Wenn es eng wird
Carola Payer | 3. Oktober 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 146, Serie »Erfolg braucht Führung«
Persönliche Krisen in Kleinstunternehmen. Gespräch von Carola Payer mit Ingrid Friedl, der Geschäftsführerin eines Friseursalons.
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Pionierinnen und Pioniere schaffen Arbeitsplätze. Klein-, Kleinst- und Mittelbetriebe prägen die Wirtschaft. Neun von zehn Kleinstbetrieben haben maximal fünf Mitarbeiter. Die meisten halten auch in schwierigen Zeiten an ihren Mitarbeitern fest. Aber, was ist, wenn die Eigentümerin, der Chef selbst in der Krise sind? Ingrid Friedl, seit 25 Jahren Unternehmerin in der Friseurbranche, wurde von so einer Krise von einem Tag auf den anderen überrascht. Nach langer Zeit als Partnerin eines Salons in Graz führt Sie seit zehn Jahren als Eigentümerin ein Geschäft mit vier Mitarbeiterinnen in Wundschuh.
Raus aus der Routine – plötzlich ist alles anders
Jeder kann einmal über einen kürzeren oder auch längeren Zeitraum ausfallen – sei es durch Unfall oder Krankheit. Fast jeder Unternehmer hat einen Plan B, falls es erforderlich ist, drei bis vier Wochen nicht zu arbeiten. Aber wie sieht es aus, wenn die Arbeitspause viel länger sein muss? Diese Information bekam Ingrid Friedl völlig überraschend bei einer Routineuntersuchung 2013 im Alter von 52 Jahren. Keine vorausgehenden Schmerzen, keine Form einer Ankündigung. Diagnose: Brustkrebs. Ingrid Friedl bei der Frage, was ihr erster Gedanke war: »Ich muss ehrlich sagen, ich habe nicht als Erstes ans Geschäft gedacht. Ich dachte an meine Tochter und: »Ich will meine Enkelin aufwachsen sehen«. Die intensiven Behandlungen und Therapien erforderten von ihr ein fast einjähriges Fernbleiben vom Betrieb. Ingrid Friedl: »Die Chemo- und Alternativtherapien haben mich so geschwächt, ich hatte gar nicht die Kraft, die Arbeit zwischendurch aufzunehmen. Ich konnte auch den Geruch der Mittel nicht ertragen. Ich brauchte die ganze Kraft, um mich auf mich zu konzentrieren.« Professor Hendrik Berth, Medizinpsychologe des Uniklinikums Dresden, bestätigt die Notwendigkeit eines kompletten Rückzuges: »Ich bin definitiv dagegen, dass während einer Krebstherapie noch weiter gearbeitet wird.« Die allermeisten Chemotherapien gehen nicht nur mit körperlicher Erschöpfung einher, sondern auch mit kognitiven Einschränkungen. Die Konzentrations- und Gedächtnisleistungen werden vermindert«, sagt Berth. Die Tätigkeit für das Unternehmen macht demnach noch kränker. »Die Arbeit stellt eine weitere Belastung dar und führt dazu, dass der Genesungsprozess verzögert wird«, so der Psychologieprofessor. Aus der wissenschaftlichen Forschung ist bekannt, dass beispielsweise Stress den Ausbruch von Erkältungen begünstigt. Dementsprechend könne man zusätzliche arbeitsbedingte Belastungen neben einer Krebserkrankung als ungesund betrachten. Das Weiterarbeiten sei während einer Chemotherapie also nicht empfehlenswert – weder seitens des Erkrankten noch seitens der Firma.
Herausforderung – die eigene Arbeitskraft kompensieren
Wie gelingt ein vollständiger Rückzug in einem so personenbezogenen Dienstleistungsgeschäft, mit einer hohen Affinität der Kunden von ihrem Friseur oder ihrer Friseurin betreut zu werden? Moser, Professor für Managementkompetenzen an der Europäischen Fachhochschule, meint dazu: »Ein kooperatives, wertschätzendes Klima innerhalb der Belegschaft ist ein Grundpfeiler, um eine krankheitsbedingt geschwächte Führung auszugleichen.« Auch Ingrid Friedl weist darauf hin, dass in der Krise ihr jahrelanges Fördern einer guten Teamarbeit hier Früchte gezeigt hat. »Ich sorge immer dafür, dass es den Mitarbeitern gut geht. Ich möchte, dass alle gerne arbeiten gehen. Ich bin auf Augenhöhe mit meinen Mitarbeitern und gehe mit ihnen um, wie ich es auch gerne möchte. Ich denke, dass hat dazu beigetragen, dass auch alle in der schwierigen Zeit hinter mir gestanden sind, zu mir gehalten haben und vor allem die Situation nicht ausgenutzt haben. Manchmal heißt das aber auch, sich von guten Mitarbeitern zu trennen, weil sie nicht ins Team passen. Hier wartet man vielleicht als Kleinstunternehmen aufgrund einer vermuteten Abhängigkeit zu lange.« Persönliche Krisen zeigen auch, was sich Kleinstunternehmen ohne Budget für Personalentwicklung vorher durch gute persönliche Führungsarbeit erarbeitet haben. Auch eine positive Fehlerkultur sei förderlich. »Dann kann die Belegschaft leichter akzeptieren, dass der CEO nicht voll einsatzfähig ist«, erklärt Professor Moser.
Verantwortung abgeben, loslassen und durch qualitative Kommunikation in Verbindung bleiben
Ingrid Friedl betont, dass es wichtig war, Mitarbeiter zu haben, die in dieser Phase auch bereit waren, mehr Verantwortung zu übernehmen. Mitarbeiter, die auch »Blick für das Ganze haben«. Selbst auch Verantwortung vollkommen abzugeben und zu vertrauen, war Voraussetzung. Ingrid Friedl »Sich keine Sorgen zu machen, war für mich ein Schlüssel um Kraft für die Genesung zu haben und ‚willigen‘ Mitarbeitern Raum zu geben. Auch mein Lebenspartner hat mir sehr geholfen, mich sogar darauf einzulassen, vollkommen von der Vorstellung, dass es muss so weitergehen müsse wie bisher, loszulassen. Er hat mich aufgemuntert und unterstützt. Kommunikation wurde auf qualitativen Austausch reduziert. Anrufe der Mitarbeiter waren die Informationsbrücke zum Geschäft.«
Lerneffekte aus der Krise – Kleinstunternehmer brauchen einen gesunden Egoismus
Für Ingrid Friedl ergeben sich folgende Lernfelder aus ihrer persönlichen Krankheitsgeschichte: » Ich habe mein Leben lang gearbeitet, viel gearbeitet, mir jeden Tag viel zu viel vorgenommen. Wollte immer alles fertig machen. Sowohl im Geschäft als auch zu Hause. Man muss als Kleinstunternehmer funktionieren, man hat einen großen Druck. Schwangerschaften, Krankheiten, Ausfälle, Urlaube müssen oft durch einen selbst kompensiert werden. Personen, die ganz wegfallen und Kunden mitnehmen, können schnell riesige Budgetlöcher hinterlassen.
Ich achte jetzt viel mehr auf mich. Esse gesünder, genieße mehr, stresse mich weniger. Ich bin auch mehr daheim. Nehme mir mehr freie Zeit für mich und für wichtige Beziehungen. Die Arbeitstage wurden reduziert. Ich musste auch lernen, nix zu tun und meine Muster zu verändern.« Kleinstunternehmer legen ihre höchste Priorität meist auf ihr Unternehmen und ein sehr intensives Einstellen auf die Kunden. Dann werden noch die Rollen im privaten Umfeld erfüllt. Auf der Strecke bleibt die eigene Ressource, die sich dann eventuell mit extremeren Krankheitsbildern meldet, um wieder wahrgenommen zu werden. Gesunder Egoismus statt permanenter Altruismus ist angesagt. Verantwortung ist gut fürs Geschäft – Verantwortung und Achtsamkeit für sich selbst aber genauso bedeutend.
Ingrid Friedl: »Ich nehme mein Geschäft gleich ernst wie vor der Krankheit. Jedoch bedeutend relaxter und mit weniger Zeit vor Ort. Ich ärgere mich nicht mehr über Dinge, die ich nicht ändern kann. Ich mach mir keine Sorgen. Ich hör mehr in mich rein. 20 Prozent an Kunden, die ich verloren habe in dieser Zeit (danke an die 80 Prozent, die auch Vertrauen in die Vertretung durch meine Mitarbeiterinnen gelegt haben!), wurden ausgeglichen durch mehr Lebensqualität, die ich gewonnen habe. Ich freue mich, wenn mein Kind sagt: »Mama, du bist viel relaxter …«
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Ingrid Friedl, Geschäftsführerin des Friseursalon »Haartreff« in Wundschuh, 57 Jahre alt, 25 Jahre Unternehmerin, 10 Jahre mit Salon in Wundschuh, Lehre zur Friseurin, dann angestellte Friseurin und danach Unternehmerin. haartreff.com
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Dr. Carola Payer betreibt in Graz die »Payer und Partner Coaching Company«. Sie ist Businesscoach, Unternehmensberaterin und Autorin. payerundpartner.at
Fazit 146 (Oktober 2018), Fazitserie »Erfolg braucht Führung« (Teil 17)
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