Tandl macht Schluss (Fazit 157)
Johannes Tandl | 30. Oktober 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 157, Schlusspunkt
Was bleibt vom großen Versprechen der SPÖ? Die Verdienste der österreichischen Sozialdemokratie sind unumstritten. So war der legendäre Bruno Kreisky nicht nur ein Modernisierer, sondern auch der Garant dafür, dass die SPÖ ihr zentrales Versprechen, »Aufstieg durch Leistung« in vielen Bereichen umsetzen konnte. Dass Kreiskys Schuldenpolitik später zum finanziellen Zusammenbruch der verstaatlichten Industrie führte, ist die andere Seite derselben Medaille sozialdemokratischer Politik. Bruno Kreisky hat seine Reformen mit dem Motto »Leistung, Aufstieg, Sicherheit« begründet. Ihm ist es zu verdanken, dass in Österreich seither auch »Arbeiterkindern« der Weg zu Matura und Studium offensteht.
Die meiste Zeit zwischen 1945 und heute regierten SPÖ und ÖVP gemeinsam. Und selbst während anderer Phasen hatte die jeweilige nicht regierende Großpartei über die Sozialpartnerschaft einen massiven Einfluss auf so gut wie alle wichtigen Entscheidungen, die in der Republik getroffen wurden. Die SPÖ preschte dabei immer wieder mit ihren Ideen zum Ausbau des Sozialstaates vor und die ÖVP kam ihrer konservativen und christlich-sozialen Verantwortung nach, indem sie den Laden finanziell über Wasser hielt.
Mit dem EU-Beitritt im Jahr 1995 wurden zahlreiche politische Verantwortlichkeiten an Brüssel abgegeben. Die jeweiligen Bundeskanzler wurden durch ihre persönliche Mitgliedschaft im Europäischen Rat sogar noch stärker. Entmachtet wurde hingegen das Parlament, dem seit 1995 die undankbare Aufgabe zukommt, die meisten EU-Entscheidungen verbindlich in österreichisches Recht umzuwandeln. Auch die Sozialpartner verloren mit dem EU-Beitritt an Einfluss. Davon, dass Kammern und Gewerkschaft der Regierung in sämtlichen Fragen der Gesundheits-, Bildungs- oder Sozialpolitik vorgeben, welche Beschlüsse in Gesetze umzuwandeln sind, ist seither keine Rede mehr. Geblieben sind nur die KV-Verhandlungen oder die Besetzung zahlreicher – letztlich mäßig einflussreicher – Positionen in den Kammern und Sozialversicherungen.
Dank der EU-Osterweiterung und der Globalisierung stieg die Alpenrepublik in der Folge sogar zum achtreichsten Land der Welt auf. Das SPÖ-Ziel »Aufstieg durch Leistung« war weitgehend umgesetzt. Die Gesellschaft ist nach oben durchlässig geworden und viele »Arbeiterkinder« schafften den Sprung in das urbane Bildungsbürgertum. Doch dort sind sie für die SPÖ – mit Ausnahme von Wien – als Wähler eine kaum erreichbare Schicht geworden.
Bei der letzten Nationalratswahl erfolgte eine gewaltige Wählerwanderung von der SPÖ zu den Grünen. Die Sozialdemokratie hat fast 200.000 Stimmen an die von der Klimadiskussion befeuerte Ökopartei verloren. Ohne inhaltliches Angebot für die ehemaligen Stammwähler und ohne Angebot für die neuen Bildungsbürger ist sie trotz des FPÖ-Ibiza-Skandals und eines durchwachsenen ÖVP-Wahlkampfes in eine tiefe Krise gestürzt.
Viele Österreicher, die – aus bescheidenen Familienverhältnissen heraus – in den letzten 50 Jahren den gesellschaftlichen Aufstieg geschafft haben, sind sich darin einig, dass sie es ohne Sozialdemokratie nicht so rasch geschafft hätten. Wählbar ist die SPÖ für diese dennoch nicht (mehr). Denn eine SPÖ, die versucht urbaner zu werden, indem sie die Grünen kopiert und dem Leistungsgedanken abschwört, treibt ihre traditionellen Wähler nicht mehr nur zur FPÖ, sondern neuerdings sogar zur türkisen ÖVP. Die meisten Arbeitnehmer können nämlich nichts damit anfangen, dass die SPÖ das Kreisky-Motto »Leistung, Aufstieg, Sicherheit« nicht mehr lebt, sondern durch »Aufstieg für alle« ersetzt hat.
Wer wie Kreisky »Aufstieg durch Leistung« propagiert und als Arbeitnehmer – außerhalb der geschützten staatlichen Bereiche – im rauen Wind einer globalisierten Weltwirtschaft sein gutes Geld verdienen muss, verschwendet keine Gedanken an den Klassenkampf. Die modernen Arbeitnehmer kämpfen lieber gegen jene, die ihnen das schwerverdiente Geld über exorbitante Steuern und Ausgaben aus der Tasche ziehen, um es an die zu verteilen, die auch ohne entsprechende Leistung einen ähnlichen Lebensstandard anstreben.
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Tandl macht Schluss! Fazit 157 (November 2019)
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