Politische Familie
Peter K. Wagner | 3. Juni 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 153, Fazitgespräch
Die ehemailige Frauen- und Familienministerin Juliane Bogner-Strauß über Politik zum Frühstück und zum Mittagessen, skandinavische Vorbilder und die ökonomische Unvernunft der Österreicherinnen.
Das Gespräch führten Johannes Tandl und Peter K. Wagner.
Fotos von Jacqueline Godany.
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Ganz weiß, nahezu steril ist der Boden; fast wie in einem Labor. Doch das Büro von Juliane Bogner-Strauß soll nicht an den früheren Beruf der einstigen Wissenschaftlerin mit Spezialgebiet Biochemie erinnern. Hier steht Helligkeit und Reduktion im Stilbuch.
Auch war die Gastgeberin gar nicht die Planerin. »Ich habe das Büro in dieser Form von Sophie Karmasin übernommen«, sagt sie. Schön sei es, ja. »Aber aufgrund der vielen Fensterfronten kann es im Sommer sehr heiß werden.«
An diesem Donnerstag Anfang Mai ist es draußen kühl genug, um hier oben lediglich die Aussicht genießen zu können. 45 Minuten kann sich die Familien- und Frauenministerin Zeit fürs Fazit nehmen. Und steckt voller Tatendrang.
Die Realität des folgenden ausführlichen Gesprächs ist jene vor einem der größten Paukenschläge der modernen österreichischen Politikgeschichte. Denn Ibiza galt damals hierzulande noch ausschließlich als Synonym für Urlaub.
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Frau Minister, Sie kommen beruflich aus keinem klassischen ÖVP-Umfeld, sondern aus einem akademischen und hatten lange eine Professur an der Technischen Universität in Graz. Müssen Sie sich in Ihrem Bekanntenkreis rechtfertigen, Politikerin geworden zu sein?
Rechtfertigen musste ich mich noch nie. Ich wüsste auch nicht, wofür. Meine Bekannten haben bedauert, dass ich den Job gewechselt habe. Als Wissenschaftlerin war ich ganz vorne dabei in meinem Gebiet. Aber andererseits haben sie meinen Mut bewundert, diesen Schritt zu setzen. Als Wissenschaftlerin ist man in einem Kämmerchen, in der Politik ist man stets Person öffentlichen Interesses. Das war auch für mich eine große Umstellung.
Wie gehen Sie mit dieser Umstellung um?
Ich habe mir einige Dinge zurechtgelegt. Zum Beispiel konsumiere ich abends keine Medien. Es ist teilweise unangenehm, all das, was auf einen einprasselt, mit in den Schlaf zu nehmen.
Der Kick der Politik war also die neue Herausforderung?
Ich bin politisch aufgewachsen. Mein Vater war sehr lange Gemeinderat und auch Vizebürgermeister. Bei uns gab es Politik zum Frühstück und zum Mittagessen. Christopher Drexler ist ein Jugendfreund von mir. Mein Mann ist auch sehr politikaffin. Außerdem hat er in der gleichen Gasse wie Joschi Krainer gewohnt. Politik war immer in unserem Leben. Als ich gefragt wurde, war ich dennoch sehr überrascht, habe mich allerdings auch sehr gefreut.
Welche Ambitionen leiten Sie aus Ihren ersten eineinhalb Jahren in der Politik ab?
So wie es mir aktuell gefällt, kann ich mir eine lange Zukunft in der Politik vorstellen. Ich werde nämlich von der Wissenschaft auch immer wieder gefragt, wann ich zurückkomme. Ich habe allerdings aktuell keine Ambitionen.
Sie lassen also zu, dass die Tür zufällt?
Nein, meine Tür geht nicht zu. Ich hatte eine assoziierte Professur, die unbefristet ist. Meine Türe würde also nie zugehen. Das ist ein Glück, dass ich in der Wissenschaft so weit gekommen war. Aber dennoch: Ich will mich weiter in der Politik bewegen. Familie, Jugend – vor allem die Frauen – da hau’ ich mich wirklich voll rein. Da ich von der Uni komme, bin ich auch ein großer Freund von Studien und Fakten. Ich stelle gerne fest, was emotionsbasiert ist und was auf Fakten beruht.
Frauenpolitik ist ein klassisch links besetztes Thema gewesen. Fühlen Sie sich in diesen linken Netzwerken vollwertig akzeptiert?
Es gibt stets gute Gespräche mit Vertreterinnen anderer Parteien. Frauenpolitik war sehr ideologisch besetzt, aber ich drehe das Ganze um. Ich möchte eben, dass es faktenbasiert ist. Ein Beispiel: Am Anfang meiner Zeit stand die fürchterliche Diskussion, warum wir die Familie und die Frauen in ein Ressort zusammengelegt haben. Aber ganz ehrlich: Wer sich intensiv mit der Thematik beschäftigt und hinterfragt, wo die Gleichstellung und -behandlung anfängt zu kippen, wo fängt es denn an?
Bei den Familien.
Danke. Ich glaube, gerade dort, kann man, wenn man beide Ressorts überhat, zusammen etwas bewegen. Wenn man in der Familienpolitik etwas tut, ist das sicher auch gut für Frauen. Da rede ich etwa von partnerschaftlicher Beteiligung in der Kindererziehung. Es gibt in Österreich ein Recht auf Elternteilzeit und Väterkarenz, aber die Männer nutzen es nicht. 80 Prozent gehen nicht in Karenz und verzichten damit auf den nicht übertragbaren Anteil des Kinderbetreuungsgeldes.
Ist das nicht einfach eine Frage des Einkommens? Wer mehr verdient, wird sich weniger beteiligen an der Kinderbetreuung.
Ja, aber das ist mir etwas zu kurz gegriffen. Es gibt vor dem ersten Kind kaum eine Einkommensschere in Österreich. Wir Frauen können jahrelang auf Einkommen verzichten? Das ist wirtschaftlich kein Problem? Aber ein Mann, der zwei Monate das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld wählt, das ist nicht möglich? Das funktioniert nicht mit meinem Faktenwissen.
Sie haben selber drei Kinder und nebenbei Karriere machen können. Auch Ihr Mann ist erfolgreich in der Autoindustrie tätig. Wie war das möglich?
Wir haben beide davon profitiert, dass man in Österreich bis zum Studienabschluss Gratisbildung erhält. Ich habe zwanzig Jahre lang in Schule und Universität verbracht. Und ich bin stolz, dass meine Eltern mir das ermöglicht haben, vor mir hatte niemand auch nur die Matura gemacht. Dann gab es für mich den Gedanken nicht, mich zurückzulehnen und der Wirtschaft nicht zur Verfügung zu stehen. Außerdem hat es mir immer Spaß gemacht. Frauen sind zwar im Durchschnitt besser ausgebildet als Männer – mehr Studienabschlüsse, mehr Maturantinnen –, gleichzeitig wird gesellschaftlich aber erwartet, dass die Frau nach der Geburt des Kindes für längere Zeit zu Hause bleibt oder nur in Teilzeit arbeitet. Ich habe dafür eine Bezeichnung: ökonomische Unvernunft. Das ist durchaus ein Problem Österreichs.
Mussten Sie Ihrem familiären Umfeld beweisen, dass Sie Familie und Karriere unter einen Hut bringen?
Natürlich hat meine Mutter mich gefragt, ob ich das wohl schaffen werde. Die Frage hat sie mir auch gestellt, als ich für die Nationalratswahl kandidiert habe. Als ich Ministerin werden konnte, hat sie mich nicht mehr gefragt. Da war sie nur noch stolz. Aber natürlich hört man diese Dinge, wenn man am Land aufwächst. Andererseits haben wir auch viel darüber diskutiert, was es heißt, zu Hause zu bleiben. Ich habe allerdings von meiner Mutter und Großmutter das Arbeiten vorgelebt bekommen. Meine Oma konnte nicht einmal kochen, weil sie stets im Weingarten war. Ich hatte weibliche Vorbilder, die Kinder hatten und gearbeitet haben. Das hat immer funktioniert. Bei mir auch. Aber es ist nicht immer leicht, das ist klar. Man muss viel planen, gute Kinderbetreuung haben und sich die Kindererziehung partnerschaftlich aufteilen. Sonst funktioniert es nicht.
Wie geht es Ihrem Mann dabei?
Das werde ich öfter gefragt, seit ich in der Politik bin. Aber ich habe auch in der Wissenschaft 60 Stunden die Woche gearbeitet.
Wie geht es Ihnen dabei, Ihre Kinder nicht aufwachsen zu sehen?
Haben Sie das schon einmal einen Mann gefragt? Danke, weiter.
Es gibt auch Männer, die sich diese Fragen stellen.
Schon, aber meist bekommen Frauen solche Fragen gestellt. Wir bekommen stets solche Fragen gestellt. Einen Mann fragt man das in Österreich nicht. Ich erziehe meine Kinder zu Hause und habe die Chance, diese Stereotypen abzubauen. Die Chance hat jeder zu Hause. Gleichstellung fängt zuhause an. Es gibt Länder, wo diese Stereotypen nicht so verankert sind. Ein Beispiel dazu: Es gibt eine coole Firma in Oberösterreich, die einen Geschäftsführer hat, der sehr familienaffin ist. Er sagte zu mir: Jeder Papa kann bei mir bei den Kindern bleiben, das kann ich planen. Aber ich habe 150 Sportunfälle im Jahr. Ich frage: Ist das kein Problem für die Unternehmen? Im Übrigen ist es Fakt, dass es sich auszahlt für Unternehmen, familienfreundlich zu sein. Es gibt weniger Fluktuation, die Mitarbeitermotivation ist höher und die Krankenstände sind kürzer. Das zweite Thema ist Women Empowerment: Ich appeliere an die Unternehmen, auch dieses Thema als betriebswirtschaftliches Benefit zu sehen. Es braucht zum Beispiel mehr »Topjob-Sharing«, um auch in Teilzeit eine Führungsposition ausüben zu kommen. In den Niederlanden arbeiten die Frauen mehr Teilzeit als bei uns. Es ist aber kein Thema, dass sie dabei Führungsverantwortung übernehmen.
Familie und Karriere heißt in vielen Haushalten ja noch immer: Kinder- und Hausarbeit plus Karriere. Helga Konrad war von 1995 bis 1997 als Frauenministerin tätig. Sie wollte mit der Halbehalbeaktion gesetzlich erreichen, dass die Frauen einen Rechtsanspruch darauf haben, dass die Männer die Hälfte der Hausarbeit erledigen müssen. Hat sich substanziell seit damals etwas geändert?
Es hat sich sicher etwas geändert, es gehen ja auch viel mehr Männer in Väterkarenz. Aber noch zu wenig. Wir sind weit entfernt von vielen skandinavischen Modellen, wo sich Männer nicht nur zwei oder drei Monate nehmen. In Island gibt es zwar nur neun Monate Kinderbetreuungsgeld, aber die Aufsplittung drei plus drei plus drei. Wenn der Partner nicht drei Monate nimmt, verfallen sie. In Österreich sind 20 Prozent für den Partner reserviert. Auch die verfallen, wenn man nicht aufteilt. Und weil es immer heißt, Männer können es sich nicht leisten, vom Beruf fernzubleiben: Es können sich offensichtlich 80 Prozent der Familien leisten, nicht das volle Kinderbetreuungsgeld in Anspruch zu nehmen. Deswegen glaube ich nicht so sehr an den wirtschaftlichen Faktor.
Sie haben schon vorher angesprochen, dass die Gleichstellung von Mann und Frau nach dem ersten Kind zu kippen beginnt. Ein großes Thema dabei ist der Gender Pay Gap. Was kann man dagegen tun?
Die Hälfte der Mädchen entscheidet sich nach wie vor für einen der drei Lehrberufe Frisörin, Einzelhandelskauffrau oder Bürokauffrau. Aber es wird immer besser. Das gilt auch für die Universität. Es werden immer mehr Frauen in technischen und naturwissenschaftlichen Studien, aber auch diese Frauen fallen oft aus dem Karriereschema, weil sie lange in Teilzeit gehen. Ein möglicher Ausweg kann sein, dass beide Eltern ein bisschen reduzieren – etwa auf 30 Stunden. Dann entsteht kein Nachteil.
Eine Ihrer ersten Initiativen als Ministerin war das Pensionssplitting. Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?
Es gibt etwas Vergleichbares bereits in Deutschland, dort tritt es nach der Scheidung in Kraft. In der Schweiz gibt es das Splitting nur für verheiratete Ehepaare. Mir geht es darum, dass wir eine Pensionsschere von 40 Prozent haben in Österreich, und wir müssen parallele Initiativen setzen, damit die Frauen vor Altersarmut geschützt sind. Der, der sich mehr ums Kind kümmert, soll in der Pension etwas davon haben. Warum nicht die Pensionsversicherungsanteile zwischen den Elternteilen aufteilen? Aber das alleine wird nicht reichen. Wir müssen mehr Bewusstsein dafür schaffen, was lange Teilzeitarbeit für die spätere Pension bedeutet.
Ein großes Thema ist auch die Gehaltstransparenz. Warum?
Weil die Einkommensberichte, die es in Unternehmen mit mehr als 150 Mitarbeitern schon gibt, nicht bekannt genug sind. Eine Studie aus dem Jahr 2015 besagt, dass 60 Prozent der Frauen nichts darüber wissen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dürften es lesen, wenn sie zum Betriebsrat gehen. Da haben wir Informationsbedarf. Es gibt gerade ein großes Projekt namens Equal Pay, da sind über 100 Unternehmen dabei und die freuen sich darüber, dass sie herausfinden können, wo die unbewusste Diskriminierung stattfindet. Ich traue mich wetten, dass die meisten Unternehmen unbewusst diskriminieren.
Verhandeln Frauen schlechter?
Frauen sollten öfter übers Geld reden, 100-prozentig. Und Unternehmen sollten sich überlegen, wie sie Arbeitsfelder bewerten. Da geht es um das Knowhow. Wir haben in Österreich als Ausnahme in Europa einen steilen Lohnanstieg. Wenn ich an Informatikerinnen denke: Warum soll jemand nahe an der Pension besser drauf sein als jemand, der das gerade studiert hat?
Braucht es Frauenquoten?
Ich war gerade im Haus der Europäischen Union und habe beim Europatag eine kurze Rede gehalten. Ich habe dort ein Plädoyer dafür gehalten, dass es schön wäre, wenn wir nach der EU-Wahl 50 Prozent Frauen im EU-Parlament hätten. Ich rufe auch immer zu Loyalität und Solidarität auf, dass Frauen Frauen unterstützen bei Wahlen. Da haben wir auch noch Luft nach oben. Frauen sind am besten durch Frauen vertreten. Das sieht man schon auf Gemeindeebene. Wenn Frauen in wichtigen Ämtern zur Hälfte vertreten sind, spiegelt das einfach die Gesellschaft wider.
Muss es gesetzliche Frauenquoten geben?
In Aufsichtsräten bringt es was, wie wir gesehen haben. Traurig finde ich, dass die Aufsichtsrätinnen mehr geworden sind, die Vorständinnen aber weniger. Auf der Universität gibt es auch eine Quote. Aber starre Quoten mag ich nicht, wenn ich ganz ehrlich bin. Wenn ich an meinen Mann denke, der in der Automobilbranche tätig ist: Woher nehme ich die Maschinenbauer? Maschinenbauerinnen, um es auf den Punkt zu bringen. Es sind nur sieben Prozent auf der TU Graz und zwölf Prozent auf der TU Wien.
Maschinenbauerinnen und Maschinenbauer sind ein gutes Beispiel. Unterbewusste Diskriminierung aufgrund der deutschen Sprache ist ein großes Problem. Auf der Universität wird gegendert, in Medien etwa tendenziell nicht. Wie stehen Sie dazu?
Ich gendere immer. Auf der Universität auch.
In welcher Form?
Ich nenne beide Formen. Sprache schafft Bewusstsein. Ich finde es schade, dass Medien nicht gendern. Warum nicht einmal einen Artikel mit der Frauenministerin komplett in weiblicher Form bringen? Probiert das. Man vergisst immer auf 50 Prozent der Leute.
Wir denken darüber nach. Und danken für das Gespräch!
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Fazitgespräch, Fazit 153 (Juni 2019), Fotos: Jacqueline Godany
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