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Aus Ibiza lernen?

| 19. August 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 155, Kunst und Kultur

Illustration: Michael Petrowitsch

Vor dem Schreddern war Ibiza und davor die Kunst und noch weiter davor die Kultur. Sollte es in irgendeinem Gefüge noch so etwas wie einen roten Faden geben der zum besseren Verständnis dieser Diskussion beitragen könnte, dann dieser aufgezeichnete Dialog. Ausgangspunkt war ein Ausstellungsprojekt von Michael Petrowitsch beim Kulturzentrum Minoriten. Ernst Brandl hat daraufhin einen Diskurs mit Michael Petrowitsch eröffnet, aber lesen Sie selbst …

::: Zusammengestellt von Michael Petrowitsch
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Die aktuelle Ausstellung von Michael Petrowitsch »Grimassen des Realen« im Grazer Kultum arbeitet unter anderem mit der »Ibiza-Affäre« in schnappschussartigen Bildern und spricht auch ohne Worte, in Bänden. Petrowitsch’ mosaikhafte »Facials« von bekannten TV-Größen in Ausübung ihres journalistischen Mundwerks visualisieren Momentaufnahmen des Unfassbaren. Ein Korrespondenzdisput über eine Ausstellung, die ohne Worte auskommt und dennoch die Wirkmächtigkeit von TV-Bildern, Texthülsen, Politik und Journaille freilegt.
 
Geschätzter Michele!
Du stadtbekannter Kulturschwerenöter! Hast – bei der Steilvorlage aus Ibiza – einem Schnellschuss nicht widerstehen können, und zack, zack, zack eine Fotoausstellung bei den Minoriten (ja wo denn sonst in Graz ist man geneigt zu sagen) zu den Bilder- und Kommentarfluten, die angeblich unsere Republik veränderten, – aus dem Ärmel geschüttelt!
Gratuliere zunächst – aber nicht alles, was so an ehrwürdigen Gemäuern an der Wand hängt, muss sich gleich Ausstellung nennen. Auch ein fetziger (von Zizek geklauter) Titel (»Grimassen des Realen«) gebiert noch kein staunendes Publikum. Mir ist beim Betrachten Deiner Fotos Wolfgang Bauer eingefallen, der ja auch selbst bei »schlechten Gedichten« aus seiner Feder frohlockte –
In diesem »Bauer’schen Sinn«: Gratuliere zur Ausstellung!
Dein Lieblingsburschenschafter Ernst B.

Werter Ernesto!
Erstmal herzlichen Dank, du machst einen glücklichen Mann sehr alt. Dem Bauer-Vergleich zum Trotz wende ich als begnadeter Kirchensteuerzahler und Zehn-Gebote-Fan dennoch ein: Ich klaue nicht! Der Titel der Ausstellung »Grimassen des Realen« wurde von good old Slavoj nur entlehnt, geborgt in gewisser Weise – meinetwegen auch zitiert. Der Inhalt des Büchleins, dessen Übersetzung in den 1990ern Isolde Charim besorgte, steht ohnehin diametral zu meinem ursprünglichen in der Ausstellung geäußerten Ansinnen. Da dezentriert der Autor das Subjekt mit Hilfe der Hegelschen Subjektphilosophie und treibt auch sonst allerhand Schabernack, den zu lesen man vor 25 Jahren, als die Tage lang, die Mieten niedrig und die Bierpreise im Keller waren, noch eine unterhaltsame Wohltat war.
Jetzt akzeptiere ich als Freigeist ohnehin fast alles (auch die Dezentrierung des Subjekts mit Hilfe der Hegelschen Subjektphilosophie), aber aus dem Ärmel geschüttelt wird bei dieser Art von Künsteln nichts.
Das kommt aus dem Bauch, in dessen Nähe bekanntlich das Hirn sitzt. Und zum Thema Fotoausstellung möchte ich dann auch noch was sagen müssen.
Dein M

Ach Michele,
Deine offensichtliche »Freigeisterei«, die du so selbstverliebt, fast monstranzenhaft, vor Dich herträgst, macht Dich ja eigentlich unwiderstehlich – zumindest was Deinen fotografischen Blick betrifft. Mit anderen Worten, deine »zack, zack, zack Ausstellung« hätte der vorangestellten Auratik der Wort- und Denkergrößen Hegel oder Zizek nicht bedurft.
Deine ausgestellten Schnappschüsse (verzeih mir diese banale Beschreibung deiner fotografischen Technik) der offenen Münder und feixenden Augenpaare der Kommentaristen der Ibiza-Ereignisse künden auch ohne Worte von großen und schicksalsschweren Sauerei- und Staunereien. Wenn Du mit Deiner Handykamera die vollen Lippen, dentalen Defizite und Krähenfüße um die Augenwinkel der Ibiza-Erklärer dokumentierst, stellst Du damit weniger »Grimassen der Realität« dar als vielmehr das »Schlamassel der Journaille«, die ob der »besoffenen G’schicht« in Ibiza ebenso wie die beiden Protagonisten dieses absurden Dramoletts nicht in der Lage waren, »nüchtern« zu berichten.
Ob des »Unfassbaren« rund um die Worte des Herrn Vizekanzlers Strache und die wenigen, aber aussagekräftigen Gesten des Herrn Gudenus offenbarte sich bei Filzmayer (deine mosaikhafte Bilderserie des ORF-Chef-Politologen ist herrlich demaskierend) und Co das, was ohnehin nicht sonderlich ausgeprägt in der heimischen Medienlandschaft zu sein scheint: nüchterne Objektivität!
Es waren diese Damen und Herren aus dem TV-Kastl, die uns Österreicher und ÖstereicherInnen »Ibiza-Gate« erklärten und aus der absurden Text- und Bildervorlage des Videos uns erst die skandalöse Wirklichkeit dazu erklärten.
In diesem Sinne ist deine Fotoausstellung beinah eine Sammlung von Täterfotos. Was wirklich fehlte, um dieses »Schlamassel der Journaille« rund um Ibiza darzustellen, wären Schnappschüsse der tippenden Finger der heimischen Redakteurs- und RedakeurInnenzunft. Denn diese erhobenen Zeigefinger, mit der die Medien uns Leser, Seher und Abonnenten täglich bedrohen, wären wirklich eine weiterführende Ausstellung wert …
Ich zähl auf Dich, du Freigeist!
Ernst

Lieber Ernesto!
Jetzt zügle einmal deine Pferde! Vor allem die, die noch immer im Stall ausharren müssen und nicht zur Polizeischule dürfen.
Natürlich brauchen wir einen Hegel und einen Zizek, in schicksalhaften Zeiten wie diesen umso mehr. Ist doch dieser einer, der immer wieder neu interpretiert wird und hüben wie drüben nutzbare Dienste leistet. Und jener einer, der sich selbst permanent neu erfindet (oder uns zumindest glauben macht, das zu tun) und beschauliche Büchlein für vergnügliche Lesestunden ohne Ende rausknallt. Die Belobigungen, dass ich Kunst auch ohne alles kann, macht mich natürlich erröten. Die Idee, den erhobenen Zeigefinger zu thematisieren, die hat wohl etwas, mögen das aber andere tun. Ich bebastle inzwischen meine Thematiken.
Jedoch nun zu ganz etwas anderem und nicht unbedingt mit der Ausstellung korrespondierend. Was sonst möge die Rousseausche vierte Gewalt im Lande tun mit ihren Fingerchen? Däumchen drehen?
Man war ja vorbereitet auf mindestens zwei Legislaturperioden Türkis-Blau und hat es sich schon – je nach Lebensumständen – äußerst bequem oder massiv unbequem eingerichtet.
Dass ausgerechnet ein paar Sätze in einem Video so einen »Skandal« hervorrufen, der in anderen Ländern (wie in Somalia oder etwa im Südsudan, die die Bestenliste der korruptesten Länder der Welt 2018 anführten) nicht einmal eine mediale Eintagsfliege wären, ja das war im Sinne erbaulicher Medienmassage ein unterhaltsamer, ja geradezu erfrischender Zwischenfall. Wohl sagt es auch etwas aus über eine Opposition. Etwa dass es nicht sie war, die der Regierung ins Popschi gezwickt hat, sondern paritätisch verteilt Spiegel und SZ und alsbaldig der Rest der Mannschaft.
Wenn diese Sache mit Ethik und Moral im Kulturland Österreich nicht wäre. Und auf so »Zeugs« zähl ich schon noch ein wenig und auf Teile der Presse, die, egal um welche Partei es sich handelt, genauer hinsieht. Ich bin da ein bisserl konservativ, ich weiß …
Wenn Harald Schmidt wie unlängst in der Stuttgarter Zeitung danach gefragt wird, ob er in der Ibiza-Villa übernachten würde, dann erzürnen ihn nur die 1.000 Euro pro Nacht. Denn die sind ihm für dieses Unterfangen zu günstig und daher die gesamte Thematik zu »billig«.
Jedoch, Hand aufs Herz: Hat es den dir Nahestehenden geschadet?
Verfolgst du die neusten Umfragen? Hörest du die Rundfunk-Signale? Wenn ich meine Fingerchen nunmehr nicht zum Tippen, sondern zum Zählen benutze, sehe ich wieder eindeutige Trends nach oben, während jene, die profitieren sollten, stagnieren. Die vom Staatsfernsehen besorgte Runde der Chefredakteure vor wenigen Tagen sprach da eine deutliche Sprache. Das Narrativ war die Interviewsituationen von Pam, während »Ibiza« kaum noch thematisiert wird. In was für modernen und schnelllebigen Zeiten wir doch leben und wie schnell doch der Mensch vergisst.
Mit sonntäglichem Gruß, Dein M

Illustration: Michael Petrowitsch

Michele!
Wenigstens haben deine Polemiken gegen meine alten türkis-blauen Brötchengeber einen Hauch von Witz. Die von dir erwähnte darniederliegende Opposition im Lande hat ja nach Ibiza bewiesen, dass es links der Mitte immer noch tiefer geht – vor allem was den Schlagwortkatalog für die Wählergewinnung betrifft: Denn wenn die Warnung vor dem »Scheißdreck-Populismus« (Diktion Grünen-Chef Kogler) von Kurz/Strache, zur Akquise der linksintellektuellen Wählerschichten reicht, dann lob ich mir den Schliff von Zizek!
Demnach könnte dein Hang zu großen Gesten und geschliffenen Zitaten ja nachgerade vorbildhaft sein für die vereinigte Linke, die sich in ihrem Eifer, eine Mitte-Rechts-Regierung zu verdammen, recht bodenständig und wirtshaustauglich inszeniert. Also höre meine Worte: Vielleicht kommt der Begriff »Scheißdreck-Populismus« ebenso in die engere Wahl zum Unwort des Jahres wie der »Zack-zack-zack«-Imperativ der vermeintlichen HC-Strache-Republik-Verschwörung. Bei meiner teilnehmenden Beobachtung an Wirtshaustischen rund um dem Grazer Kaiser-Josef-Platz kristallisierte sich jedoch eindeutig das unwiderstehlich-einprägsame »Zack-Zack-Zack« als Favorit heraus. Wetten wir um eine Frucade oder ein Murauer?
Bezüglich Deiner koketten Frage, ob das Ibiza-Theater den Nahestehenden geschadet hätte, sind wir dann endlich bei des Pudels Kernfrage! Auch dein Kurator deiner Ausstellung hat diese Frage ja ganz nebenbei in seiner Laudatio auf deine Kunst (und auf dich) in den Raum gestellt. »Was kann man lernen aus Ibiza?«
Um in dieser Frage bei deiner Ausstellung zu bleiben: Deine Schnappschüssen der Kommentaristen der Ibiza-Affäre zeigen predigende Münder und besserwisserischen Blicke unter dem Motto »Wir haben es ja schon immer gewusst – mit dieser FPÖ ist kein Staat zu machen!«
Nur, und das ist schon die nächste Lehre aus Ibiza: Die Leute haben die Nase voll von Besserwissern und Propheten des Untergangs der Welt oder in unserem Fall der Republik. Die Vielzahl sieht das Polittheater, als das was es ist – als Unterhaltung, Politainment oder schlichtweg Inszenierung – quasi eine Form des modernen Regietheaters auf der Bühne der Politik.
Ich hab von dir auch ein interessantes Interview mit der stellvertretenden Intendantin des steirischen herbst in Erinnerung, die auf deine Frage, was Kunst sei heißt, meinte: »Kunst spiegelt wider, was im täglichen Leben passiert« und sei »im Idealfall frei von Zwängen und Bedenken«! Wenn man das auf Politik und die Berichterstattung über Politik münzte, hätten wir uns die Runde der Chefredakteure, die uns allen die staatspolitischen Dimensionen der Ibiza-Affäre (»Verkauf der Republik« und »Angriff auf die Pressefreiheit« …) gebetsmühlenartig einhämmern wollten, ersparen können.
Politik soll »das tägliche Leben spiegeln« (und gelegentlich auch regeln) und die Journaille soll »frei von Zwängen und Bedenken« berichten dürfen. Aber von »bedenkenfreier« Berichterstattung war und ist in unserer Medienlandschaft nur schwerlich zu lesen.
Und was das Vergessen betrifft, halt ich es mit dem Operetten-Hit schlechthin: »Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist!«
Also »scheiß drauf«, um in der GrünInnen-Diktion zu bleiben.
Dennoch Dein Ernst

Lieber Ernst!
Aus alten Brötchengebern werden oft schnell neue Brötchengeber, da mach ich mir keine Sorgen um deine Zukunft. Aber in meinem Inneren brodelt es schon: Wo ist denn genau »links der Mitte«? Ich selbst trau mich das gar nicht eindeutig zu beurteilen, wie ich grundlegend schwer mit Schubladisierungen aller Art umzugehen weiß.
Eins scheint mir sicher bereits seit Kindergartentagen: »Scheiße sagt man nicht!«. In Zeiten schwarzer Pädagogik hat man dafür zwei Stunden Winkerlstehen ausgefasst, mindestens. Zudem finde ich die Idee vom »Unwort des Jahres« längst verblasen. Zwar braucht die medienmassierte Öffentlichkeit etwas zum Festhalten und sucht nach Ikonen des Pop-Alltags, aber als Unwort als solches würde ich es nicht bezeichnen, wäre auch fad. Außerdem plant der geniale Chocolatier Zotter bereits eine Zack-zack-zack-Schoko mit handgeschöpften und fair tradierten Bestandteilen. Leckerschmecker.
Zum Thema »Frucade oder Murauer«, um kulinarisch zu bleiben, da bleib ich dann doch bei unserem nichtprivatisierten Wasser. »Wasser bricht den stärksten Stein«, sagt der Aphoristiker und hält sich über das weitere bedeckt. Johannes Rauchenberger hingegen hat vollkommen richtig gefragt, denn was lernen wir denn wirklich? Ich sag mal altbacken: Weniger spektakelgesellschaftlich aufzutreten, sondern handfeste Thematiken angehen. Klingt naiv, ist es auch. Anyway. Zumindest passiert es momentan gerade unter Bierlein. Da macht das »freie Spiel der Kräfte« (was immer das ist) ein bisschen zack zack zack. Bundespräsident van der Bellen etwa konnte bei Lou Lorenz ungewohnt nicht sonderlich präzise antworten auf die Frage, was Politiker besser machen als eine Beamtenregierung. Das Einzige, was er vorbringen konnte, war der Punkt, »Neues« zu initiieren, und meinte damit Gesetze, da sich das Leben, um uns herum so schnell ändert. Naja, sei’s drum und wie wahr…
Und wenn du ausgerechnet die Fledermaus als Gewährsviecherl heranziehst. So dicht an der Wahrheit war wohl keiner dran wie Strauss. Die Operette ist ja eigentlich richtig traurig, kann da gar nichts Unterhaltsames entdecken. Es gibt da gar kein richtiges Glück, wenn ich das einigermaßen richtig interpretiere. Bei der Fledermaus haben alle Dreck am Stecken und sind Beteiligte einer gigantischen Illusionsmaschine. Fast wie im richtigen Leben. Ich gebe dir schlussendlich doch teilweise Recht und biege in die Zielgerade: Irgendwie zählt trotz aller Ikono- und Choreo-und sonstiger -grafie der Mensch. »Weil der Mensch zählt«, wie der große Alf Poier zu singen pflegte. Selbst das war geklaut, bzw. äh zitiert. Sozusagen, und damit schließe ich.
Mit kollegialem Sommergruß, M

Ernst Brandl ist Magistratsbediensteter der Stadt Graz und war Pressereferent im Verteidigungsministerium unter Mario Kunasek. Michael Petrowitsch ist unter anderem Künstler und Kurator und lebt gerne in Graz. Alle Illustrationen zu diesem Diskurs stammen aus der aktuellen Ausstellung von Michael Petrowitsch.

Alles Kultur, Fazit 155 (August 2019), Illustrationen: Michael Petrowitsch

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