Wider des Erwischens
Peter K. Wagner | 28. März 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 141, Kunst und Kultur
Die diesjährige Diagonale eröffnete mit »Murer – Anatomie eines Prozesses« von Christian Frosch. Ein ärgerliches Stück Geschichte, das wertvoller ist als man sich wünschen würde.
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Es sind üblicherweise Filmdokumente aus fremden Ländern, Aufarbeitungen neuer Erkenntnisse oder auch Zuspitzungen unbewusster Missstände, die es vermögen, den Zuschauer zu erwischen. Und so kommt es, dass es einen Grazer irgendwie befremdet ist, wenn ihn so eine Mischung aus Aufarbeitung und Zuspitzung so richtig erwischt.
Die Diagonale 2018 eröffnete mit dem schließlich als »besten österreichischen Spielfilm des Jahres« ausgezeichneten Werk »Murer – Anatomie eines Prozesses«. Und der vermag es ordentlich, zu erwischen. Es ist die Geschichte von Franz Murer, der 1941 bis 1943 für das Ghetto im litauischen Vilnius verantwortlich und dort als »Schlächter« gefürchtet war. Murer war nach Kriegsende eher zufällig festgenommen, in der Sowjetunion zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt und schließlich im Rahmen des Staatsvertrages 1955 an Österreich ausgeliefert worden. Auf Bestreben von Simon Wiesenthal wurde er erst 1962 wieder angeklagt und 1963 unter großem Jubel von Teilen der österreichischen Öffentlichkeit freigesprochen. In Graz.
Die gesellschaftlichen Umstände und die Einstellung der Bevölkerung sowie die politischen Zusammenhänge und Fürsprecher für den angesehenen Lokalpolitiker und Großbauern Franz Murer sezieren dabei ein österreichisches Opferbild, das einen Grazer eben erwischt. Und noch mehr ärgert.
Denn »Murer« ist in Zeiten, in denen es eine österreichische Partei gibt, die erkannt hat, dass es eine Idee wert wäre, sich ziemlich genau 23.000 Tage nach Parteigründung schließlich doch mit der eigenen NS-Vergangenheit zu beschäftigen, leider viel wertvoller als man sich wünschen würde.
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Alles Kultur, Fazit 141 (April 2018) – Foto: Patricia Peribanez/Prisma Film
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