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Vegane Perle

| 3. Juni 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 153, Fazitportrait

Foto: Stiefkind

Wie ein höchst analoges Speiseeisstartup mit höchst digitaler Smartphonebegleitung auf den Schwingen des hippen Zeitgeists in gerade einmal zwei Jahren abhebt und zur Geschmacksexpansion ansetzt, erfahren Sie hier. Wenn Sie wollen.

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Nachdem der Mai auch nicht mehr das ist, was er einmal war oder weil er wieder das ist, was er zuvor einmal war, ist es auch an diesem Dienstagabend kühl. Trotzdem steht vor mir ein knappes Dutzend Leute, vornehmlich junge, die sich um ein Eis anstellen. Um halb acht und ohne Zwang. Geregnet hat es heute auch schon mehrmals, ich bin mit Seidenschal und Handschuhen außer Haus gegangen, schließlich bin ich mit dem Fahrrad unterwegs. Nach einer Viertelstunde bin ich endlich dran, kopiere den Sparefrohtrick meines Vordermanns und bestelle zwei Halbkugeln zum Preis von einer. Dafür bekommt man hier zwei Kugeln, die vielleicht nicht ganz so groß sind wie bei einer normalen Bestellung, aber quantitativ jedenfalls mehr als eine. Hier, das ist die Eisperle in der Grazer Kaiserfeldgasse. Das erste rein vegane Eisgeschäft in town.

Schlange stehen
Der am 7. Juni 2017 eröffnete kleine Laden hat eingeschlagen wie eine Bombe. An wärmeren Tagen bildet sich eine Warteschlange von Eishungrigen, die bis zur Raubergasse reicht, das sind geschätzte 50 Meter. Solche Bilder kannte man sonst nur aus den Zeiten der Lebensmittelkarten oder aus dem Ostblock. Ohne Not und Wendigkeit vielleicht noch von Apple-Stores in Vor-Samsung-Zeiten, wenn ein neues »iProdukt« den Markt beglückte und, abgesehen von »Geiz-ist-geil«-Angeboten, vielleicht noch von Buchhandlungen. Aber nur wenn Joanne K. Rowlings geniale PR-Maschinerie einen voll geheimen neuen Harry-Potter-Band punkt- wie zeitgenau lancierte. Oder wenn es wo etwas gratis gibt. Das ist in der Eisperle definitiv nicht der Fall. Hier hat jemand zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort das Richtige gemacht. Dieser Jemand ist Mariane Leyacker-Schatzl. Eine Frau, die weiß, was sie will und die mit beeindruckender Konsequenz ihren Weg geht.

Foto: Stiefkind

Dieser Weg zum Erfolg – der ja in der Regel recht gibt – hat einige markante Eckpunkte. Erstens: Sie hat sich ihren Kindheitstraum erfüllt und lebt ihn. »Ich habe Eis schon als Kind geliebt und mir immer gewünscht, dass die Eiskugel, die ich gerade gegessen habe, sofort durch eine neue ersetzt wird.« Das Ziel hat sie schon längst erreicht, und jeden Tag stehen mindestens 14 Eissorten zur Auswahl, die noch dazu täglich wechseln. Daher habe sie auch gar nicht das Gefühl, zu arbeiten, was als eine der besten Marscherleichterungen auf dem Weg des Erfolges gilt. Zweitens: Die 38-jährige Wienerin ist bereits vor 23 Jahren Vegetarierin geworden, seit 17 Jahren lebt sie vegan. Gründe waren Kindheitserlebnisse auf dem Bauernhof ihrer Großeltern in Bosnien, wo sie vorsintflutliche Schweineschlachtungsmethoden und das Leid von Haustieren erlebte, weshalb sie sich gemeinsam mit dem dortigen Bürgermeister für den Tierschutz engagierte und etwa Kastrationsprojekte für Hunde und Katzen initiierte. In Österreich rief sie die Tierschutzorganisation »Pino« (Paws In Need Organisation) ins Leben. Bei aller Leidenschaft will Leyacker aber nicht belehrend sein: »Ich will eher überzeugen, daher ist mein Ziel, Eis höchster Qualität herzustellen, das nur zusätzlich vegan ist. Achtzig Prozent unserer Kunden sind schließlich Nichtveganer.«

Vegane Vorteile
Womit wir endlich beim Eis selbst wären. Ob man damit die Welt retten kann, soll jeder für sich entscheiden, grundsätzlich gilt in der Eisperle die Philosophie: Wer unser Eis genießt, tut nicht nur sich selbst etwas Gutes; veganes Eis wird ohne Tierleid hergestellt, Ressourcen wie Wasser und Energie werden geschont, Obstbauern in der Region werden unterstützt, die Bioeisbecher sind kompostierbar, die Löffel aus Maisstärke sind biologisch abbaubar und der Verzicht auf Zusatz- und Konservierungsstoffe ist ökologisch und gesund. Und wie macht man Eis ohne Milch, Eier und Zusatzstoffe? Mariane Leyacker sagt dazu einmal Grundsätzliches: »Himbeereis zum Beispiel soll wie eine Tasse Himbeeren schmecken.« Wie ist das am besten erreichbar, ohne tief in die Zuckerdose zu greifen? Zucker ist bei der Eisperle nicht grundsätzlich verboten und wegen seiner gefrierhemmenden Wirkung auch wichtig. Zur Süßung wird neben Wiener Zucker vor allem Vollrohrzucker verwendet, sowie Bioagavensirup, Bioahornsirup, Birkenzucker (Xylit) oder Biokokosblütenzucker. Außerdem legt die Chefin Wert auf die Verwendung reifer Früchte, wodurch sich das Süßen entsprechend verringert. Fruchteis besteht bei der Eisperle bis zu 80 Prozent auch tatsächlich aus Frucht. Leyacker: »Klassisches Erdbeereis wird normalerweise mit 30 Prozent Zucker gemacht, bei uns aber nur mit maximal 20 bis 22 Prozent.« Der Zuckergehalt etwa von Zitronen, Orangen oder Agavensirup wird mit einem Refraktometer gemessen; wie überhaupt die Kunst des veganen Eismachens eine Kunst des Experimentierens ist. Statt Ei wird als Emulgator Johannisbrotkernmehl oder Guarkernmehl verwendet und statt tierischer Milch kommen Hafer-, Kokos-, Reis- oder Sojamilch zum Einsatz. »Ich möchte ja Eis so herstellen, dass meine Kinder es essen können. Die sind auch ganz stolz auf den Beruf ihrer Mama, zum Beispiel wenn die im Kindergarten Eis austeilt.« Das Eis selbst ist quasi der dritte, der wichtigste Meilenstein. Es führte aber hier zu weit, eine dreistellige Anzahl von Sorten und Mischungen aufzuzählen, genauso, wie jeder selbst kosten muss, weil man über Geschmack bekanntlich ohnehin nicht streiten kann.

Foto: Stiefkind

Mit Facebook und Instagram
Es war die Liebe, die Mariane vor zehn Jahren nach Graz gelockt hat. Ihr Mann Markus Leyacker-Schatzl ist Finanz- und Vermögensberater und auch als erster Geldlehrer in Schulklassen bekannt. »Und er ist eine große Hilfe, sowohl mit den beiden Kindern als auch als Motivator«, betont die Frau, die 2017 schon im ersten Jahr als Unternehmerin des Jahres in der Kategorie Startup auf der Bühne der Wirtschaftskammer stand. Eine vierte wichtige Grundlage für Selbstständigkeit und Erfolg war wohl auch ihr Studium »Unternehmensführung und Management« an der FH Wien, das sie nach der Studienberechtigungsprüfung berufsbegleitend mit ausgezeichnetem Erfolg absolviert hat. 2013 tüftelte sie ein halbes Jahr am Businessplan, der sehr überzeugend ausgefallen sein muss, beteiligten sich in der Folge doch auch der Steuerberater der Familie, Bernhard Pfeiffer, mit zehn Prozent und ein weiterer Gesellschafter mit fünf Prozent an der neu gegründeten Eisperle GmbH. Ein entscheidender Faktor war fünftens natürlich auch das Erkennen der Marktlücke »Veganes Eis« in Graz, die etwa in Wien zu der Zeit schon besetzt war. Richtige Zeit, richtiger Ort, richtiger Hype, richtiger Zeitgeist. Und sechstens: Professioneller Einsatz sozialer Medien wie Facebook und Instagram, was fast 4.000 Followers und fast 5.000 Likes mit entsprechenden Bewertungen und Kommentaren eindrucksvoll belegen. Aber alles hat seinen Preis. So beläuft sich Leyackers zeitlicher Aufwand allein dafür auf vier bis fünf Stunden pro Tag. Genauso ist es umgekehrt: Der Preis von 1,90 beziehungsweise 2,20 Euro pro Kugel ist wahrlich kein Sonderangebot. Dem gegenüber stehen aber auch Leistungen wie tägliche Frische, hohe Qualität, möglichst biologisch, handgemacht, -geschnippelt, -gehackt und Zutaten wie Bio-Kokosblütenzucker, der elf Mal teurer ist als normaler Zucker.

Filialen geplant
Inspirieren lässt sich Mariane Leyacker auch von Mentaltrainern und Erfolgscoaches wie Bodo Schäfer oder Anthony Robbins und Anleitungen wie »Erfolg hat drei Buchstaben: TUN!«. Und sie tat. Zunächst für zwei Jahre experimentell an letztlich 99 Rezepten tüftelnd mit einer geliehenen Eismaschine in einer Garage, um dann durchzustarten. Ergebnis im ersten vollen Geschäftsjahr 2018: 190.000 Kunden und ein Umsatz von 342.000 Euro. »Für 2019 peilen wir 250.000 Kunden an, damit kämen wir aber schon zur Höchstauslastung von annähernd 170.000 Kugeln Eis.« Im Sommer – das Geschäft ist natürlich sehr wetterabhängig – stehen 18 Mitarbeiter in den Diensten der Eisperle. Zurzeit. Denn die Zeichen stehen bereits jetzt auf Expansion: »Das Ziel sind weitere drei Filialen in Graz.«

Die Eisperle
8010 Graz, Kaiserfeldgasse 22
Telefon +43 699 10540339
eisperle.at

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