Steirischer Herbst: Lässt sich ein leicht angegrautes Festival neu erfinden?
Michael Petrowitsch | 4. Oktober 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 146, Kunst und Kultur
Die kurze Antwort von Michael Petrowitsch lautet »Ja!«. Lesen Sie hier seine längere.
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Keine Gnade« war das Festivalmotto des steirischen herbst 1986. Neben den großen »The Fall« traten damals auch »Laibach« auf. Mit Spannung pilgerte man zu jener Zeit über die Mur zu einer Halle beim Hoferparkplatz in der Nähe des gar nicht so schicken Lendplatzes. Gentrifizierung auf der einen Seite, Provokation, Slavoj Žižek, Spiel mit Totalitarismen etc. auf der anderen … Wir erinnern uns.
Mittlerweile sieht Graz anders aus. Gebäudetechnisch ist einiges passiert, veranstaltungsmäßig und atmosphärisch ohnehin. Der Bedarf an »kritischer Kunst« ist jedoch weiterhin gegeben! Erwartungsvoll war man dieser Tage auf »das Neue«, weil irgendwie viel als »neu« angepriesen wurde. Handelnde Personen inklusive. Keine wirkliche Gnade kannte man auch für Ekaterina Degot und ihr Team, das in relativ kurzer Vorlaufzeit ein Traditionsfestival neu erfinden musste. Dies in einer Stadt, in der bürgerliche und politische Bedürfnisse stark in kulturelle Gegebenheiten einfließen. Zudem war durch eine megalange Anwesenheit der Vorgängerin (diese hat fast ein Viertel der Festivalgeschichte geprägt) alles ein wenig zu, wie darf ich sagen, zu geordnet erschienen. Man war gespannt, denn die neue Intendanz hat neu aufgestellt. Der Herbst war nicht tot, er hat nur ab und zu ein wenig komisch gerochen, so ist das halt, wenn man älter wird …
Mit einer schärferen Ausrichtung und vor allem angedachten stärkeren Internationalisierung tut man ihm freilich etwas Gutes. Ein Ansinnen, das auf die Schnelle gar nicht so einfach umzusetzen ist. Also gemach mit den Volksfronten.
Symbolisch ging man schon am Eröffnungstag neue Wege und zwar nicht in die Listhalle, sondern vom Bahnhof durch die Keplerstraße bis zum Schlossberg, um eben Laibach zu huldigen. Die versuchten es diesmal mit explizit tagespolitischer Grundaussage. Ein aufgelegtes Leitmotiv ist die allgemeine politische Entwicklung in Österreich und Europa, eine sichere Bank sozusagen. Die Wichtigkeit dieser einen von vielen Funktionen von Kunst nämlich als Regulativ sieht auch Heinz Wietrzyk als Aufsichtsratsvorsitzender. Und natürlich wäre eine Schau mit rein ästhetischem Anspruch verfehlt (außer man bastelt ein Konzept drum herum). »Das Politische« muss also hier in einem Festival sein, das ohnehin schon politisch und ästhetisch hoch diskursiv sein muss. »Das gehört zu seiner DNA!«, doziert Ernst Brandl als Aufsichtsratsmitglied, wiewohl er einräumt, dass Provokation und Stil zusammenhängen müssen. Provokation als Staffage »hat mit einem Avantgarde-Festival« seiner Meinung nach wenig zu tun. Aber das liegt unserer Meinung nach ja dann doch wieder im Auge bzw. in der Fähigkeit zur Reflexion des Betrachters.
Und es gibt ihn, den starken Miteinbezug des Stadtbildes mit »schweren Zeichen« (Jean Baudrillard), um mehr als »nur« das Kunstpublikum zu erreichen. Ein großes Anliegen. Das »Begreifen des Festivals als Gesamtausstellung« begründet Henriette Gallus als stellvertretende Intendantin mit langer Documenta-Erfahrung ihr Ansinnen. Vieles ist ortsspezifisch »mit globaler Relevanz« und mit dem bewussten Impetus, mehr Öffentlichkeit zu erreichen. Für Gallus steht die »Hoffnung auf die reinigende Kraft der modernen Kunst, die die Bevölkerung mit ihrer gescheiterten Aufklärung versöhnt« an vorderer Stelle. Dass sich der Herbst von seiner internationalen Relevanz her in eine Richtung »Documenta« entwickeln könnte, bejaht sie nachdrücklich. »Der politische Biss«, das möge es ausmachen, das ist das »Neue«!
Den Spagat zwischen lokalem (Mitein-)Bezug und Internationalität in einer Stadt, in der Kulturbürger ein starkes Gewicht haben, ist von jeher gleichermaßen schwierig wie spannend gewesen. Künstlerhausleiter Sandro Droschl etwa würdigt die neue Intendantin als interessiert am Begriff des Politischen mit dem Hinweis, dass dies »im steirischen Kulturleben ein durchaus beliebtes Interessensfeld« ist.
Die angesprochenen »schweren Zeichen« finden sich heuer im öffentlichen Raum. Das begann bereits mit der Konzeption der Presseführung: Start im Volkshaus, Ende bei den Minoriten oder der Installation »Smrt fašizmu. Sloboda narodu« auf dem Dach der Arbeiterkammer. Die Aktion von Ernst Logar und Heimo Halbrainer an einem Ort der Unruhe. Der in der Belgierkaserne an den NS-Terror im öffentlichen Raum erinnert. Auch indoor geht’s spannend zu, die Lokalmatadoren (apropos Partizipation) lassen sich nicht lumpen. Anspieltipps: Im Haus der Architektur präsentiert die junge »ostdeutsche« Henrike Naumann eine andere Version des Anschlusses am Beispiel der DDR und dem Einzug von Neumöblierung im Kontext mit »Faschisierung« als Installation zu einem Showroom für Möbel aus dem Jahr 1990. Alles ist voll mit Teppichmustern, Tapetenproben und sich türmenden Vorhanglandschaften.
Weitere »schwere Empfehlungen« sind die, wie immer stark diskursiven Schauen im Rotor, im Grazer Kunstverein, bei der Camera Austria, dem Forum Stadtpark (Milica Tomić hat 20 Kubikmeter Erde in das Haus gebracht) und bei den Minoriten.
Mit Änderungen tut man sich hierzulande oft schwer. Die österreichische Gemütlichkeit tut ein weiteres. Wir haben einem gelungenen Neustart beigewohnt, die Zeichen für 2019 und die Zeit danach stehen gut.
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Alles Kultur, Fazit 146 (Oktober 2018) – Foto: Mathias Völzke
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