Lehrlingsmangel
Redaktion | 20. Dezember 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 149, Fazitthema
Seit Jahren gehört der Fachkräftemangel zu den größten Wachstumsbremsen, mit denen sich die österreichischen Betriebe konfrontiert sehen. Die Babyboomer verabschieden sich in die Pension und der Nachwuchs entscheidet sich immer öfter für die Matura als für eine Lehre. Außerdem spielt die Work-Life-Balance eine immer wichtigere Rolle. Text von Johannes Tandl.
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Die gute Nachricht vorweg: Im Vorjahr sind 4.700 junge Steirerinnen und Steirer in eine Lehrlingsausbildung gestartet – 90 Prozent in einem Betrieb und 10 Prozent in einer überbetrieblichen Ausbildungsstätte. Gegenüber 2016 ist das ein Plus von 1,8 Prozent. Und sogar der Anteil der Lehranfänger bei den 15-Jährigen ist um 0,4 Prozent auf 41,6 Prozent gestiegen.
Langfristig befindet sich die Lehre dennoch auf einem absteigenden Ast. Seit dem Jahr 2000 ist die Gesamtzahl der steirischen Lehrlinge um ein Viertel von über 20.000 auf etwa 15.000 zurückgegangen. Der demografische Wandel hinterlässt auch hier seine Spuren.
Fachkräftemangel als Wachstumsbremse
Langfristig hat das fatale Folgen für die Wirtschaft. Ein Unternehmen, das seine Facharbeiterstellen nicht besetzen kann, kann auch nicht wachsen. Und so bezeichnet der Großteil der Manager – über beinahe alle Sparten hinweg – den Fachkräftemangel inzwischen als größte Herausforderung für die Zukunft der Betriebe.
Die sinkenden Geburtenzahlen haben längst zu einem Kampf um die Jugendlichen geführt, der zwischen den Ausbildungsbetrieben und den weiterführenden Schulen ausgetragen wird. Dabei wären viele Jugendliche, die sich an die Matura wagen, in einem Beruf besser aufgehoben als in der Schule. Davon ist auch die steirische Bildungsdirektorin Elisabeth Meixner überzeugt. Sie konstatiert zudem, dass viele Lehrabsolventen bessere Verdienst- und Karrierechancen haben als Maturanten. Der Trend zur höheren Bildung sei jedoch Teil des Aufstiegsmythos. Bei 15-Jährigen entscheiden vor allem die Eltern über die Ausbildungskarriere. Und die Mütter und Väter sind immer noch davon überzeugt, dass sie ihrem Kind über die Schule, die es besucht, zu einer höheren sozialen Position verhelfen können. Der Run auf die AHS ist daher trotz des Geburtenrückgangs ungebrochen.
So viele Schulen bei so wenigen Schülern
Dass die Gymnasien in der Folge so viele Jugendliche wie möglich von der Unterstufe in die Oberstufe mitnehmen wollen, ist verständlich. Denn es geht um Lehrerstellen und damit ums Geld. Daher gibt es neben dem klassischen humanistischen und naturwissenschaftlichen AHS-Zweigen inzwischen auch kreative, sportwissenschaftliche oder englischsprachige Oberstufenklassen. Damit versuchen die Direktoren, die Eltern und Schüler gegen die Abwerbungsversuche der höheren weiterführenden Schulen und natürlich auch möglicher Ausbildungsbetriebe zu immunisieren.
Aus Sicht von Wirtschaftskammerpräsident Josef Herk wird die Auseinandersetzung um die Jugendlichen nicht immer mit fairen Mitteln geführt. So wird die Lehre von den Oberstufenschulen oft als zweitklassige Ausbildungsform abgetan, obwohl etwa die technischen Berufe nicht nur eine spannende und steile Karriere, sondern auch entsprechend hohe Einkommen in Aussicht stellen.
Das Image der Lehre holt auf
In zahlreichen Kampagnen versucht die Kammer gemeinsam mit den Ausbildungsbetrieben daher das Image der Lehre aufzuwerten und den falschen Eindruck von der dualen Ausbildung, den es vor allem unter den Eltern immer noch gibt, zurechtzurücken. Das Sprichwort »Lehrjahre sind keine Herrenjahre« hat seine Gültigkeit längst verloren. Die Unternehmen kämpfen mit immer aufwendigeren »Castings« und »Incentives« um die hellsten Köpfe unter den 15-Jährigen.
Langsam, aber sicher entfalten diese Kampagnen tatsächlich ihre Wirkung. Denn der langjährige Trend, dass sich immer weniger Jugendliche für eine Lehrausbildung entscheiden, konnte heuer zumindest gestoppt werden.
Die Lehre ist verantwortlich für die geringe Jugendarbeitslosigkeit
Der größte Vorteil der Lehre liegt im Vergleich zur schulischen Ausbildung wohl darin, dass sie immer »up to date« bleibt. Wenn sich die Produktionsmethoden ändern oder der Arbeitgeber in neue Entwicklungen investiert, hat das unmittelbare Auswirkungen auf die betriebliche Lehrlingsausbildung. Denn kein Unternehmen will seinen Mitarbeitern Methoden und Dinge beibringen, die nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen. Im Vergleich dazu hinken die Schulen oft weit hinterher. Und je schneller sich etwa durch die Digitalisierung die Berufsbilder verändern, desto größer wird der Unterschied zwischen betrieblicher und schulischer Ausbildung.
Außerdem folgt im Anschluss an jede schulische Ausbildung die Notwendigkeit der Arbeitssuche und der Erstintegration in den Arbeitsmarkt. Da der Großteil der Lehrabsolventen nach der LAP von ihren Ausbildungsbetrieben übernommen wird, fällt dieser Aspekt der Jugendarbeitslosigkeit im Zuge der dualen Ausbildung weg. Und so lag die Arbeitslosigkeit bei den 15- bis 24-Jährigen im Vorjahr in Österreich bei vergleichsweise geringen 9,8 Prozent, während etwa in der gesamten Eurozone 18,8 Prozent arbeitslos waren. Österreich liegt damit innerhalb der EU-28 hinter Deutschland, Tschechien und den Niederlanden auf dem vierten Platz. Abgeschlagen sind immer noch Griechenland mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 43,6 Prozent und Spanien mit 38,6 Prozent.
Um die duale Ausbildung wird Österreich weltweit beneidet
Die duale Ausbildung gilt weltweit als vorbildlich. Bei internationalen Vergleichskämpfen wie den EuroSkills und den WorldSkills demonstriert der österreichische Fachkräftenachwuchs regelmäßig sein enormes Leistungspotenzial. Heuer im September traten österreichische Lehr- und HTL-Absolventen in Budapest bei den »EuroSkills 18« in 40 Disziplinen gegen die besten Fachleute Europas an. Mit 21 Medaillen erreichte das Team Austria hinter Russland den sensationellen zweiten Platz und machte beste Werbung für die »EuroSkills 20«, die bekanntlich zwischen 16. und 20. September 2020 in Graz ausgetragen werden.
Veranstaltet werden die EuroSkills von der Wirtschaftskammer. Der steirische WKO-Präsident Josef Herk will damit die berufliche Bildung und Ausbildung in ganz Europa aufwerten und das Bewusstsein für die Bedeutung gut ausgebildeter Fachkräfte weiter steigern. Von den EuroSkills soll, so Herk, ein kräftiger Impuls für das Image der Lehrberufe in einer sich dynamisch verändernden Arbeitswelt ausgehen. Er sieht in Bewerben wie den EuroSkills eine Chance, das duale Ausbildungsmodell gemeinsam mit den europäischen Partnern weiterzuentwickeln.
Immer mehr Ausbildungsbetriebe geben auf und setzen auf angelernte Kräfte
Seit 2007 ist die Zahl der Lehrbetriebe von knapp 40.000 auf 29.000 österreichische Unternehmen geschrumpft. Natürlich ist auch die Anzahl der betrieblich ausgebildeten Lehrlinge im gleichen Zeitraum gesunken; und zwar von 127.000 auf 98.000. Den Höchststand an Lehrlingen gab es mit 194.000 übrigens im Jahr 1974. Aber damals waren die Geburtsjahrgänge doppelt so stark. Und die Maturantenquote betrug unter fünf Prozent, es gab kaum berufsbildende höhere Schulen und auch die erste österreichische Fachhochschule wurde erst 20 Jahre später gegründet.
Viele Betriebe haben die Ausbildung aufgegeben, weil sie ohnehin keine geeigneten Bewerber finden. Außerdem ziehen sich immer mehr Arbeitgeber aus der Ausbildung von Nachwuchskräften für den eigenen Bedarf zurück, weil sie fürchten, dass ihre gut ausgebildeten Lehrlinge zu lukrativeren Verdienstmöglichkeiten in der Industrie abwandern. Statt auf Lehrlinge setzen sie auf angelernte Arbeiter. Die verdienen am Anfang zwar mehr als ein Lehrling, aber die Gefahr, dass sie abgeworben werden, ist viel kleiner. Der Lehrlings- und Facharbeitermangel hat daher auch die Jobchancen von gering bzw. falsch Qualifizierten deutlich erhöht. Trotzdem hängt die Arbeitslosigkeit stark vom Bildungsniveau ab. Von den aktuell 377.000 österreichischen Arbeitslosen verfügen 47 Prozent nur über einen Pflichtschulabschluss, 28 Prozent haben eine Lehre abgeschlossen, 17 Prozent sind mittel bzw. höher qualifiziert und 8 Prozent sind akademisch gebildet.
Obwohl Arbeitsmarktexperten nicht gerne von einer Sockelarbeitslosigkeit sprechen, scheint es sie dennoch zu geben. Denn trotz aktuell 41.000 steirischen Arbeitslosen konnten von 16.000 im letzten Jahr entstandenen neuen steirischen Jobs nur 5.000 mit österreichischen Arbeitssuchenden besetzt werden. 11.000 Arbeitsplätze wurden mit ausländischen Bewerbern besetzt. Vor diesem Hintergrund ist die Ausweitung der Mangelberufsliste – das sind Berufe, die auch mit Drittstaatsangehörigen besetzt werden können – durchaus nachvollziehbar.
Das Handwerk bleibt die wichtigste Ausbildungssparte
Den wichtigsten Ausbildungspartner für eine Lehre in der Steiermark stellt nach wie vor die Sparte Gewerbe und Handwerk. Sie bildet über 40 Prozent der Lehrlinge aus. Spartenobmann Hermann Talowski glaubt nicht, dass sich das in absehbarer Zeit ändern wird Die Zahl der Lehrstellen ist für ihn nicht das Problem. Aufgrund der demografischen Entwicklung und der großen Konkurrenz durch die weiterführenden Schulen gibt es jedoch viel zu wenig Bewerber. Und er ortet bei vielen Jugendlichen eklatante Mängel in elementaren Kompetenzen. Die Verantwortung schreibt er aber nicht den Schulen, sondern der schlechten wirtschaftlichen und sozialen Situation in vielen Familien zu. Das Desinteresse der Eltern an der Ausbildung geht daher mit einer entsprechenden Perspektivenlosigkeit einher.
»Employer Branding« und Unternehmensimage
Für kleinere Unternehmen wird es gerade in infrastrukturell benachteiligten Regionen immer schwieriger, Lehrlinge zu rekrutieren. Firmen, die es sich leisten können, sind daher dazu übergegangen, sich aktiv bei den jungen Menschen zu präsentieren. Mit besonderen Angeboten versuchen sie, die Jugendlichen für sich zu gewinnen. Die Zeichen der Zeit erkannt hat man etwa beim Autobauer Magna. So unterhält das Unternehmen an der HTL-Fachschule in Weiz eine eigene »Magna-Klasse«. Die oststeirischen Magna-Betriebe machen in Sachen Lehrlingssuche bereits seit 2010 gemeinsame Sache. Die ausgewählten Schüler absolvieren an der HTL Weiz ihr neuntes Schuljahr und werden speziell auf die Erfordernisse des Unternehmens hin ausgebildet. Überregional agierende Firmen tun sich freilich leichter, sich als hervorragende Arbeitgeber im allgemeinen Bewusstsein zu positionieren und sich so von anderen Wettbewerbern am Arbeitsmarkt positiv abzuheben. Dieser Strategie des »Employer Branding«, mit der sie talentierte Jugendliche an sich zu binden versuchen, folgen auch weitere Unternehmen wie etwa die Voestalpine, die AVL, Anton Paar oder Knapp Logistik. Mit regionalen Qualifizierungsnetzwerken, wie etwa dem Metaller-Ausbildungsverbund in Voitsberg, versuchen auch kleinere Betriebe, ihren Image-Nachteil wettzumachen und an gut qualifizierte Lehranfänger zu gelangen.
Als Land ohne nennenswerte Rohstoffe verdankt Österreich seine wirtschaftlichen Erfolge in erster Linie der Innovationskraft der Unternehmen, von denen sich viele seit Jahren erfolgreich in ihren Nischen behaupten. Doch dazu brauchen die Betriebe hochmotivierte und gut ausgebildete Mitarbeiter. Und weil die demografische Situation ist, wie sie ist, sind sie in Zukunft noch stärker als in der Vergangenheit auf talentierte jugendliche Migranten angewiesen, die sich für eine Lehre eignen. Dass die Wirtschaft mit Fassungslosigkeit hinnehmen muss, dass abgelehnte Asylwerber in einem Lehrverhältnis abgeschoben werden, obwohl sie über die Mangelberufsliste nach ihrer Ausbildung sogar als Drittstaatenangehörige bei uns arbeiten dürften, ist nachvollziehbar.
Fazitthema Fazit 149 (Jänner 2019), Foto: Archiv
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