Zur Lage (93)
Christian Klepej | 26. Juli 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 145, Zur Lage
Beinahe ausschließlich über die Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt, einem nur unwesentlich breiteren Publikum bekannt unter Bachmannpreis, kurz was über die großartige Müllabfuhr in Graz und nichts über wesentliche Themen.
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Haben Sie von den Tagen der deutschsprachigen Literatur auch nichts mitbekommen? Nicht, dass ich besonders stolz da drauf wäre. Immerhin hätte ich auch schon vor zehn, 15 Jahren wissen können, dass mich diese Preislesungen da in Klagenfurt eigentlich nicht interessieren. Oder zumindest nicht bereichern. Denn die Zerpflückungen im Anschluss der Autorenlesungen durch die Jury waren mitunter oft auch unterhaltsam. Aber natürlich ebenfalls unwesentlich.
Viel hab ich mir insgesamt eh nicht gemerkt. Da war etwa diese überaus überschätzte Ursula Plassnik, die irgendwann im Jahre Schnee diesen Bachmannpreis gewonnen hat. Wobei, um genau zu sein, es war nicht im Jahre Schnee und es war vor allem nicht Ursula Plassnik, die war damals Außenministerin und ist heute Botschafterin der Republik Österreich in der Schweiz. Und damals wie heute eine tolle Frau! Vielmehr war es eine Kathrin Passig, die 2006 in Klagenfurt furoriert hat. Ich schreib »furorieren«, damit niemand sagt, ich würde da diesen wichtigsten Literaturpreis des Universums in Kärnten irgendwie madig machen wollen. Sie müssen wissen, ich habe ja sogar unsere Kulturredaktion angestiftet, über die heurigen schon 42. Tage der deutschsprachigen Literatur was zu verfassen. Und das hat der Michael Bärnthaler in gewohnt unberechenbarer Art und Weise (zu lesen auf Seite 80) getan. Wobei, also »bös« in dem Sinn bin ich ihm nicht, nur journalistischen Kriterien entspricht sein Text in letzter Konsequenz nicht wirklich. Mea Culpa, wie der Römertopf sagt, ich hätte da im Briefing etwas konkreter sein können. So ist es ein großartiges Kleinkunstwerk, um nicht zu sagen kleines Kunstwerk, geworden, das ich als kulturferner Mensch nicht zu beurteilen habe. Mir gefällt sein »Bestoff« des Bachmannpreises ausnehmend, nur erwarten Sie sich bitte keine Hintergrundinformationen. So hat er etwa den Preisträger gar nicht genannt. Das finde ich übrigens ganz toll, weil es so unprätentiös unterpointiert daherkommt. Dass es dem Kleingedruckten nach dem Text dann doch noch zu entnehmen ist, erklärt sich einzig und allein aus meiner kleinkarierten Intervention am offenen Layout heraus.
Erzählen tu ich das, weil ich jetzt diesen Kommentar, der nur aus Versatzstücken von Beiträgen des heurigen Preislesens bestanden hatte, umschreiben muss. Aber in einen Text, den der heurigen Preisträgerin Tanja Maljartschuk aus der Ukraine, lese ich mit Ihnen trotzdem hinein. Der Text heißt »Frösche im Meer« und es geht zur Abwechslung einmal um das ansonsten missachtete Thema Migration: »Hätte Petro Kinder, würden sie ihn vielleicht fragen, wie er zu seinem Beruf gekommen ist. Kinder fragen so etwas gerne. Sie idealisieren die Arbeit, solange sie selbst nicht arbeiten gehen müssen. Ich möchte Polizist werden, sagen sie verträumt, oder Ballerina, oder Ärztin, oder Astronaut. Niemand sagt: Ich möchte Müllmann werden.«
Das ist ein schöner Anfang eines mir ansonsten wenig nahekommenden Textes; ich habe ihn vor einigen Wochen ganz gelesen und konnte mich schon ein paar Stunden später nur mehr wenig daran erinnern. Außer dass er in diesem besonderen Duktus geschrieben ist – ich mag ja das Wort »Sprech« nicht, aber da passt es jedenfalls recht gut – in so einem Für-die-Jury-des-Bachmann-Preislesen-Sprech geschrieben ist. Würde es die große Sendung »Wetten dass« noch geben, ich könnte dort nach drei Sätzen eines Textes sagen, ob der in Klagenfurt (ab 1990) vorgelesen wurde oder nicht. Bemerkenswert ist mir diese Textstelle aus »Frösche im Meer« (diese Sprech-Sache gilt im Übrigen auch für alle Titel dort) – neben dem schon angedeuteten Wohlklang – vor allem durch einen Punkt erschienen, sie ist falsch.
Zumindest wenn man kleinlich, wie ich es bin, wäre. Richtig ist, dass Kinder Polizisten oder Ärzte werden wollen. Falsch ist, dass »niemand sagt, er möchte Müllmann werden«. Meine Tochter tut das nämlich. Sie will Polizistin werden, meistens wenn wir mit dem Rad in die Kinderkrippe fahren, ansonsten gerne auch Ärztin oder noch lieber Krankenschwester. Sie besteht übrigens auf Krankenschwester; was tu ich mir an, den Terminus Pfleger bzw. Pflegerin dauernd auf den Lippen zu führen, »nein Papa, Krankenschwester«. Egal, sie ist halt Kapitalistenkind. Und sie will auch »Müllabfuhr« werden. Da gibt es noch eine Unschärfe in der Bezeichnung. Wie es auch ein unsichtbares Band zwischen Kindern und der Müllabfuhr gibt. Eltern wissen sowas. Die Begeisterung, wenn frühmorgens das Retourgangpiepsen des Müllwagens meine Kinder zum Fenster schießen lässt, wird den ganzen lieben langen Tag lang nur selten übertroffen. (Ok, Eiskönigin oder bei Omaopa sein.) Und wenn wir – eben am Rad – bei einem Müllwagenteam vorbeikommen, dann ruft sie mit voller Inbrunst »Hallo! Müllabfuhr, hallo! Grüß Gott!« Und ich sage Ihnen, wie diese, in aller Regel ausnehmend coolen Jungs (zumindest) der (Grazer) Müllabfuhr da von einer Sekunde auf die andere vom härtesten Malocher, der nichts anderes als seinen Job macht, zu einem unglaublich liebenswürdigen wie feinfühligen Wesen sich wandeln, das ein, zwei Augenblicke nur für meine Tochter da ist und genauso unglaublich liebenswürdig winkt und irgendwas Liebes zurückruft, das ist beinahe herzzereißend. Zudem ist es gute Erinnerung daran, dass wir die Damen und Herren – hätte ich jetzt fast geschrieben, aber ich kenne dort halt keine Damen – die Herren der Müllabfuhr also nur nie nicht unterschätzen sollten.
Jetzt müssen wir zum Schluss kommen, die wichtigen Themen habe ich alle nicht ansprechen können, ich schreib nur »Ischias«, vielleicht machen wir das im Herbst, vielleicht sind sie dann nicht mehr wichtig. Einen schönen Sommer!
Zur Lage #93, Fazit 145 (August 2018)
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