»In einer Stunde muss ich sterben«
Redaktion | 3. Juni 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 153, Kunst und Kultur
Heimo Halbrainer, Leiter von Clio (Verein für Geschichts- und Bildungsarbeit) und Mitarbeiter am Centrum für Jüdische Studien und Forscher über Widerstand in der NS-Zeit, hat ein vergriffenes Buch wiederaufgelegt.
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Der Große Schwurgerichtssaal im Landesgericht für Strafsachen Graz war nicht umsonst Schauplatz der Präsentation einer Neuauflage eines vergriffenen Buchs mit dem Titel »Wenn einmal die Saat aufgegangen,…« des Grazer Historikers Heimo Halbrainer. »Letzte Briefe steirischer Widerstandskämpferinnen und -kämpfer aus Todeszelle und Konzentrationslager«, so der Untertitel.
Straflandesgerichtspräsidentin Caroline List und der designierte Rektor Martin Polaschek von der Karl-Franzens-Universität Graz erinnerten bei der Begrüßung der zahlreich erschienenen Zuhörer, unter ihnen auch Vertreter der jüdischen Gemeinde, der katholischen Kirche und der Kommunisten, unter anderem daran, dass auch in diesem Haus Todesurteile des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs vollstreckt wurden, gleich nebenan, im Keller. Dass es auch hier war, wo Peter Strauß nach der Wiedereinführung der Todesstrafe in Österreich in der Ersten Republik als Erster von einem Standgericht verurteilt und hingerichtet wurde. Und dass es auch hier war, wo der ehemalige SS-Führer Franz Murer, Leiter des Ghettos von Vilnius, freigesprochen wurde. Das war 1963 und endgültig 1974. Der Fall Murer wurde 2018 als Prozesssaalkrimi verfilmt.
Autor Heimo Halbrainer verwies unter anderem auf den Umstand, dass es gerade auch die Widerstandskämpfer waren, die es ermöglichten, die Forderung der Alliierten und die Bedingung für den Staatsvertrag zu erfüllen, nämlich den Nachweis zu erbringen, dass Österreich einen eigenen Beitrag zu seiner Befreiung geleistet habe. Das Buch (Verlag Clio) ist, wie schon die Erstauflage aus dem Jahr 2000, sehr personenbezogen, alle Briefschreiber werden namentlich vorgestellt, nach Möglichkeit mit Fotos, Biografien und Daten, was es zu einem berührenden Zeitdokument macht. Es sind viele Personen hinzugefügt worden und es wurde zur Gänze überarbeitet. Schauspieler August Schmölzer, der sich um die Neuerscheinung verdient gemacht hat, las aus den Briefen vor und erschütterte das Publikum, machte es aber auch staunen ob der Gefasstheit so mancher letzter Zeilen: »Lieber Mann! In einer Stunde muß ich sterben. Vorkämpfer muß es immer geben, nur daß ich das Ende dieses Krieges nicht mehr erleben kann, tut mir leid.« So die Marxistin Helene Serfecz – und an ihren Enkel gewandt: «Mein liebes Enkelkind! Sei nicht böse, daß ich im Kerker sterben muß … Sei schön brav und werde wie deine Omama.« Im Keller des Hauses in der Conrad-von-Hötzendorf-Straße liegt als Mahnmal noch das Fallbeil, mit dem sie und 105 andere bis 1945 geköpft wurden. Seit 2011 ist in Graz ein Platz nach ihr benannt.
Alles Kultur, Fazit 153 (Juni 2019), Foto: Lupi Spuma
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