Stell dir vor, es ist Biennale und keiner geht hin
Michael Petrowitsch | 3. Juni 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 153, Kunst und Kultur
Ganz so weit ist es noch nicht. Beim jährlichen Besuch der Biennale-Preview fragt man sich dann jedoch, ob sich diese Repräsentations-, Informations- und vor allem Propagandamaschine auf vielen Ebenen, ob sich dieser Moloch in seinem Auswuchs kapitalistischer Fehlentwicklung noch toppen lässt. Und dies nicht nur in Bezug auf die galoppierenden Hotelzimmerpreise.
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Ganz so weit ist es noch nicht. Beim jährlichen Besuch der Biennale-Preview fragt man sich dann jedoch, ob sich diese Repräsentations-, Informations- und vor allem Propagandamaschine auf vielen Ebenen, ob sich dieser Moloch in seinem Auswuchs kapitalistischer Fehlentwicklung noch toppen lässt. Und dies nicht nur in Bezug auf die galoppierenden Hotelzimmerpreise.
Das diesjährig ausgerufene Hauptmotto »May you live in interesting times« mag man als schulterklopfend gemeinten und somit guten Rat dahingehend interpretieren, dass ohnehin schon alles gesagt ist und man dieses Statement getrost als Verabschiedung interpretieren möge. Da stellt sich gnadenlos die Frage, ob irgendwann mit solchen Megaereignissen nicht einfach Schluss sein könnte, schon einmal deswegen, um die armen Venezianer zu entlasten. Auf alle Fälle galt heuer auch für den Autor dieser Zeilen wieder: Nach der Party ist vor der Party, so »politisch« die Positionen auch sein mögen.
Die spezielle Gemengelage an Macht und Repräsentation (nationaler Wettbewerb), das Pochen auf Freiheit der Kunst der Akteure (individuelle Freiheit) und der insgeheim gehegte Wunsch nach Anerkennung der einzelnen Akte (Markt, finanzielle Absicherung) ergeben die eigentlich charmante Atmosphäre für den stillen Beobachter in den Eröffnungstagen.
Grüppchenweises Zusammenstehen und Diskutieren. Jedoch: Was ist denn nun das wirkliche, das eigentlich »Politische«? Die Grundstoffe sind klar erkennbar: Migration, Partizipation, Gegen Krieg, Faschismus und Anverwandtem, für Individualrechte, um gleich mal 95 Prozent der altbekannten Themenstellungen abzuhandeln. Politik machen inzwischen andere. Wenn etwa der montenegrinische Staatschef Dukanovic in seiner Eröffnungsrede von europäischem Zusammenleben schwadroniert, wenn der venezolanische Pavillon aufgrund der anhaltenden Staatskrise gleich gar nicht aufsperrt oder etwa Teile des Wiener Feuilletons ungeniert behaupten, dass sich während der Eröffnungsrede Minister Blümels ein Drittel der Gäste aus Protest umgedreht hätte und sie somit lustig Medienpolitik betreiben? Hm, es waren im Endeffekt keine 30 Menschen, die aus ihrer Abneigung keinen Hehl machten. Ist das Nachdenken über veröffentlichte Narrative wie diese das eigentlich »Politische«? Der Autor dieser Zeilen jedenfalls stand traditionell auf seinem erhobenen Beobachtungsplatz beim serbischen Pavillon. Alles gut einsehbar. Um sein traditionelles Gläschen Vranac, das er sich bei der serbischen Eröffnungsfeier, die traditionellerweise vor der österreichischen stattfindet, stets erobert, ist der diesmal allerdings umgefallen. Diesmal nur für serbische Staatsbürger, hieß es. Wahrscheinlich der eigentliche politische Skandal.
Felicitas Thun-Hohenstein als Kuratorin für den österreichischen Pavillon, noch unter Drozda bestellt, bemüht ein Ingeborg-Bachmann-Zitat, auf das sie sich mit Bertlmann einigen konnte: »Die Darstellung verlangt Radikalisierung und kommt aus Nötigung.« Dies mag zumindest für die Tatsache gelten, dass unsere »Representation« als nunmehr erste Frau in der 124 jährigen Österreichpavillon-Geschichte eine Soloschau bebasteln darf. Ihr Werdegang von »in Österreich bis vor wenigen Jahren weitgehend ignoriert« über durch Ankäufe in die Tate »rehabilitiert« und nunmehr »etabliert« und als »die unsrige auf der Biennale« verkauft, liest sich entwicklungsromantisch. Und zeigt bilderbuchhaft und ungefragt das Wesen von Vermarktung, Vertriebsstruktur und Werbewirksamkeit im Kunstbetrieb auf. Ihre Auseinandersetzung mit weiblichen Rollenklischees, Sexualität, Patriarchat und diversen Dekonstruktionen der vorhin genannten mag ja bei der Bestellung auch als cleverer Schachzug hergehalten haben. Sonderlich spannend ist das Ganze eigentlich leider nicht aufbereitet und zudem stark retrospektiv. So hätte etwa eine junge feministische Position als Kontrapunkt dem ganzen gutgetan und hätte eher gekickt. Favoriten gibt’s auch, es geht ja schließlich um einen Kunstwettbewerb. Meiner? Der malaysische Beitrag. Wieso? Weil er mir gefällt (und die Kuratorin eine nette ist). Schwere Empfehlung!
Alles Kultur, Fazit 153 (Juni 2019), Foto: Michael Petrowitsch
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