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Keine Fachkräfte. Kein Geschäft!

| 30. Oktober 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 157, Fazitthema

Foto: Adobe-Stock

Obwohl die Zahl der steirischen Jugendlichen, die sich für eine Lehre entschieden hat, im Vorjahr – erstmals seit Jahren – wieder deutlich gestiegen ist, kann von einer Entspannung auf dem ausgetrockneten Lehrlingsmarkt keine Rede sein. Denn der Facharbeiter- und der Lehrlingsmangel verstärken sich gegenseitig. Immer mehr Gewerbebetriebe haben große Schwierigkeiten, ihre Aufträge fristgerecht abzuarbeiten, und immer mehr Restaurants müssen an den Wochenenden sogar zusperren, weil sie keine Arbeitnehmer finden. Text von Johannes Tandl.

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Obwohl die Zahl der steirischen Jugendlichen, die sich für eine Lehre entschieden hat, im Vorjahr – erstmals seit Jahren – wieder deutlich gestiegen ist, kann von einer Entspannung auf dem ausgetrockneten Lehrlingsmarkt keine Rede sein. Denn der Facharbeiter- und der Lehrlingsmangel verstärken sich gegenseitig. Immer mehr Gewerbebetriebe haben große Schwierigkeiten, ihre Aufträge fristgerecht abzuarbeiten, und immer mehr Restaurants müssen an den Wochenenden sogar zusperren, weil sie keine Arbeitnehmer finden.

Die österreichische Lehrlingsausbildung gilt weltweit als vorbildlich. Dazu tragen auch die heimischen Erfolge bei Bewerben wie den WorldSkills, den Berufsweltmeisterschaften, bei, die Ende August im russischen Kasan stattfanden. Unter den 1.400 Teilnehmern aus 70 Nationen waren auch 13 Steirerinnen und Steirer. Sie brachten zwei Gold-, zwei Silber- und eine Bronzemedaille mit nach Hause. Und so herrscht inzwischen fast überall auf der Welt reges Interesse daran, das System der dualen Berufsausbildung in die meist viel zu theorielastigen Bildungs- und Ausbildungssysteme zu implementieren. Doch ausgerechnet zu Hause muss die Lehre als vollwertige Ausbildungsform und Karrieregrundlage immer noch um Anerkennung kämpfen.

Denn Gymnasium und Oberstufenschulen gelten in den Augen vieler Eltern immer noch als wesentlich wertvollere Grundlagen für eine erfolgversprechende Karriere des Nachwuchses. Dabei ist die Lehre längst keine berufliche Sackgasse mehr. Wer heute einen Beruf erlernt, kann ohne Weiteres eine Matura und ein Studium anhängen.

Die Hoffnungen der Wirtschaft, die Lehre imagemäßig endlich mit der Oberstufe gleichzustellen, ruhen nun auf den EuroSkills, den Berufseuropameisterschaften, die nächstes Jahr in Graz stattfinden werden und zu denen bis zu 100.000 Gäste in der steirischen Landeshauptstadt erwartet werden. „Mit der Austragung der EuroSkills geht für mich ein Traum in Erfüllung“, freut sich auch der steirische Wirtschaftskammerpräsident Josef Herk.

Schule und Wirtschaft kämpfen um immer weniger Jugendliche
Als Folge der demografischen Entwicklung sinkt die Zahl der Lehrlinge seit Jahrzehnten kontinuierlich. Vor 56 Jahren – also noch vor dem Pillenknick – wurden in Österreich etwa 135.000 Kinder geboren. Im Vorjahr waren es trotz eines der Migration geschuldeten kurzfristigen Geburtenanstiegs nur 85.000 Neugeborene. Gleichzeitig stieg das Angebot an höheren Schulen und Studienmöglichkeiten. Immer mehr Institutionen stritten sich um immer weniger Kinder und Jugendliche. Und so sank die Zahl der Lehrlinge von 195.000 im Jahr 1980 auf 107.000 im Vorjahr. Mit dem Ergebnis, dass die Unternehmen oft keine geeigneten Bewerber mehr für ihre Lehrstellen finden. Die Betriebe stehen bei der Suche nach Lehrlingen im harten Wettbewerb mit den Schulen. Und so entscheiden sich inzwischen weniger als 40 Prozent eines Abschlussjahrgangs an der Pflichtschule für eine Lehre. Die Wirtschaft bräuchte aber mindestens 50 Prozent.

Viele Unternehmen haben die Lehrlingssuche aufgegeben
Und so klagte kürzlich ein bekannter Grazer Innenstadtgastronom: »Ich hab die Suche nach einem Lehrling endgültig aufgegeben. Wenn ich inseriere, meldet sich entweder gar niemand oder es kommen Jugendliche mit einem fürchterlichen Auftreten, die nicht einmal rechnen oder lesen können.« Als Folge dieser Entwicklung sieht sich dieser Wirt trotz einer ausgezeichneten Geschäftslage mittlerweile zu einem zweiten Ruhetag gezwungen, denn der Arbeitsmarkt ist nicht nur bei Lehrlingen, sondern auch bei ausgelernten Fachkräften und angelernten Mitarbeitern völlig trocken.

Tausende Arbeitslose – aber es gibt viele, die nicht können oder wollen
Trotz 37.000 steirischer Arbeitsloser finden sich nur wenige, die in der Gastronomie arbeiten wollen oder dazu bereit sind, die körperlichen Mühen, die in vielen Handwerksberufen abverlangt werden, auf sich zu nehmen. Gesucht werden daher nicht nur Köche, Kellner oder Einzelhandelskaufleute, sondern ein riesiger Mangel herrscht auch bei Maurern, Installateuren, Elektrikern und Dachdeckern. Daher werden in diesen Branchen oft nur mehr Rationalisierungsinvestitionen getätigt. Der Aufbau zusätzlicher Kapazitäten würde das Problem des Fachkräftemangels aus Sicht der Unternehmen nämlich trotz des hervorragenden Marktumfelds nur weiter verschärfen.

Die Auftragsbücher der steirischen Handwerks- und Gewerbebetriebe sind nämlich voll wie selten zuvor und die Geschäfte laufen so gut, dass bei den Unternehmern die berechtigte Hoffnung überwiegt, dass sie den angesagten Konjunktureinbruch wegen der US-Handelskriege oder aufgrund des Brexit ohne gröbere Verwerfungen überstehen würden. Doch die vergebliche Suche nach zusätzlichen Mitarbeitern ist auch konjunkturell ein echter Stimmungskiller, der die Investitionsfreude hemmt. Besonders problematisch ist die Lage in den ländlichen Abwanderungsregionen außerhalb der Ballungsräume. Aus Sicht der Unternehmen muss das Image der Lehre daher in mehreren Bereichen gezielt gestärkt werden.

Gute Karrierechancen mit einer Lehre
Die für die Bildungs- und Ausbildungskarrieren ihrer Kinder maßgeblichen Eltern müssen endlich begreifen, dass eine Lehre karrierefördernd und nicht karrierehemmend wirkt. Denn das Bildungssystem ist durchlässiger als je zuvor und auch die berufsbegleitenden Ausbildungsmöglichkeiten sind sehr gut ausgebaut. Unter Fachkräften mit Lehrabschlussprüfung gibt es de facto keine Arbeitslosigkeit. Das führt dazu, dass sich die Unternehmen weit hinauslehnen müssen, um ihre Schlüsselkräfte halten zu können. Daher ist es etwa in der Industrie, aber immer öfter auch im Gewerbe längst üblich geworden, dass die Unternehmen ihre Mitarbeiter aktiv unterstützen, wenn diese eine Matura, eine Meisterprüfung oder ein Studium anstreben. Die Lehre ist daher ganz sicher keine Karrieresackgasse. Und nicht nur die Lehrlingsentschädigungen sind in den meisten Berufsgruppen deutlich erhöht worden, auch die Einstiegsgehälter für Lehrabsolventen können – zumindest in den ersten Jahren – längst mit jenen von Hochschulabsolventen mithalten.

Die Lehre für Maturanten muss weiter gestärkt werden
In Deutschland gehört das Anhängen einer Lehre an das Abitur zu den normalsten Dingen der Welt. Bei uns steigt die Zahl der Lehrlinge mit Matura zwar, aber um den Bewerberpool auszuweiten und die Attraktivität der Lehre zu heben, müssten vor allem AHS-Maturanten noch viel gezielter erreicht werden. Es gibt bereits Lehrausbildungsangebote für Maturanten, bei denen die Lehrzeit stark verkürzt wurde. Obwohl vom ersten Lehrtag an das volle Einstiegsgehalt bezahlt wird, verfügen derzeit weniger als fünf Prozent der Lehrlinge über eine Matura.

Die Lehre als Integrationschance
Ein großer Teil der 2015 ins Land gekommenen und mittlerweile anerkannten Flüchtlinge hat aufgrund der mangelhaften Qualifikation kaum Chancen auf gut bezahlte Arbeit. Da die Lehrlingsentschädigung in den ersten Lehrjahren jedoch meist unter der Mindestsicherung liegt, besteht hier dringender Reformbedarf. Viele Betriebe sind deshalb sogar auf jene Asylwerber als Lehrlinge angewiesen, denen die Abschiebung droht. Anerkannte Flüchtlinge würden nämlich auf einen wichtigen Teil ihres Einkommens verzichten, wenn sie als Lehrling anheuern würden. Daher muss es eine Sonderform der Lehre für erwachsene Jobsuchende geben, bei der diese auch Tätigkeiten oder Überstunden verrichten können, die aus betrieblicher Sicht eine Entlohnung auch deutlich über der Lehrlingsentschädigung rechtfertigt.

Angesichts des allgegenwärtigen Fachkräftemangels muss das Potenzial von Jugendlichen mit Migrationshintergrund viel besser genutzt werden. Die Mehrsprachigkeit der Migranten könnte gleichzeitig als Wettbewerbsvorteil genutzt werden, denn es ist davon auszugehen, dass sich der Internationalisierungsgrad und die Exportorientierung der österreichischen Wirtschaft noch weiter erhöhen werden.

Fazitthema Fazit 157 (November 2019), Foto: Adobe-Stock

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