Beginnen wir endlich damit, die Europäische Union zu demokratisieren!
Christian Klepej | 9. Juli 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Editorial, Fazit 154
Erinnern Sie sich noch? Im Mai diesen Jahres wurde das Europäische Parlament gewählt und die Europäische Volkspartei ist – mit dem »Spitzenkandidaten« für die Funktion des Kommissionspräsidenten Manfred Weber (CSU) – als stärkste Fraktion aus dieser Wahl hervorgegangen.
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Neben viel zu vielen unüberschaubaren und komplexen Regelungen des EU-Apparats hat es eine – im Grunde sinnvolle – Abmachung der »proeuropäischen« Parteien gegeben, dass der Kandidat der stärksten Fraktion zum Präsidenten gewählt wird. Eine recht lose Abmachung, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat ja noch vor der Wahl verlauten lassen, er würde Weber nicht unterstützen.
Und Macron zumindest hat Wort gehalten. Nach den Verlusten sowohl der Konservativen als auch der Sozialdemokraten in der EU wird er sich nicht darum bemühen, eine Mehrheit für Manfred Weber im EU-Parlament zu verschaffen, sondern hat diese Entscheidung in den Kreis der Staats- und Regierungschefs verlegt. Was aus französischer Sicht nachvollziehbar erscheint – Macrons Partei »En Marche« ist ja Mitglied der drittstärksten Fraktion im Parlament, der liberalen Sammelbewegung Alde, En Marche selbst stellt nur 27 Abgeordnete. Dort erscheint sein Einfluss endenwollend, im »Europäischen Rat« (eben das Gremium der Regierungschefs) hingegen führt kein Weg am französischen Präsidenten vorbei.
Die Chancen des mittlerweile gerne als »politisches Leichtgewicht« oder auch »Brüsseler Sektglashalter« bezeichneten Manfred Weber – er war nie in einer staatlichen Regierungsfunktion tätig –, Kommissionschef zu werden, sind dadurch kaum mehr vorhanden und der Nachfolger Jean-Claude Junckers wird wohl in Brüsseler, Pariser oder sonstigen Hinterzimmern erkoren werden. Was einem weiteren Sündenfall der Union gleichkommen würde. Offenbar merkt hier kaum jemand, welch Schaden der »Institution Europäische Union« zugefügt wird, wenn diese europaweite Wahl, dieses »eine demokratische Mitnehmen« aller Europäer, so kurz nach dem Plebiszit quasi zur Makulatur erklärt wird und mir als Mitwählendem ausgerichtet wird, ich hätte auch nicht abstimmen brauchen.
Dabei geht es mir definitiv nicht um die Person Manfred Weber oder – noch weniger – darum, dass der nächste Kommissionspräsident wohl ein Konservativer ist. Nein, jedenfalls würde ich auch einen sozialdemokratischen (oder von welcher Fraktion auch immer) Kandidaten akzeptieren, der eben die Mehrheitsfraktion vertritt.
Die Europäische Union hat so verdammt viele Bausstellen, so unglaublich viel Reformbedarf, nein, dringende Reformnotwendigkeit, da erscheint es geradezu grotesk, das mit Junckers Wahl (endlich!) begonnene Spitzenkandidatensystem, dass wenigstens einen Hauch von (sinnvollen!) demokratischen Strukturen eingeleitet hat, jetzt schon wieder aufzugeben.
Noch ist die Union nichts anderes als die Summe ihrer Mitgliedsstaaten. Gibt es die einzelnen Nationen nicht, gibt es auch keine Union. Da kann Ulrike Guérot mit ihrem Mitstreiter Robert Menasse noch so viel über eine »Europäische Republik« schwadronieren. Einer Idee, der man im Übrigen natürlich nachhängen kann, nur muss die Union zuvor einige Hausaufgaben erledigen. Diese paar Sätze habe ich schon im Februar in einem Aufsatz über Europa geschrieben und diese Sache mit den »Hausaufgaben« scheint nun von Monat zu Monat, von Woche zu Woche brisanter zu werden. Ich sollte als Bürger der Europäischen Union, der österreichische Nationalrat kann ja keine Gesetze mehr beschließen, die ohne Bezug zu EU-Recht stehen (»80-Prozent-Mythos« hin oder her), wissen, wie »EU-Recht« zustande kommt. Das ist mir aber kaum möglich. Der so wichtige Bezug des Bürgers (hier Österreicher) zu seiner gesetzgebenden Versammlung (also Nationalrat) ist klar, einfach und schlüssig. Im Falle der Union ist er unklar, überkomplex und kaum nachvollziehbar.
Es ist höchst an der Zeit, sich diesen Problemfeldern zu stellen und in einer gesamteuropäischen Kraftanstrengung endlich daranzugehen, die Union zu modernisieren und demokratisieren und damit zu einer Instanz – ob nun ein Staatenbund oder vielleicht auch ein Bundesstaat – zu machen, die (wieder) auf breite Zustimmung und Aktzepanz aller Europäer stößt. »Wir können das schaffen«, hat die bundesdeutsche Kanzlerin 2015 verlauten lassen. Jetzt gilt, wir müssen das schaffen!
Editorial, Fazit 154 (Juli 2019)
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