallet ist also ein digitales Konto, das die Coins beinhaltet und die Transaktionen verwaltet.
Anders als beim Internet-Banking muss man bei seinen Überweisungen jedoch weder Namen noch Adresse angeben. Ein Bitcoin-Konto besteht nämlich nur aus zwei Teilen: einer Kontonummer und einem geheimen Code, der dazu passt. Dabei werden sowohl die Kontonummer als auch der Code zufällig generiert.

Wie funktionieren Überweisungen
Bitcoins kann man bei unzähligen Bitcoinhändlern kaufen. In Österreich gibt es sie sogar schon als Bitcoinbons bei 4.000 Tankstellen und Trafiken, die man auf seine Wallet hochladen kann. Mit den Bitcoins kann man nun direkt an den Empfänger Geld überweisen. Dazu tippt man wie beim Onlinebanking den Betrag und die Kontonummer des Empfängers in die App ein. Die Wallet erstellt die Überweisung und unterzeichnet sie mit der digitalen Unterschrift des Users.
Die digitale Unterschrift kann jedoch mehr als eine normale Signatur auf Papier. Sie ist nämlich, solange das Passwort zur Wallet stark genug ist, fälschungssicher. Die digitale Signatur beweist also eindeutig, dass nur der Unterzeichnende eine Überweisung getätigt haben kann. Die App schickt im nächsten Schritt eine Kopie der Überweisung an die sogenannten Bitcoin-Minen.

Was tun die Bitcoin-Minen?
Die Abrechnung der Transaktionen erfolgt durch sogenannte Bitcoin-Minen. Das sind Tausende privat betriebene Rechnerfarmen. Sie sind die digitalen Buchhalter im Bitcoin-Netzwerk und nehmen – ohne Zahler und Empfänger zu kennen – die Funktion der Banken wahr. Sie befinden sich miteinander im scharfen Wettbewerb, denn nur der schnellste Miner wird für seine Arbeit bezahlt. Die Miner zeichnen alle innerhalb von zehn Minuten angelaufenen Bitcoin-Transaktionen auf und fassen sie mit Hilfe komplexer mathematischer Algorithmen zu einer Liste zusammen. Diese Liste heißt »Block«. Für die benötigte Rechenleistung sind gewaltige Computer- und Leitungskapazitäten nötig. Die Funktion der Miner besteht also darin, die Verbuchung sämtlicher Vorgänge innerhalb eines Blocks zu bestätigen. Ein bestätigter Block wird versiegelt und verschlüsselt und als sogenannter »Hash« in ein virtuelles »Kontenbuch« übertragen. Nur der Miner, der damit als Erster fertig ist, wird entlohnt. Er sendet den fertigen Block an alle anderen Miner, die ihn mit dem vorangegangenen Block verketten. Auf diese Weise entsteht die sogenannte Blockchain.

Nur die Bitcoin-Minen schaffen neue Bitcoins
Von den Tausenden Minen kann also jeweils nur eine den Block versiegeln. Die Minen arbeiten zwar eng zusammen, doch wenn es darum geht, einen Block abzuschließen, liefern sie sich alle zehn Minuten ein brutales Rennen. Für jeden erfolgreich erzeugten Hash erhält der schnellste Miner 12,5 Bitcoins. Weil dieses Geld neu geschöpft ist, ist die sonst irreführende Bezeichnung »Miner« also durchaus zutreffend. Die Blockchain bekommt durch den neuen Hash ein Update und jeder erfährt davon. Erst durch die Verkettung des neuen Blocks mit der Blockchain wird die Transaktion abgeschlossen und der Betrag auf der Wallet gutgeschrieben bzw. abgebucht.
Mit dem Anreiz von 12,5 neu geschöpften Bitcoins je Block wird die Transaktionsabwicklung also belohnt. Diese Belohnung halbiert sich jedoch alle 210.000 Blöcke. Neue Bitcoins entstehen nur durch neue Blöcke, die der Blockchain angefügt werden. Durch die ständig sinkende Entlohnung der Geldschöpfer ist die maximale Geldmenge auf 21 Millionen Bitcoins begrenzt. Das heißt, je mehr Transaktionen stattfinden, desto knapper – und wertvoller – werden die Coins. Das hat natürlich Spekulanten auf den Plan gerufen. Nur deshalb lassen sich die aktuellen Kurse der Kryptowährung erklären.

Warum das System der Blockchain so bestechend ist
Die Blockchain gilt schon heute als eine der größten Erfindungen des digitalen Zeitalters. Um das Potenzial des Blockchain-Prinzips für Unternehmen zu erfassen, muss es losgelöst vom Bitcoin betrachtet werden. Mit Hilfe der Blockchain lassen sich riesige Datenmengen mittels Verschlüsselung und Zugriffsverwaltung kontrollieren, verifizieren und unternehmensübergreifend analysieren. Schwachstellen in der Lieferkette, im Zahlungsverkehr oder anderen Geschäftsprozessen werden automatisch aufgespürt, was wiederum eine deutliche Kostensenkung für alle Finanztransaktionen, aber auch deren Reporting und Verwaltung ermöglicht. Die Verbuchung erfolgt mit der Transaktion, was die Erstellung von Berichten oder Jahresabschlüssen beschleunigt.

Die Hürden für die Blockchain-Einführung sind hoch
Doch noch bestehen Probleme bei der Umstellung der IT auf die Blockchaintechnik. Da sind einmal die gewaltigen Datenmengen, die durch die ständig länger werdende Blockchain bewältigt werden müssen. Auch die unternehmensinterne Verwaltung der Berechtigungen sowie die Integration einer Blockchain-IT in die bestehende unternehmensinterne Legacy, die der IT meist nur eine operative Rolle zuschreibt, sind herausfordernd. Mit der Blockchain-Einführung wird die IT jedoch zum strategischen Instrument der Unternehmensführung. Daher sehen die meisten IT-Chefs (CIOs) die Veränderung der Unternehmenskultur als große Herausforderung an.

Die Wirtschaft setzt auf geschlossene Blockchain-Räume
Die Blockchain ist zudem nicht anonym. Inzwischen finden Spezialisten schon mit ein wenig Aufwand heraus, wer hinter einem Konto steckt. Das hat den Vorteil, dass die mit Bitcoins abgewickelten illegalen Darknet-Transaktionen wohl vor einem unfreiwilligen Ende stehen dürften. Denn die Blockchain vergisst nicht. Sie ist eine Art offen einsehbare Buchhaltung, die mit jeder Transaktion umfassender wird, weil sie auf sämtlichen Rechnern im Netzwerk abgelegt wird.

Für Banken und große Unternehmen ist das natürlich nicht akzeptabel. Daher gehen sie einen anderen Weg. Privatsphäre ist für sie die tragende Säule ihrer Businessmodelle. Daher schaffen sie für sich eigene Blockchain-Versionen. Statt eines offenen Netzwerkes wird eine spezifische Blockchain in einem geschlossenen Raum geschaffen, in den nur Zutritt hat, wer dazu eingeladen wird. Das hat den Vorteil, dass die Blockchain nicht unendlich oft kopiert und abgelegt werden muss. Dennoch wirkt die ewige Transparenz der Transaktionen auch in einem solchen geschlossenen System vertrauensfördernd. Und zusätzlich gibt es ein Vertragswerk, das sämtlichen Anwendern Privatsphäre garantiert.

Geschlossenes Blockchain macht die Technologie wesentlich schneller
Weil die offene Blockchain immer länger wird und ständig mehr Daten produziert, wird sie leider immer langsamer. Kreditkartengiganten wie Visa verarbeiten pro Sekunden zigtausende Transaktionen. Doch die offene Bitcoin-Blockchain schafft gerade einmal sieben Transaktionen pro Sekunde. Damit ist klar, dass sie für den Zahlungsverkehr eines ganzen Landes oder auch nur eines größeren Einkaufszentrums völlig ungeeignet ist. In der offenen Blockchain entsteht Vertrauen dadurch, dass die Transaktionen auf allen vernetzten Rechnern geteilt werden. Das ist jedoch ineffizient und kostet zudem unglaublich viel Energie. Schon heute machen die Stromkosten über 90 Prozent der Ausgaben von Bitcoin-Minern aus.
Bei den geschlossenen Blockchains der Banken und der Industrie wird das Vertrauen, wie im Geschäftsleben üblich, dadurch geschaffen, dass sich die Teilnehmer kennen und gegenseitig bewerten. Kein Kaufmann wird mit jemandem Geschäfte machen, von dem er befürchten muss, dass er die Rechnungen nicht bezahlt. Und niemand wird bei einem Händler einkaufen, von dem er weiß, dass er nicht ordnungsgemäß liefert. Dieses induzierte Vertrauen findet auch bei geschlossenen Blockchains Anwendung.

Die unstrukturierte Entwicklung erschwert den großflächigen Roll-up
Und noch ein Problem gibt es. Die weitere Entwicklung der Blockchain-Technologie verläuft völlig unstrukturiert. Da es keine In-stanz gibt, die über eine Art Richtlinienkompetenz verfügt, werden für sämtliche Probleme parallele Lösungsversuche in Angriff genommen. Dieses Vorgehen wird in Zukunft zwar viele Probleme lösen und womöglich weitere disruptive Sprünge ermöglichen. Die Strukturlosigkeit der Entwicklung wird jedoch selbst zu einem Problem. Ohne ordnende Hand könnte es nämlich bald Tausende Blockchain-Standards geben.

Erst »Smart Contracts« verhelfen der Blockchain zum Durchbruch
Dennoch ist beinahe die gesamte IT-Welt davon überzeugt, dass sich die Blockchain als globales monetäres Protokoll durchsetzen wird. Denn erst sie bildet die technische Basis für die sogenannten »Smart Contracts«, mit denen selbst Maschinen ihre Dienstleistungen ohne langwierige Fakturierung gegenseitig abrechnen können. Die Kryptowährung Ethereum wurde speziell für »Smart Contracting« entwickelt. Denn erst die Blockchain ermöglicht eine monetäre Abwicklung direkt zwischen den Geschäftspartnern, ohne eine Zwischeninstanz, ohne eine Bank. Dabei ist es völlig egal, ob es sich um physische oder juristische Personen handelt – oder um Maschinen, die von Menschen besessen werden. Theoretisch wären sogar technische Einheiten, wie etwa fahrerlose Taxis möglich, die sich selbst gehören. Die Kursentwicklung der Kryptowährung Ethereum verläuft jedoch ähnlich verrückt wie jene des Bitcoin. Daher ist auch sie für eine längerfristige Preisbildung völlig unbrauchbar.

Bringt IOTA den Durchbruch  für das Internet der Dinge?
Das Internet der Dinge heißt auf Englisch »Internet of Things« oder kurz »IoT«. Ein deutsches Unternehmen, die IOTA Foundation, will nun mit der nach Bitcoin und Ethereum dritten Blockchain-Generation das IoT revolutionieren. Experten betrachten IOTA inzwischen bereits als neues eigenständiges Konzept, das mit der Bitcoin-Blockchain nur mehr die Idee des sicheren Protokolls gemein hat, während viele Schwachstellen beseitigt wurden.
Das durch die gewaltigen Datenmengen verursachte Problem der individuellen Skalierung konnte bei IOTA durch einen »Tangle« gelöst werden, der die Blöcke nicht mehr in einer Kette aneinanderreiht, sondern netzartig verwebt. Daher kann man bei IOTA eigentlich auch nicht mehr von einer Blockchain sprechen. Als Vergleich aus der Elektrotechnik kann man die IOTA-Blockchain mit einer Parallelschaltung vergleichen, während die Bitcoin-Blockchain wie eine Reihenschaltung zu betrachten ist. Im gleichen Verhältnis wie die Anzahl der Transaktionen wächst bei IOTA die Kapazität des Netzwerkes. Damit gilt die größte Bitcoin-Schwachstelle als beseitigt.

IOTA wurde für das IoT entwickelt und kommt ohne Miner aus
Die lineare Kapazitätserweiterung wird durch die Art und Weise möglich, mit der bei IOTA Transaktionen abgewickelt werden. Eine Transaktion gilt nämlich bereits als durchgeführt, wenn sie von mehreren Teilnehmern – und nicht mehr von Minern – bestätigt wird. IOTA-Transaktionen laufen zweistufig ab. In einem ersten Schritt bestätigt und verifiziert die IOTA-Wallet im Hintergrund zwei andere, völlig fremde Transaktionen. Dadurch erfolgt die Authentifizierung für eine eigene Transaktion. Die Transaktion erfolgt über die Berechnung einer sogenannten »Nonce« (Number used once) und kommt völlig ohne Minen aus.
IOTA wurde für die Kommunikation von Maschinen untereinander entwickelt. Die Zahl möglicher Anwendungen ist unendlich. IOTA kann das Auto eine kilometerabhängige Maut ebenso bezahlen lassen wie Parkgebühren und Leasingraten. Der Kühlschrank kann sich selbst auffüllen und die nachgekauften Produkte auch gleich bezahlen. Was IOTA so anders macht als Bitcoin oder Ethereum, ist die enge Vernetzung mit der Industrie. Zu den Teilnehmern am IOTA-Projekt gehören etwa Samsung, Microsoft, Daimler, Volkswagen oder Orange. Erst vor wenigen Tagen hat die IOTA Foundation eine beschränkt offene Entwicklungsplattform eingerichtet, auf die über 20 Organisationen weltweit Zugriff haben, um Anwendungen für das IoT zu entwickeln.
Laut einer Studie von »Gartner Technology Research« wird das IoT im Jahre 2020 bereits 21 Milliarden Geräte umfassen. Die wichtigste offene Frage war bisher die Datensicherheit. Durch das Blockchain-Konzept der dezentralen kryptografischen Transaktion ist das Problem bereits heute als gelöst zu betrachten. Mit IOTA steht damit erstmalig nicht nur eine sichere, sondern auch eine skalierbare Technologie zur Verfügung, um alles mit allem durch das Internet zu verbinden.

Fazitthema Fazit 139 (Jänner 2018), Foto: Markus Spiske

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