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Lernen ein Leben lang

| 26. Juli 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 145, Serie »Erfolg braucht Führung«

Lernbereitschaft in Organisationen. Ein Interview von Carola Payer mit der 85-jährigen digital-affinen, wissbegierigen und ständig lernenden Christl Payer. Ihrer Mutter.

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Als ich meine Mutter anrufe und ihr sage, dass ich sie gerne für einen Artikel interviewen würde, sagt sie mir: »Ich kann nur kurz, ich geh grad ins Sprachcafe.« Ich erkläre ihr, dass ich ihr vorab ein paar Fragen zur Orientierung schicke. Genau einen Tag später um 21:45 Uhr bekomme ich ein E-Mail. »Was ist mit den Fragen?! – ich bin morgen und übermorgen schon sehr beschäftigt. Ich muss mir meine Vorbereitung einteilen.« – Eine »Proaktivität«, die man sich von so manchem Mitarbeiter mit langer Zugehörigkeit im Unternehmen gerne wünschen würde.

Lernbereitschaft als Kompetenz für Wettbewerbsfähigkeit
Heute ist es eine klare Überzeugung. Lebenslanges Lernen ist notwendig für gesellschaftliche und ökonomische Erfordernisse. Leitlinien der Europäischen Union und Personalentwicklungs-Konzepte betonen, dass lebenslanges Lernen ein Schlüssel dafür sei, die kommenden Wachstumsherausforderungen zu meistern. Gezielt Wissen, Qualifikationen, Fertigkeiten und Kompetenzen für zukünftige Beschäftigungsfelder zu schaffen, garantiert die Integration in den Arbeitsmarkt. Nach- und außerberufliches Lernen oder soziale und persönliche Entwicklung werden wenig thematisiert. Gerade das soziale Umfeld, persönliche Entwicklung und persönliche Reflexionsfähigkeit tragen zur Lernbereitschaft bei.

Christl Payer auf die Frage, was sie antreibt, trotz hohen Alters immer Neues zu lernen: »Mein Vater hat mir gesagt, als ich Probleme in der Schule hatte, dass ich Bücher lesen sollte, weil in Büchern alles drin steht, was man wissen müsste. Als Nächstes war mein Deutschlehrer prägend. Dieser hat mich für alle Fachrichtungen fasziniert. Er hat mich auch zum Rundfunk gebracht und mich in Sendungen integriert. Dort habe ich mein erstes Taschengeld verdient.« Das richtige Umfeld fördert also Lernbereitschaft. Was bedeutet das für Organisationen?

Unterstützende Lernumgebungen schaffen
Eine unterstützende Lernumgebung zu schaffen ist einer der zentralen Punkte, um eine lernende Organisation zu entwickeln. Die letzten Jahrzehnte wurden Organisationen aber darauf getrimmt, sehr effektiv zu sein um im Wettbewerb zu bestehen. Raum für Lernen, Austausch und Reflexion wurde in den Stellenbeschreibungen und Meetings nicht einkalkuliert. Operatives Funktionieren wurde mehr belohnt.

Unterschiedlichen Meinungen, Hintergründe und Weltanschauungen müssen als Chance genutzt werden. Jemandem zuzuhören, der eine andere Sicht auf Dinge hat, heißt schon, zu lernen und kreativ zu werden. Diese bewusste Auseinandersetzung mit der Vielfalt im Unternehmen fördert auch die Offenheit für neue Ideen. Lernkultur bedeutet optimierte Fragekultur: Keine Frage ist zu kritisch, zu naiv oder zu »dumm«. Fehler und Unklarheiten dürfen offen angesprochen werden und es muss ausreichend Zeit zur Reflexion geboten werden. Christl Payer betont auch: »Fragen war für mich immer wichtig und für das Lernen enorm hilfreich. Speziell bei digitalen Themen.«

Um organisationales Lernen zu fördern, bedarf es wie in allen anderen Bereichen des Unternehmens auch konkreter Lernprozesse und Lernpraktiken. Sei es durch standardisierte »After Action« Reflexionsrunden oder regelmäßige Expertenrunden mit Kunden oder Lieferanten.

Digitale Fertigkeiten fördern
Alle Beschäftigen unabhängig von Branche, Tätigkeit oder Hierarchiestufe müssen sich in immer kürzeren Abstanden mit veränderten Arbeitsprozessen sowie neuen Technologien und Arbeitsaufgaben auseinandersetzen. Besonders effektiv sind hierfür praxis- und arbeitsplatznahe »Training-on-the-Job«-Formate sowie digital gestützte, flexible Weiterbildungsangebote.
Christl Payer auf die Frage, wann sie in die digitale Welt eingestiegen ist: »Ich bin 2007 nach Amerika zu Verwandten geflogen. Da wollte ich mein Englisch auffrischen. Daher habe ich mir einen Computer gekauft. Noch ohne Internet. In Amerika hat mir mein Cousin dann gezeigt, was man alles mit einem Computer inklusive Internetzugang machen kann. Mich hat das zeitnahe fasziniert – und die Unbegrenztheit. Sofort nach meiner Rückkehr war ich auch hier ausgestattet. Wobei alle meiner Klassenkolleginnen, die noch leben, nicht mit digitalen Medien umgehen können. Nachdem mir mein altes Handy gestohlen wurde, eröffnete mir mein erstes gebrauchtes Iphone neue Welten. Da gab es viel für mich zu erforschen.«

Unterschiedliche Lernbedürfnisse
Dass Menschen unterschiedliche Lernbedürfnisse haben, hat Christl Payer schon bei ihren ehemaligen Schulkolleginnen festgestellt. Dass die jeweiligen Lebenssituationen zu unterschiedlichen Lern- oder Bildungsbedürfnissen führen, hat auch eine EU-Untersuchung »Lebenslanges Lernen: Die Einstellungen der Bürger in Nahaufnahme« verdeutlicht. Per se sind nicht alle permanent neugierig und offen. Christl Payer auf die Frage, warum ihr Lernbedürfnis nie abgebrochen ist: »Ich freue mich immer, wenn ich was Neues lerne. Ich habe dann was geschafft. Ich klopfe mir dann selbst auf die Schulter. Ich schnappe etwas auf – und dann will ich mehr dazu wissen. Es gibt nichts, was mich nicht interessiert. Ich war immer offen für alles, für Themen und für Menschen.«

Mindset für Lernbereitschaft
Es ergibt sich eine spannende Frage: Kann man das Mindset für Lernbereitschaft, »open-minded« zu sein, lernen? Kann eine Organisation das Fördern? Von fixed-minded, zu open-minded?! Fixed-minded Menschen sind eventuell schon mit dem Spruch groß geworden: »Du sollst das Denken den Pferden überlassen, weil sie die größeren Köpfe haben. Mach deine Aufgaben und denk nicht nach.« Fixed-minded people richten sich gerne nach Konventionen und Gewohnten. Sie nehmen die Welt eher in »richtig und falsch« als in Perspektivenvielfalt wahr. Lernen wird eventuell auch mit »nichts Produktives Tun« gleichgesetzt. Wieder die kindliche Neugier bei solchen Menschen wach zu küssen, ist die Voraussetzung für Lernen – eine der größten Herausforderungen für Organisationen. Daher darf die Kompetenz zur Reflexion in keinem Personalentwicklungskonzept mehr fehlen.

Christl Payer zu ihrem Mindset. »Ich bin zukunftsorientiert ausgerichtet. Ich glaube an den Satz in der Bibel: Jeder Mensch bekommt Talente mit, es liegt an ihm, sie zu nützen, nicht zu verschwenden oder zu vernachlässigen. Ich lasse mich von Umständen nicht einschüchtern. Ich wollte Lehrerin werden, wurde aber nicht aufgenommen, weil in diesem Jahrgang keine Aufnahme von Mädchen gab. Ich hab dann trotzdem unterrichtet. Zum Beispiel Viehzucht, Ernährungslehre in einer landwirtschaftlichen Schule. Im Unterricht habe ich am meisten gelernt. Sogar »seelenlose« Themen wurden plötzlich spannend, wenn man tiefgründiger reinschaut.

Christl Payers These zu Menschen, die für Veränderung und Lernen weniger offen sind: »Trägheit, Überfluss, oberflächliche Konsumationsmöglichkeiten. Man kann sich heutzutage so gut berieseln lassen. Es wird einem das Denken abgenommen. Ich bin nicht im Überfluss aufgewachsen. Ich musste erfinderisch sein.«

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Christl Payer, 85 Jahre, Mutter von fünf Kindern, Oma von 14 Enkeln, Uroma von 18 Urenkeln. Tätigkeitsfelder ihres Leben: Musikerin, Sängerin, Moderatorin, Mundartsprecherin, Volkstänzerin, Trachtenschneiderin, Übersetzerin, Leiterin von Frauengruppen in ländlichen Regionen, Biogärtnerin, Brotbäckerin, Lehrerin und Multiplikatorin für zahlreiche Themen, die sie selbst erforscht hat in ihrem Leben.

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Foto: Marija KanizajDr. Carola Payer betreibt in Graz die »Payer und Partner Coaching Company«. Sie ist Businesscoach, Unternehmensberaterin und Autorin. payerundpartner.at

Fazit 145 (August 2018), Fazitserie »Erfolg braucht Führung« (Teil 16)

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