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Mit Leib und Seele

| 30. Oktober 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 157, Fazitgespräch

Foto: Erwin Scheriau

Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer über den türkisenen Anzug seiner Partei, die Freundschaft zu Franz Voves und die teure Ananas.

Das Gespräch führten Peter K. Wagner und Johannes Tandl.
Fotos von Erwin Scheriau.

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»Das Bier schmeckt z’aus net am besten«, sagt Christian Cramer bei dieser Landtagssitzung Mitte Oktober. Der Weinbaumeister, der für die FPÖ im steirischen Landtag sitzt, ist kein Freund des Rauchverbots in der Gastronomie. Es ist auch seine emotionale Rede, die unseren Interviewtermin mit dem Landeshauptmann etwas verzögert.

Wenige Minuten später sitzt Hermann Schützenhöfer dann aber doch im Büro der ÖVP-Klubobfrau im Landhaus. 1970 begann der gebürtige Niederösterreicher seine politische Karriere als JVP-Landessekretär. Der Raum, der heute als Schauplatz für unser Fazitgespräch dient, wurde einst von ihm eingerichtet. Damals, 1994, als er Klubobmann der steirischen Volkspartei wurde.

Nun bietet er uns etwas zu trinken an. »Bier? Wein?«, meint er scherzhaft. »Ich trinke nicht um die Uhrzeit, aber ihr könnt gerne.« Es ist kurz vor 11 Uhr am Vormittag, nebenan wird bereits das Büffet für die Landtagsabgeordneten vorbereitet und Schützenhöfer ist trotz Terminstress und Wahlkampf sichtlich gut gelaunt.

***

Herr Landeshauptmann, Sie gelten als der letzte Landesvater unter Österreichs Landeshauptleuten und damit Vertreter einer Generation, die das Gemeinsame vor das Trennende gestellt hat. Nun sind Sie Teil einer Partei, die sich in der jüngeren Vergangenheit stark verändert hat, damit unheimlich erfolgreich ist, aber auch stark von der Zuspitzung lebt. Wie geht es Ihnen mit dem neuen türkisen Anzug der Partei?
Es ist immer gut, wenn man sich nach Jahren und Jahrzehnten des Wirkens fragt, was man eigentlich verbessern kann, um nicht in die Jahre zu kommen und verstaubt zu wirken.

Allerdings haben auch Erfolgsmodelle wie die Sozialpartnerschaft dran glauben müssen. Was halten Sie von dieser Demontage?
Ich würde das nicht als Demontage bezeichnen, sondern als Neukonstruktion. Vor allem der Sozialversicherungsträger und der Krankenkassen. Die Sozialpartnerschaft mit den Kammern, Gewerkschaften und Industrie ist, wie sie war und wird so bleiben, weil man gesetzlich vermutlich nicht eingreifen kann. Und wenn, dann nicht in allen Bereichen.

Wie zufrieden sind Sie allgemein mit dem Weg, den Sebastian Kurz geht?
Sehr. Egal, ob die Ankurbelung der Wirtschaft, die Priorität der Forschung, dass sich Arbeit auszahlen muss oder das Thema der Migration – ich unterstütze seinen Weg. Wir vertragen als kleines Österreich etwa nicht, gemeinsam mit Schweden und Deutschland alle Probleme dieser Welt zu schultern. Ich bin mit seinen Ansätzen sehr einverstanden.

Sie galten nie als Fan von Wahlvorverlegungen. Warum wählen wir dann schon im November 2019 statt erst im Mai 2020?
Ein kurzer Wahlkampf. Ich habe nach dem Beschluss, der dank der Stimmen der FPÖ, der Grünen und uns eine Zweidrittelmehrheit hatte, noch einmal einseitig für Oktober eine Wahlkampfpause ausgerufen. Ich habe gesagt: In diesem Monat wahlkämpfen wir nicht. Ich persönlich bin Tag und Nacht im Lande unterwegs. Ich mache keinen Schichtwechsel [lächelt; Anmerkung: es handelt sich um eine offensichtliche Replik auf den Wahlslogan der steirischen SPÖ], ich arbeite durch. Auch unterscheide ich nicht zwischen den Terminen. Der Wahlkampf ändert nicht viel im zeitlichen Einsatz. Immer unterwegs zu sein, ist mein Leben. Das mag richtig oder auch nicht richtig sein. Aber für mich ist es entscheidend, draußen bei den Leuten in den Gemeinden zu sein, um zu wissen, wie es den Menschen geht. Egal ob bei der Eröffnung des Vitalzentrums in Dobl, beim Kindergarten in Zettling, bei »50 Jahre Freundschaftsbrücke« in Bad Radkersburg oder der Überreichung des Preises für den »Winzer des Jahres«. Ich bekomme bei diesen Terminen mit, wie die Menschen denken, was sie wollen und was sie tun. Das ist eine gute Grundlage für das, was man selber tut. Ich habe immer gesagt, dass ich nicht möchte, dass wir von März 2019 bis Mai 2020 wahlkämpfen – Europawahl, Nationalratswahl und dann die Landtagswahl. Ich wollte, dass wir anschließen, damit wir im Dezember schon konstituieren können und hoffentlich schon wissen, wer die Bundesregierung sein wird.

Foto: Erwin Scheriau

Ihr Stellvertreter Michael Schickhofer von der SPÖ sieht den früheren Wahltermin weniger romantisch und ortet einen Koalitionsbruch. Ist diese Koalitionsvariante damit in der Steiermark längerfristig Geschichte?
Nein. Sie haben es heute ja auch in der Landtagssitzung gesehen. Einerseits reden wir ordentlich miteinander und andererseits ist es noch immer so, dass wir in den großen Fragen die Zusammenarbeit forcieren. Er hat eben dieses Thema für sich auserkoren, aber das ändert nichts am Faktum, dass wir früher mit Franz Voves und jetzt mit Michael Schickhofer gut zusammengearbeitet haben und noch immer tun. Natürlich wissen wir nicht, wie die Wahlen ausgehen und es weitergehen wird, aber für mich ist das kein Bruch.

Ihr Vorgänger Franz Voves hat sich Wahlvorverlegung drastischer geäußert als Michael Schickhofer. In einem offenen Brief formulierte er, sehr von Ihnen enttäuscht zu sein, und warf Ihnen reine alte parteipolitische Machtpolitik vor. Außerdem stellt er mehrmals eine Frage, die wir Ihnen auch stellen möchten: »War es das wirklich wert?«
Ich habe mich mit ihm ausgesprochen. Eine Freundschaft muss das aushalten. Ich würde kein schlechtes Wort über ihn verlieren. Ich richte den Blick immer in die Steiermark und auf die Steiermark, nicht auf die ÖVP oder die SPÖ. Wir reden hier von fünf Monaten, die wir früher wählen. Wir wollen einfach schneller wieder durchstarten können.

Die Aussprache mit Franz Voves war so erfolgreich, dass Ihr Verhältnis wieder intakt ist?
Es braucht seine Zeit, aber ein Bruch, der nicht zu kitten ist, hat nicht stattgefunden.

Die Grünen haben bei der Nationalratswahl massiv zugelegt. Hat die ÖVP das Klimathema falsch eingeschätzt?
Ich glaube, dass die Frage des Klimaschutzes eine Frage ist, die etwas für leere Worthülsen ist. Wir müssen mit Blick auf die Welt sagen, dass wir alleine verdammt wenig tun können, aber wir haben als Forschungsland einige Dinge entwickelt, die in anderen Ländern helfen, CO2 zu vermindern. Wir haben eine große Debatte über heimische Produkte, die ich für ganz wichtig halte. Natürlich kann ich stundenlang über CO2 und Kerosinabgaben diskutieren, aber ich kann auch sagen, dass sich im Bewusstsein etwas ändern muss. Wir müssen darauf drängen, dass die Menschen in den Kaufhäusern kaufen, was der heimische Markt hergibt. Zu uns kommen heute Container mit Teig aus Asien, aus dem steirische Semmeln hergestellt werden. Wir haben Spargel in Zeiten, in denen es diesen bei uns nicht gibt. Wenn wir essen, was es bei uns gibt, sind wir auch sehr gut und noch dazu klimafreundlich ernährt.

Was halten Sie von der Steuer auf Kohlendioxid?
Sebastian Kurz hat meine volle Unterstützung, wenn er die CO2-Steuer auf europäischer Ebene fordert. Eine Ananas aus Costa Rica muss teurer sein als ein steirischer Apfel. Ich bin gegen nationale Einzelgänge bei CO2-Steuern, weil sie vor allem die Bevölkerung im ländlichen Raum belasten, die nicht zu den Großverdienern gehören. Aber wir müssen die Chancen der Digitalisierung für den ländlichen Raum ergreifen und Arbeitsplätze in der Region erhalten und ausbauen. Dann wird weniger in die Zentren gependelt und der CO2-Ausstoß reduziert. Der Glasfaserausbau ist dafür unerlässlich und ich werde diesen Ausbau auch in Zukunft weiter vorantreiben. Ich schlage außerdem eine Klimaprämie zur Förderung von Investitionen zur Emissionsreduktion vor.

Werden Sie das Thema Klimaschutz in dieser Form im Wahlkampf setzen?
Ich will die Grünen nicht beim Umweltschutz überholen oder wie mein Regierungspartner ein paar Wochen vor der Wahl sagen, dass wir Klimaschutzland Nummer eins werden wollen. Wir sollen aber alles tun, um diesbezüglich besser zu werden, und ich will nicht an Überschriften hängen bleiben.

Wäre Schwarz-Grün für Sie denkbar nach der Wahl, so es die Stimmenverhältnisse zulassen?
Es ist eine charmante Variante. Wie aber auch eine Koalition mit den Freiheitlichen oder der SPÖ. Ich bin weit davon entfernt, jemanden auszuschließen, bevor die Wähler gesprochen haben. Ja, die Voraussetzungen, wieder stärkste Kraft zu werden, was wir zurzeit nicht sind, sind gut. Aber wir haben keinen Proporz mehr, auch wir könnten liegen bleiben. Wobei eine große Umwälzung für Schwarz-Grün nötig wäre.

Die beiden Regierungsparteien haben bei der letzten Wahl gemeinsam 17 Prozentpunkte verloren, weil viele Wähler die Reformen bei den Gemeinden und im Sozialbereich fürchteten. Heute ist klar, dass die Reformen der Steiermark nicht geschadet haben: Diese 17 Prozent könnten auf dem Markt sein.
Sind sie auch. Ich sage immer, 100 Prozent der Wählerstimmen sind auf dem Markt. Der Stammwähler ist nur mehr in kleiner Dosis vorhanden. Bei jeder Wahl werden die Karten neu gemischt. Aber wir liegen nicht schlecht. Man darf den Tag natürlich nicht vor dem Abend loben. Aber ohne Übermut glaube ich, zu wissen, dass die Leute mich mögen. Diese Sympathie muss aber erst noch in Stimmen umgewandelt werden.

Die Pläne für ein Leitspital im Bezirk Liezen sind zum Wahlkampfthema geworden. Alle Experten sagen, es sei notwendig, die FPÖ war stets dagegen und die SPÖ knickt gerade ein, Sie halten unnachgiebig daran fest. Warum?
Das war eine gemeinsame Initiative und ich bin überzeugt, dass wir diese in der nächsten Periode gemeinsam zu Ende bringen müssen. Dass es immer eine Frage der Kommunikation ist, wie man mit den Menschen spricht und dass es Vorteile für Menschen gibt, ist klar. Als wir in Voitsberg die Gebärstation geschlossen haben, sind die Menschen mit Kindersärgen im Landtag gesessen. Die Wahrheit ist, dass die Frauen dort nicht mehr entbunden haben, weil ihnen das Vertrauen fehlte. Und statt in Schladming entbinden die jungen Schladmingerinnen lieber in Schwarzach in Salzburg. Darin begründet sich die Notwendigkeit für ein Leitspital. Die Gesundheitslandschaft und die Medizin galoppieren vor lauter Fortschritt, die Menschen werden älter und auch dadurch explodieren die Kosten. Wir können nicht länger in allen Krankenanstalten dasselbe anbieten. Wir brauchen Leitspitäler und eine gute Versorgung wie in den bereits in einigen Bezirken vorhandenen Gesundheitszentren. Wir sind auf dem richtigen Weg. Natürlich ist das einem Rottenmanner schwer zu erklären, wenn er sein Krankenhaus nicht mehr vor der Haustür hat. Aber schon heute werden die Patienten in vielen Fällen nach Graz in die spezialisierten Krankenhäuser geflogen.

Foto: Erwin Scheriau

Viele Unternehmen in der Steiermark tun sich schwer, Arbeitskräfte zu finden. Was kann man dagegen tun?
Ich glaube, dass über alle Parteigrenzen hinweg klar sein muss: Wenn Menschen Arbeit haben und die Gehälter einigermaßen sozial gerecht verteilt sind, ist die soziale Ordnung im Lot. Daher ist die Schaffung von Arbeitsplätzen ganz wichtig. Es ist und bleibt aber ein Faktum, dass wir nur sehr mühsam die Bewusstseinsänderung in Gang bringen, dass ein guter Tischler mehr verdient als ein Jurist. Und auch, dass Lehrling zu sein etwas Positives ist. Unsere Facharbeiter sind nicht die dritte Klasse, sondern erste Wahl. Ich habe es gerade im Landtag betont: Wir haben wieder mehr Lehrlinge. Das ist doch toll. Davor gab es einen langen Abwärtstrend bei den Lehrlingszahlen.

Der Abwärtstrend war aber doch auch den sinkenden Geburtenzahlen und den offenen Schleusen der Höheren Schulen geschuldet.
Wir hatten im Vorjahr jedenfalls wieder ein Plus bei den Lehrlingszahlen. Ich glaube also, die Richtung stimmt, aber es hat sich halt vieles geändert [lacht]. Ich muss lachen, weil ich am Sonntag beim Maxlaunmarkt in Niederwölz [Anmerkung: ein traditioneller viertägiger Jahrmarkt] war. Der dortige Priester stammt aus Rumänien und sagte zu mir: »Ich bin seit zwei Jahren da, ich hatte Taufen, ich hatte Begräbnisse, aber noch keine einzige Hochzeit. Alle werden hier ledig geboren.« [lacht erneut] Das ist halt eine gesellschaftliche Entwicklung, aber es macht keinen großen Unterschied, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht. Wir haben halt noch vor dem ersten Kind geheiratet. Und zu Zeiten des alten Josef Krainer – der ist jetzt 48 Jahre tot – war ein lediges Kind noch eine schwere Sünde, für die man beichten gehen musste …

Pressesprecher meldet sich zu Wort: »Der Top 1 zum Standort der Kaserne Aigen hätte jetzt begonnen.«

… OK, ich muss leider wieder in den Landtag.

Eine letzte Frage: Sie haben angekündigt, Sie wollen volle fünf Jahre als Landeshauptmann durchhalten. Jetzt sind sie inzwischen Großvater geworden. Hat das Ihren Reformeifer zusätzlich gestärkt oder gibt es auch eine Sehnsucht, leiser zu treten und sich mehr der Familie zu widmen?
Man ist auf fünf Jahre gewählt. Ich habe immer gesagt, der Herrgott und die Gesundheit haben ein Wörtchen mitzureden, aber ich bin mit Leib und Seele dabei.

Herr Schützenhöfer, vielen Dank für das Gespräch!

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Hermann Schützenhofer wurde am 29. Februar 1952 im niederösterreichischen Edlitz geboren. Er zog nach der Pflichtschule mit seiner Familie nach Kirchbach, wo er eine Kaufmannslehre absolvierte und nebenbei unter anderem für die Kleine Zeitung journalistisch arbeitete. Mit 18 Jahren trat er bereits in die Junge Volkspartei als Landessekretär ein und machte in den 1980er-Jahren von sich reden, weil er entgegen der Parteilinie für eine Gesamtschule sowie einen Mindestlohn für alle eintrat. 2005 übernahm er nach der Wahlniederlage die Führung der ÖVP. Seit 16. Juni 2015 ist er Landeshauptmann der Steiermark.

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Fazitgespräch, Fazit 157 (November 2019), Fotos: Erwin Scheriau

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