Droht ein Handelskrieg?
Redaktion | 28. März 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 141, Fazitthema
Das Wirtschaftswachstum ist zurück; und damit frisches Geld für die öffentlichen Hände. Es sitzen zwar fast überall in Europa Sozialstaatsromantiker an den Hebeln der Macht, die ihrer Klientel vorzumachen versuchen, dass Gemeinwohl und Profit nichts miteinander zu tun haben. Doch auch die wissen insgeheim, dass nur nachhaltiges Wachstum die soziale Sicherheit erhalten kann. Daher fürchtet sich Europa zu Recht vor einem Handelskrieg mit den USA. Und selbst wenn dieser von der Trump-Administration »vorläufig« abgesagt wurde, bleiben die USA davon überzeugt, dass sie durch ungleiche hohe Zölle von der EU krass benachteiligt werden. Daher müssen die Verwerfungen im transatlantischen Handel dringend beseitigt werden. Text von Johannes Tandl.
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Selbst renommierte Ökonomen hatten den Glauben daran, dass die Wirtschaft die Krise jemals wieder hinter sich lassen könnte, beinahe aufgegeben. Doch irgendwie hat Europa die Kehrtwende geschafft. Und bei aller berechtigten Kritik – zuerst am Eurorettungsschirm und danach an der Europäischen Zentralbank – kann festgehalten werden, dass die Maßnahmen – zumindest vorläufig – gegriffen haben. Natürlich gibt es Skeptiker, die davon überzeugt sind, dass die teure Schlussrechnung für das Anleiheaufkaufprogramm der EZB und die künstlich herbeigeführte Nullzinspolitik erst noch präsentiert wird. Schließlich weiß niemand so genau, welche Papiere genau gekauft wurden und welcher Giftcocktail sich darunter verbirgt. Und von den Folgen der Nullzinspolitik ist bisher nur bekannt, dass sie allein durch die nicht abgegoltene Inflation Millionen europäische Sparer etwa um ein Fünftel ihres Geldvermögens gebracht hat. Wie heftig die Blasenbildung durch künstlich billige Kredite am Immobilienmarkt und in anderen spekulativen Sektoren wirklich ist, wird erst erkennbar sein, wenn für geliehenes Geld wieder marktkonforme Preise gelten. Doch nur mit Hilfe der EZB können die Kreditzinsen für die überschuldeten EU-Staaten niedriggehalten und die Aktienmärkte befeuert werden. So werden allein die österreichischen Gebietskörperschaften bei einer angenommenen Zinsersparnis von etwa drei Prozent für ihre Schulden mit etwa neun Milliarden Euro jährlich mit EZB-Hilfe von den Sparern subventioniert. EU-weit dürfte dieser Wert bei einer halben Billion Euro jährlich liegen.
Obwohl die Unternehmen nun beinahe ein Jahrzehnt lang nur das Notwendigste investiert haben, sind die österreichischen Steuereinnahmen doppelt so schnell gewachsen wie die Löhne und Einkommen. Man hätte beinahe den Eindruck gewinnen können, dass der alte Wirtschaftskammer-Slogan »Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut« nicht mehr gilt. Denn trotz der Rezession von 2008 und einem Jahrzehnt der wirtschaftlichen Stagnation hat Österreich die Staatsausgaben erhöht und eine Mindestsicherung eingeführt, die selbst unter den reichsten Ländern der Welt ihresgleichen sucht.
Der Staat hat sich über steigende Steuern und Abgaben finanziert
Scheinbar konnte der Staat das Gemeinwohl auch ohne die Wirtschaft steigern. Darin mögen linke Politiker eine Weiterentwicklung des keynesianischen Prinzips des Deficit Spending erkennen. Denn der Autobahnbau hat, technologisch bedingt, heutzutage ja kaum mehr Beschäftigungseffekte. Daher setzen linke Eliten lieber darauf, Personen zu alimentieren, die nicht von ihren Arbeitseinkommen leben können. Dass zu einer Politik des Deficit Spendings auch gehören würde, die Staatsausgaben in Aufschwungsphasen zurückzufahren, sei nur nebenbei erwähnt. Das wird jedoch gerade von linken Politikern gerne mit dem Prädikat der »sozialen Kälte« stigmatisiert.
In der Rückschau lässt sich natürlich genau ermitteln, woher das Geld für den Luxus gekommen ist, den sich Österreich trotz Krise geleistet hat. Die Abgabenquote ist zwischen 2008 und 2015 nämlich um zwei Prozent auf unglaubliche 43,8 Prozent angestiegen. Der Staat hat ganz einfach die Steuerschraube angezogen. Doch nun ist die Hochkonjunktur zurück und die Gewinnerwartungen führen dazu, dass die Unternehmen endlich auch wieder expandieren können, anstatt bloß die alten Anlagen durch effizientere neue zu ersetzen.
Die US-Wirtschaft und Deutschland als globale Wachstumsmotoren
Dass die Weltwirtschaft so floriert und die OECD die Prognosen für die Höhe des globalen Wachstums für die Dauer der Aufschwungsphase deutlich nach oben schrauben konnte, hängt laut OECD unmittelbar mit der US-Steuerreform zusammen, mit der US-Präsident Trump erreicht hat, dass es der größten Volkswirtschaft der Welt so gut geht wie schon lange nicht.
Die europäischen Wachstumssieger findet man wegen der geringen Staatsschulden und Sozialausgaben, aber auch wegen des deutlich niedrigeren Ausgangsniveaus wie immer in Osteuropa. Doch auch Österreich, Deutschland und die Beneluxstaaten wachsen überdurchschnittlich. Dank der Ausgabenoffensive der neuen deutschen Regierung ist sogar mit einem weiteren Hinaufsetzen der österreichischen Wirtschaftsprognosen auf deutlich über drei Prozent zu rechnen. Probleme gibt es weiterhin in Italien. Auch Frankreich wächst langsamer als Mitteleuropa. Und in Großbritannien ticken die Uhren ohnedies gänzlich anders. Aber das hat mit den Ängsten der Unternehmen vor dem schiefgegangenen Brexit-Votum zu tun.
Ohne den Wirtschaftsaufschwung könnten viele EU-Staaten nicht mehr budgetieren. Wie man bei entsprechendem ökonomischen Rückenwind auch ohne Ambitionen ein Nulldefizit erreichen kann, zeigt Deutschland seit Jahren vor. Dank der enormen Produktivitätsvorteile gab es für die deutsche Wirtschaft, ganz anders als etwa für die italienische oder die französische, trotz Krise und Globalisierung kaum Anreize, die Wertschöpfungsbereiche in Billiglohnländer auszulagern. Und so wurde Deutschland in Bezug auf die Produktivität zur echten Wirtschaftssupermacht, von der auch Österreich mitgerissen wird. Denn obwohl Österreich unter Schwarzblau I und II noch als ökonomischer Musterschüler galt, reichten die starken deutschen Impulse und die Kraft der heimischen Unternehmen gerade aus, um ein Abdriften auf ein niedrigeres Produktivitätsniveau zu verhindern.
Die türkisblaue Regierung profitiert vom Aufschwung
In Österreich können Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache zwar ein Jahrzehnt rotschwarzer Reformverweigerung nicht ungeschehen machen, doch die Chance, das Budget über das Wirtschaftswachstum statt mit einem harten Sparkurs zu sanieren, lässt sich Finanzminister Hartwig Löger dennoch nicht nehmen. Besonderen Rückenwind erhält die Regierung ausgerechnet durch einen besonders perfiden Akt, den die SPÖ im Vorjahr gesetzt hat, als die von Christian Kern geführte Regierung in den letzten Zügen lag und die Sozialdemokraten den Ausstieg aus der kalten Progression gestoppt haben. Daher sorgt die Inflationsrate von über zwei Prozent auch weiterhin dafür, dass die Steuereinnahmen doppelt so schnell weiterwachsen wie die Wirtschaft. Und Türkisblau hat bereits angekündigt, den Steuerzahlern die kalte Progression auch in den nächsten Jahren nicht abzugelten. Leider gehen die Prognosen davon aus, dass der Konjunkturzyklus bereits heuer seinen Höhepunkt erreichen wird. Doch wenn nichts Unvorhersehbares eintritt, bleibt das Wirtschaftswachstum bis 2021 bei etwa zwei Prozent. Damit würde die Arbeitslosigkeit von derzeit neun auf deutlich unter acht Prozent sinken. Der Rückenwind für den Budgetkurs bleibt daher bestehen.
Was geschieht, wenn die USA die Zölle doch erhöhen?
Die USA waren 2016 mit 21 Prozent der mit Abstand größte Abnehmer europäischer Exporte. Dem stehen EU-Importe aus den USA von 14 Prozent gegenüber. Höhere US-Zölle würden die europäische Wirtschaft empfindlich treffen. Sie könnten sogar einen Wachstumseinbruch der gesamten Weltwirtschaft auslösen.
Was bisher aus Brüssel kam, um höhere US-Zölle abzuwehren, klingt jedenfalls ziemlich lächerlich. Die USA haben die „vorläufige“ Ausnahme für die EU ganz sicher nicht wegen der geplanten Gegenmaßnahmen erlassen. Statt dessen hoffen die Amerikaner – nachdem sie der EU die Rute ins Fenster gestellt haben – auf ein Einlenken ihres wichtigsten Verbündeten. Denn Harley-Davidson verkauft in Österreich knapp 1.000 Motorräder jährlich. Und auch ein Einfuhrzoll auf Levi’s-Jeans und Whiskey dürfte die Trump-Regierung nicht wirklich beeindruckt haben.
Hat Trump Recht mit seinen Vorwürfen gegenüber der EU?
Der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn erregte vor wenigen Tagen mit der These Aufsehen, dass sich die EU seit Jahren künstlich gegen die US-Konkurrenz abschottet. So werden etwa US-Fahrzeuge, die nach Europa verkauft werden, mit 10 Prozent Zoll belegt, während europäische Autos in den USA bisher nur mit einem Zoll von 2,5 Prozent künstlich verteuert werden.
Die europäische Außenhandelspolitik sei, so Sinn, seit jeher davon geprägt, bestimmte Wirtschaftslobbys auf Kosten von Anbietern in den USA und in der Dritten Welt, aber vor allem zu Lasten der europäischen Verbraucher zu bevorzugen. In einem Anti-Trump-Klima, das nicht nur die europäischen, sondern auch die US-Medien erfasst habe, werde das aber völlig verzerrt dargestellt. Besonders massiv sei die unfaire EU-Abschottung im landwirtschaftlichen Bereich. Wegen der massiven Zölle müssten die europäischen Konsumenten etwa um 20 Prozent mehr für Lebensmittel bezahlen, als aufgrund der Weltmarktpreise gerechtfertigt sei. Dass die Agrarlobbys wenig Mitleid mit den Verbrauchern haben, wenn es darum geht, höhere Preise durchzusetzen, ist ohnedies kein Geheimnis. So wird amerikanisches Rindfleisch mit einem Zoll von 69 Prozent belastet. Von einem zollfreien Agrarhandel würden daher vor allem ärmere Schichten enorm profitieren.
Die EU ist ein Paradies für Protektionisten
Nach dem Scheitern des TTiP-Freihandelsabkommens, das endlich für faire Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA hätte sorgen können, scheinen die USA nun endgültig genug vom europäischen Protektionismus zu haben. Deshalb will Trump europäische Autos in den USA ähnlich hoch verzollen, wie das die Europäer mit US-Fahrzeugen tun. Als Antwort auf Trump Jeans, Schnaps und Motorräder besteuern zu wollen, zeigt auf, dass die EU auch in Zukunft nicht an fairen Handelsbeziehungen interessiert sein dürfte. Für Hans-Werner Sinn steht fest, dass die EU ein essenzielles Interesse an hohen Schutzzöllen und sogar an einem Handelskrieg habe, weil die Einnahmen zum größten Teil direkt in das EU-Budget fließen.
Brüssel verdient mit Schutzzöllen jährlich 20 Milliarden Euro
Brüssel verdient an den EU-Schutzzöllen derzeit mehr als 20 Milliarden Euro jährlich. Da die zukünftige EU-Finanzierung wegen des Brexit ohnehin auf der Kippe steht, will die Kommission auf dieses Geld, das indirekt von den europäischen Verbrauchern bezahlt wird, nicht verzichten.
Über Verordnungen und Vorschriften ist es den Lobbyisten der Industrie- und Agrarverbände zudem gelungen, ein Netzwerk von nichttarifären Handelshemmnissen aufzubauen, das es gerade für die Exporteure aus Entwicklungsländern besonders schwierig macht, ihre Produkte in Europa auf den Markt zu bringen.
Mehr Freihandel steht weder in Brüssel noch in Washington auf der Agenda
Obwohl den meisten Beteiligten längst klar geworden ist, dass nur der rasche Ausbau des Freihandels zu einer Beseitigung der Handelsverwerfungen führen würde, deutet nichts darauf hin, dass Europa besonders ambitioniert an eine Wiederaufnahme von TTiP herangeht. Sogar die Sozialdemokratie ließ sich vom Populismus erfassen und lehnt den Abbau von Handelsschranken gemeinsam mit den Grünen und den Rechtspopulisten ab.
In Österreich musste Bundeskanzler Sebastian Kurz sogar das längst beschlossene Rauchverbot in der Gastronomie dafür opfern, um eine von der FPÖ angestrebte Volksabstimmung über Ceta zu verhindern. Aufgrund der Komplexität der Materie und der geschlossenen Ablehnung durch SPÖ, FPÖ und Grüne wäre der Ausgang eines solchen Referendums abzusehen.
Und in den USA sieht sich Präsident Donald Trump durch die den WTO-Abkommen zugrunde liegenden Meistbegünstigungsklauseln darin bestätigt, dass das derzeitige System die USA benachteilige. Diese Klauseln führten bisher dazu, dass die USA wesentlich niedrigere Zölle aufschlagen dürfen als ihre Handelspartner.
China soll besonders bluten
Deshalb plant Trump bereits neue Zölle, die speziell auf China abzielen. So sollen die Schutzzölle chinesische Waren im Gesamtwert von etwa 60 Milliarden Dollar erfassen. Trump argumentiert, dass dies Produkte seien, die durch Industriespionage entwickelt wurden. Damit scheint es der US-Präsident regelrecht auf einen Handelskrieg anzulegen. Im Sinne seiner »America First«-Politik will er durch neue Handelsbarrieren amerikanische Arbeitsplätze retten. Doch die gleichen Unternehmen, die Trump noch vor kurzem wegen seiner Steuerpolitik feierten, fürchten nun eine Abschottung der US-Wirtschaft. Zuletzt lehnten 45 US-Unternehmensverbände in einer gemeinsamen Initiative an das Weiße Haus neue Zölle auf chinesische Importe ab. Die Angst vor chinesischen Gegenmaßnahmen ist enorm. Denn die würden erst recht amerikanische Arbeitsplätze vernichten.
Ist die Veranschaulichung der Freihandelsvorteile zu komplex?
Auch für Hans-Werner Sinn wäre ein Handelskrieg eine Katastrophe. Nur in einer Welt weitgehend freier Handelsbeziehungen kann sich jede Volkswirtschaft auf ihre Stärken besinnen und sich auf die Produktion jener Dienstleistungen und Güter spezialisieren, bei denen sie besonders konkurrenzfähig ist. Das Prinzip des absoluten und erst recht des komparativen Kostenvorteils als Grundlage für den Ausbau des Freihandels ist unter Ökonomen unumstritten. Es ist jedoch komplex und den ökonomisch kaum gebildeten Bürgern nur schwer vermittelbar. Damit wissen auch die linken und rechten Populisten, wo sie sich zu positionieren haben. Dabei ist der Tauschvorteil recht einfach zu erklären. Ohne Freihandel müsste jede Volkswirtschaft von allem genau so viel produzieren, wie sie benötigt – ganz egal ob sie dazu in der Lage ist oder nicht. Da ist es doch besser, wir holen die Autos aus Deutschland und die Computerprogramme aus den USA und verkaufen dafür Maschinen und andere Industrieprodukte in die ganze Welt oder bringen Ausländern das Schifahren bei. Österreich hat als kleine offene Volkswirtschaft noch von jedem Freihandelsabkommen überproportional profitiert. Der internationale Wettbewerb hält unsere Unternehmen fit und produktiv. Nach Deutschland sind ausgerechnet die USA unser zweitwichtigster Handelspartner. Der zukünftige Wohlstand wird jedoch nicht nur durch die Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump und die linken und rechten Freihandelsgegner gefährdet, sondern ebenso durch die Brüsseler Hüter des Binnenmarktes, die vor den Lobbyisten in die Knie gehen um deren Interessen zu schützen.
Fazitthema Fazit 141 (April 2018), Illustration: Peter Pichler
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