Kunst und Zauberei
Volker Schögler | 6. Dezember 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 158, Fazitbegegnung
Alles wird gut. So könnte das Motto von Sabine Hüttgrabers winzigem Laden in der Steyrergasse 45 lauten. Tatsächlich heißt er »Illy« und keiner weiß warum. Sicher ist nur, dass er nichts mit dem gleichnamigen Kaffee beziehungsweise dem ehemaligen Bürgermeister von Triest zu tun hat.
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Der Name ist wahrscheinlich eine Erfindung der Vorbesitzerin Petronella Pleyer, die hier von 1964 bis 1996 ordiniert hat. Schließlich handelt es sich um eine Art Klinik, eine »Klinik kaputter Kleider« (Copyright by sonntagsblatt.tv). Als Sabine Hüttgraber hier 1990 angefangen hat, wurde noch ziemlich viel geschneidert, genäht und geändert.
Mit dem Sprung in die Selbständigkeit und der Übernahme des Geschäfts im Jahr 1996 spezialisierte sie sich immer mehr auf eine inzwischen nahezu ausgestorbene Fertigkeit, das Kunststopfen. Mittlerweile betreibt sie die einzige reine Kunststopferei in der Steiermark und entsprechend groß ist die Nachfrage nach ihrer Kunst. Und eine Kunst ist es allemal, was Sabine Hüttgraber macht, oft genug grenzt es an Zauberei. Im Standardszenario spielen Pullover und Motten die Hauptrollen, die Folge ist immer ein Loch. Meist mehrere. Egal, ob das Kleidungsstück einfärbig oder bunt, gestreift oder kariert, glatt-verkehrt oder sonstwie gestrickt oder gewebt ist, Hüttgraber schafft es, das Loch unsichtbar zu machen. Verblüffung und Freude der Kundschaft sind garantiert und auch ein Teil ihres Lohns.
Der Preis richtet sich ausschließlich nach der Arbeitszeit, denn in der Regel wird für die Reparatur das eigene Material des Kleidungsstücks verwendet, daher entsteht kein Materialaufwand. Das funktioniert so: An einer unauffälligen Stelle werden Originalfäden des Kleidungsstücks entnommen und beim Loch wieder eingewebt. Die Fäden müssen bloß ein Stück länger sein, als das Loch groß ist. Hüttgraber arbeitet dabei mit einer gekrümmten Nadel unter einer riesigen Lupe und webt die vorhandene Struktur des Stoffes nach. Aber Loch ist nicht gleich Loch – abgesehen von der Größe, kommt es vor allem auf die Feinheit des Gewebes an. Je feiner, desto aufwendiger. Eigene Techniken wie aufrauhen und flachbügeln gehören zu den Kunstgeheimnissen.
Das 24-Quadratmetergeschäft ist vollgestopft mit Kleidungsstücken von Kunden aus mehreren Bundesländern, aber auch aus der Schweiz, aus Deutschland oder Slowenien. Dabei handelt es sich keineswegs nur um Pullover und Westen, sondern auch um Sakkos und Hosen, Blusen, T-Shirts, Mäntel, Tischtücher, Decken oder Krawatten. Nicht nur um Wolle, sondern auch um Leinen, Baumwolle oder Mischgewebe. »Alles außer Leder wird repariert«, so die Zauberin, die zugleich ein wichtiger Vorposten gegen die Wegwerfgesellschaft im Sinne der Nachhaltigkeit ist. Reparieren und in Stand setzen statt wegwerfen ist eigentlich ein alter Hut, aber heute wieder höchst aktuell. Außerdem zahlt es sich wirklich aus, denn die Preise der Kunststopferin sind sehr moderat. Deshalb ist auch die Kundschaft bunt gemischt und rekrutiert sich aus der Studentenschaft mit wenig Geld bis zu Kunden mit reichlich gefüllten Kleiderschränken, die Wert auf gute Qualität legen und diese auch erhalten wollen. Oft sind auch Erbstücke dabei, Tischtücher von der Oma – oder heimlich »Ausgeliehenes«, das kaputt gegangen ist.
Es müssen keineswegs Motten die Verursacher der Schäden sein, auch Zigarettenglut oder schlicht Einrisse können wieder so gut wie unsichtbar gemacht werden. Dabei wollte die gelernte Schneiderin aus der Oststeiermark irgendetwas anderes machen (etwa Matura nachholen), nachdem ihr einstiger Arbeitgeber Adidas die Produktion von Trainingsanzügen ins Ausland verlegt und in Gösting zugesperrt hat. Aber viel Kundenlob und das Gefühl, anderen eine Freude zu bereiten, lassen Sabine Hüttgraber ihren besonderen Beruf auch gern ausüben.
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Sabine Hüttgraber wurde am 10. April 1967 in Mitterdorf an der Raab geboren und im Modesalon Kirim am Faßlberg zur Damenschneiderin ausgebildet. Nach drei Jahren bei Adidas und sechs bei ihrer Vorgängerin betreibt sie ihr Geschäft in Graz seit 23 Jahren. Hüttgraber hat einen Sohn, der Montanmaschinenbau studiert. Ihre Kunden kommen aus dem In- und Ausland.
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Fazitbegegnung, Fazit 158 (Dezember 2019) – Foto: Heimo Binder
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