Außenansicht (8)
Peter Sichrovsky | 30. Oktober 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Außenansicht, Fazit 157
Recht auf Sicherheit. Es dauerte nur wenige Stunden nach dem gescheiterten Anschlag auf die Synagoge in Halle und es meldeten sich Politiker der verschiedensten Parteien – und nicht nur sie – um uns Ahnungslosen, die wir erschreckt auf dem TV-Schirm die Ereignisse verfolgten, zu erklären, wer die eigentlich Verantwortlichen dafür seien.
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Es ging nicht um den Bürgermeister, die Stadtverwaltung, die Polizeibehörde, den nationalen Sicherheits- oder Geheimdienstes, sondern einstimmig im Chor erklärten Politiker, Kulturschaffende und Vertreter der Kirchen, die »Rechten« seien es gewesen, die mit ihren Hetzreden und ihrer Fremdenfeindlichkeit direkt zu solchen Ereignissen führen würden. Man dürfe sich nicht wundern, wenn nach solchen Worten eben diese Taten folgten, das sei eine notwendige Konsequenz. Zumindest die Schuldfrage wurde nach gut-deutscher Art und Weise zuerst einmal geklärt, bevor man untersucht hatte, wie es überhaupt dazu kommen konnte.
Am Tag darauf kamen der Bundespräsident und weitere »Herr und Frau Wichtig« nach Halle und verkündeten auf verschiedensten Orten, dass man die jüdischen Gemeinden nicht alleine lassen würde, dass alle Sympathien bei ihnen wären und dass man sich ein Deutschland ohne Juden nicht einmal vorstellen könne. Von einem Tag zum anderen wimmelte es in Halle von Polizisten und sonstigen Sicherheitsfachleuten, die die VIPs auf Schritt und Tritt begleiteten und damit die Sicherheit für sie garantieren. Nur am jüdischen Feiertag Jom Kippur sah man keinen von ihnen.
Die Stadt Halle, ihr Bürgermeister, der Polizeichef und auch die verantwortlichen Sicherheitsdienste haben sich in einer Art und Weise blamiert, die an das Chaos eines Dritte-Welt-Landes erinnern. Nicht nur fehlte die Bewachung der Synagoge, sondern auch nach Meldung des versuchten Überfalls reagierte die Polizei zu spät, chaotisch und nur der Zufall verhinderte eine Katastrophe. Hier hat weder eine AfD noch eine andere politische Gruppierung oder Partei versagt, sondern der deutsche Staat mit all seinen Einrichtungen. Jedes Fußballspiel wird heute bewacht, bekannte Tennisspieler bekommen eine Begleitung vom Hotel zum Stadion, selbst für Filmstars und Opernsänger stellt die Behörde Personenschutz zur Verfügung – nur eben für betende Juden nicht.
Das Recht auf Sicherheit ist eines der Grundrechte. Schulwege werden gesichert, U-Bahn-Stationen, Bahnhöfe und Regierungsgebäude. Das Gefahrenpotenzial wird zur Grundlage der Entscheidung, ein Sicherheitssystem einzurichten. Offensichtlich haben Fachleute in Halle kein Sicherheitsrisiko für eine Synagoge am wichtigsten Feiertag des Jahres gesehen und daher nichts unternommen. »Judenfeindlich« ist daher nicht irgendeine Partei in Deutschland, sondern eine Verwaltung, die bewusst das Risiko in Kauf nahm, dass jüdische Bürger/Innen ungeschützt in einer Synagoge am Gottesdienst teilnehmen.
Einen Tag vorher versuchte ein mit einem Messer bewaffneter Mann die Synagoge in Berlin zu stürmen, wurde verhaftet und wieder entlassen. Die Polizei sah keine Gefahr. Und ließ den Mann nach einer Befragung wieder nach Hause gehen. Vor ein paar Monaten wandten sich Eltern eines jüdischen Schülers in Berlin an die Schulleitung, weil ihr Sohn von anderen Schülern, hauptsächlich aus arabischen Ländern, gemobbt und tyrannisiert werde – die Schulleitung sah keinen Grund, einzugreifen. Die Eltern nahmen ihren Sohn aus der Schule und schickten ihn auf eine jüdische Schule. In einer anderen Stadt versuchten Flüchtlinge aus einem arabischen Land eine Synagoge anzuzünden, wurden ertappt, angeklagt und freigesprochen, da man den Brandanschlag als Protest gegen die Politik Israels interpretierte.
Hier geht es nicht um Rassismus, um Antisemitismus oder andere Vorurteile. Hier geht es um das Versagen der Institutionen, der Polizei, des Gerichtswesens und der Schulbehörde, das bewusste Ignorieren von Gefahr und der falschen Großzügigkeit gegenüber potenziellen und realen Tätern. Deutschland hat in seinem Wahn, gegen »Nazis« mit warnender Stimme zu jeder Tages- und Nachtzeit aufzutreten, die Kontrolle über den Alltag verloren. Dem gemobbten Schüler helfen keine schönen Worte der Bundeskanzlerin, ebenso wenig den potenziellen Opfern in der Synagoge in Halle. Wer als verantwortlicher Politiker oder Beamter die Kontrolle über die alltäglichen Gefahren verliert, sollte sich die schönen Worte für den Mittagstisch zu Hause aufheben oder für seine Rede zur Verabschiedung eines verdienstvollen Kollegen in den Ruhestand. Politiker Vergessen manchmal, dass man sie nicht nur für ihre Meinungen wählt, sondern von ihnen als gewählte Vertreter eine professionelle Arbeit erwartet.
Außenansicht #8, Fazit 157 (November 2019)
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