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Zur Lage (91)

| 1. Juni 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 143, Zur Lage

Über die sich langsam ausbreitende Intoleranz und die immer geringer werdende Fähigkeit, unwichtige Dinge als solche zu verstehen. Wieder etwas über Twitter und ganz und gar nichts über Politik.

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Ich bin ja ein ungemein umgänglicher Mensch. Denke ich. Das werden nicht alle so sehen, aber so ist das Leben, mal flach, mal eben. (Wollte ich schon immer mal unterbringen, diese mir liebste Floskel meines liebsten Freundes.) Nur tu ich mir immer schwerer. Grundsätzlich sollte mein zweiter Vorname ja eher Konsens als Andreas lauten, weil ich doch davon überzeugt bin, ein immer kompromissbereiter Kerl zu sein. Und damit spreche ich jetzt nicht nur die »Eherne totale  Kompromissnotwendigkeit«, unter der Abkürzung »Ehe« auch einem breiteren Publikum bekannt, an, nein, ich rede schon vom wahren Leben. Da werde ich immer intoleranter. Stelle ich mit leichtem Entsetzen, aber noch keiner Empörung fest.

Letztens etwa begegnet mir in unserem neuen Bürohaus, wir haben nur ein Büro im zweiten Stock, aber »Bürohaus« vermittelt so einen internationalen Touch und außerdem war es ja im Stiegenhaus – soll ich Stiegenhaus schreiben? Eben! –, eine junge Dame, die ich als alter weißer Mann natürlich mit einem höflichsten »Grüß Gott« beachte wie -grüße. Kommt mir doch glatt ein »Hallo!« aus ihr heraus zurückgeflogen.

Hallo! Was soll das? Wir hatten ja nicht telefoniert, wir sind uns auf einer Stiege begegnet. »Hallo« sag ich, wenn ich etwa ein Echo hören will – meiner Tochter, der Größeren, demonstriere ich das gerne – oder wenn ich in einen schwarzdunklen Keller hinunter muss, nicht wissend, ob schon wer drinnen ist. So nach der Art, hallo! Ist da jemand? Dann verwendet man »Hallo!«. Und eben beim Telefonieren. Aber als Gruß! Das machen ja nicht einmal Affen. Das ist doch kein Gruß nicht.

Na gut, mein Vorhaben, sie zur Rede zu stellen und das alles ein für alle Mal zu klären, hatte ich nach einer guten Zehntelsekunde wieder verworfen, aber ich bin mir bis heute nicht ganz sicher, ob ich nicht irgendeine der vielen mein Hirn durchstömenden Unflätigkeiten habe laut werden lassen, also artikuliert; gemurmelt hab ich irgendwas, da bin ich mir sicher. Es hätte keinen Sinn ergeben, es wäre nur unhöflich gewesen. Selbstverständlich. Sie brauchen keine Angst haben, ich bin noch nicht vollkommen durchgedreht. Bin also mit einem frohen Lächeln an ihr vorbei und direkt in die Tiefgarage zu meinem Wagen, um meine Tante, die andere, die jetzt in Andritz wohnt, zu besuchen. Höre ich selbstverständlich Radio Helsinki im Autoradio. Und wie ich so fahre und mich wohlig fühle in meiner absoluten Gewissheit, dass mein Lieblingssender an diesem Tag, zumindest zu dieser Stunde, mit mir sogar einen Hörer beschallen darf, beginnt so eine Was-ist-los-in-Graz-Sendung. Oje, denk ich mir und da war es schon passiert. Die haben da nämlich eine ganz sicher ganz liebe und nette Sprecherin, die das Wort »Grätzl« so ausspricht, als würde man von einem Rätsel mit einem vorangestellten »G« sprechen. Das klingt unglaublich dämlich. Und ich hab das da von dieser sicher ganz lieben und netten Sprecherin zum gefühlten dreihundersten Mal gehört. Grätsel, unerträglich. Dankenswerterweise weiß ich nicht genau, wo Radio Helsinki seine Zentrale hat, ich wäre hingefahren und hätte der Dame erklärt, wie man das richtig ausspricht. Aber auch das wäre wieder von wenig Sinn getragen gewesen und – siehe Hallo – vor allem unhöflich.

Nur beginnt sich halt langsam so ein unaufhaltsam anwachsender Knoten in mir zu bilden, der mehr und mehr Platz einnimmt und drauf und dran ist, den für die »Toleranz« zu besetzen. Die Toleranz also geradezu aus mir rauszudrängen. Und grade eben, so vor einer Stunde, kam wieder eine neue Unwichtigkeit dazu, die diesen Knoten befeuert. Lese ich doch auf Twitter vom Account der ÖBB, das sind die Österreichischen Bundesbahnen, ein Staatskonzern und wohl noch immer größter Anbieter von Zugfahrten am heimischen Markt, eine Botschaft an eine Kundin, die ein kleines Problem mit der Bahn hatte: »Auch wenn dich diese Woche das Pech verfolgt, mögen wir dich. Versprochen!« (Eingeleitet von einem traurigen Smiley und abgeschlossen mit einem kleinen roten Herzchen.) Ich nix fad, verfasse daraufhin einen eigenen Tweet: »Ich kann es nicht leiden, wenn ein Unternehmen, noch dazu eines im Staatseigentum, so ‚kommuniziert‘. In welch vertrottelten (sic!) Welt von Nichterwachsenen bin ich da gefangen?« und hänge den Tweet von der Bahn daran an. Pflaumt mich nicht wenige Minuten danach irgendein Würstchen auf Twitter an: »Ich finde es ja faszinierend, wie manche 2018 noch Probleme damit haben, wenn Sprache um ein symbolisches Zeichen-Set erweitert & zunehmend in den Dienst der Kommunikation gestellt wird statt umgekehrt. Nach derselben Logik könnte man auch Satzzeichen kindisch finden.«

Was ist das für ein ausgezeichneter Dolm? Abgesehen davon, dass die Verwendung von Smileys diesen vertrottelten Duktus à la »wir mögen dich« auch nicht mehr schlechter macht, ging es mir darum, dass ich es etwas eigenwillig empfinde, wenn die Kommunikation eines der größten Unternehmens des Landes auf diese Art stattfindet. Aber kann man eh machen. Man kann ja alles heutzutage machen. Wichtig dabei ist offensichtlich nur, dass sich alle mögen. Und möglichst viele Herzen in diese unpersönlichen Botschaften packen. Mich einfaches Gemüt, mich muss die ÖBB nicht mögen, sie braucht mir auch kein Herzerl schicken, sie soll mich lediglich (und das tut sie in aller Regel! Damit das klar ist.) möglichst schnell und womöglich komfortabel von A nach B bringen. Aber das muss ein junger Mann auf Twitter ja nicht verstehen. Er kann es auch gerne anders sehen. So tolerant bin ich dann eh noch. Und, das ist das Schöne, jetzt wo ich Ihnen das alles geschrieben habe, ist mein Knoten fast nicht mehr zu spüren. Ich mag Sie alle sehr. Versprochen.

Zur Lage #91, Fazit 143 (Juni 2018)

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