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Voller Energie

| 6. Dezember 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 158, Fazitgespräch

Foto: Erwin Scheriau

Christian Purrer von der Energie Steiermark im Gespräch über ein Europa ohne Atomstrom und CO2-Neutralität.

Das Gespräch führten Peter K. Wagner und Johannes Tandl.
Fotos von Erwin Scheriau.

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Der Blick aus der Chefetage der Energie Steiermark am Grazer Leonhardgürtel ist atemberaubend. Und obwohl der Wartebereich vor den Vorstandsbüros keine Außenfenster hat, erlauben die gläsernen Wände und Türen doch einen beeindruckenden Blick auf Graz.

Der Umbau des 55 Jahre alten Steweag-Hochhauses zur modernen kommunikativen Konzernzentrale des steirischen Landesenergieversorgers erfolgte noch unter dem Vorgänger unseres Gesprächpartners. 15.000 Quadratmeter Büros im Passivhausstil – gediegen und gleichzeitig kommunikativ, aber trotzdem ohne augenscheinlichen Protz. Aus Sicht der Besucher ist der Umbau jedenfalls gut geglückt. Gleich daneben liegt übrigens die ehemalige Estag-Zentrale.
Das als »Palazzo Prozzi« in die steirischen Annalen eingegangene Palais Herberstein.

Nach kurzem Warten, das die Möglichkeit zum Smalltalk mit einigen führenden Mitarbeitern bei einem ausgezeichneten Espresso bietet, öffnet sich die Tür von Vorstandssprecher Christian Purrer: »Kumt´s eina. Über was reden wir heut?«

***

Herr Purrer, bis wann wird die Energieversorgung in der Steiermark zu 100 Prozent klimaneutral sein?
Man sollte das zunächst österreichweit sehen. Dort ist das Ziel das Jahr 2030, das ist allerdings schwer zu erreichen. Aufgrund der Verzögerung der Regierungsbildung fehlen noch die Rahmenbedingungen, um in Photovoltaik und Wind stärker zu investieren. Die Steiermark wird ihren Beitrag leisten und ich bin zuversichtlich, dass auch wir das bis 2030 schaffen werden. Es geht dabei um eine Jahresbilanz. Und wie die aussieht, hängt stark davon ab, inwieweit auch Mobilität und die Raumwärme klimaneutral werden.

Wenn Sie sagen, es sei eine Frage der Jahresbilanz, heißt das, es wird auch weiterhin CO2 verursachende Kraftwerke geben?
Nicht bei uns in der Energie Steiermark, aber bei anderen Unternehmen. Ja, es wird auch weiterhin das eine oder andere Gaskraftwerk zur Unterstützung bestehen.

Wie ist das mit dem Gaskraftwerk Mellach, das dem Verbund gehört?
Dieses Kraftwerk dient praktisch zur Netzstützung. Das Kohlekraftwerk des Verbund wird nächstes Jahr vom Markt gehen, aber die zwei großen Gasblöcke sind voll im Einsatz.

Ist in weiterer Folge eine Vision, auf Wasserstoff zu setzen?
Wir haben nicht nur die Vision, wir sind Teil eines Projekts in Gabersdorf rund um eine größere Photovoltaikanlage, in der wir Wasserstoff produzieren wollen. Der Wasserstoff, der mit CO2-freiem Strom erzeugt wird, soll von Gabersdorf nach Graz transportiert werden, um dort einen Teil der Busflotte mit Wasserstoffbrennzellen zu betreiben. Das ist im Sinne der CO2-Reduktion ein großer Hebel.

Es heißt, wenn Photovoltaik und Wind sich so weiterentwickeln wie geplant, würden sich die Pumpspeicherkapazitäten versiebenfachen müssen. Das klingt illusorisch.
Daher braucht man andere Speichermedien wie den Wasserstoff zum Beispiel, aber auch viele regional verteilte, kleine Batterien könnten so ein Medium sein. Es ist ein Thema, dass Strom oft dann erzeugt wird, wenn er nicht gebraucht wird, deshalb braucht man Speicher. Und für die werden wir sorgen.

Die Fernwärmeversorgung der Stadt Graz soll auch irgendwann einmal klimaneutral sein. Die Energie Steiermark ist zu 50 Prozent Eigentümer der Energie Graz und damit ist das ein mehr als relevantes Thema für Ihr Unternehmen.
Wir sind nicht nur zur Hälfte Eigentümer der Energie Graz, sondern auch der Großteil der Produktion der Fernwärme liegt in unserer Hand. Die klimafreundliche Wärmeproduktion ist ein großes Thema. Sowohl im Bereich der Mobilität als auch der Raumwärme wird es aber nicht die eine große Lösung geben, sondern einen grünen Mix. Es wird einen Einsatzbereich für batteriebetriebene Autos geben – sie werden regional und urban zum Einsatz kommen. Es wird das Thema der Wasserstoffautos geben, die sich besser für Überlandfahrten eignen. Aber es wird auch einen Bereich geben, wo mit herkömmlichen Motoren gefahren wird, wo vielleicht ein biogener Brennstoff zum Einsatz kommen wird oder wo CO2 gespeichert wird. Professor List von der AVL spricht sogar von der Entwicklung eines CO2-freien Dieselmotors. Dasselbe gilt für die Raumwärme, da wird die Fernwärme mit Sicherheit eine Rolle spielen, aber nur dann, wenn wir zu einer CO2-freien Wärme gelangen. Bei uns gibt es etwa das Projekt Biosolar, wo wir aus der Sonne Wärme gewinnen wollen und mittels eines großen Puffers speichern werden. Die Wärme in diesem Speicher erreicht aber nur 80 bis 85 Grad. Da das für das Fernwärmenetz nicht reicht, werden wir das Wasser mit einem Biomasseheizwerk weiter aufheizen. Dadurch werden wir hier zum Beispiel CO2-frei. So soll ein großer Teil der benötigten Fernwärme auf Sicht CO2-frei werden.

Welches Investitionsvolumen ist dafür notwendig?
Etwa 85 bis 90 Millionen Euro.

Wenn man bedenkt, dass die Energie Steiermark jährlich 100 bis 120 Millionen Euro investiert, sind diese Zahlen aber gar nicht so hoch.
Wir investieren allein 100 Millionen Euro jedes Jahr in das Stromnetz. Dazu kommen dann noch die Investitionen in den Bau von klimafreundlichen Kraftwerken. Im aktuellen Investitionsplan stehen wir etwa bei 140 bis 160 Millionen Euro. Wir schaffen solche Zahlen also. Die Frage, die wir uns jedoch stellen, ist, wie wir die Kosten aus solarer mit Biomasse zusätzlich beheizter Fernwärme für die Endkunden erschwinglich halten. Aber wir glauben, dass wir auch diesbezüglich auf dem richtigen Weg sind. Wir haben erst unlängst bei einer Diskussion mit dem Vizepräsidenten der europäischen Investitionsbank festgestellt, dass es großes Interesse an solchen Anlagen gibt und Förderungen möglich sind. Ein wichtiger Punkt, der bei Wärme nicht vergessen werden darf, ist jener der Abwärme. Alles, was die Industrie an Abwärme erzeugt, muss eingespeist werden, genauso wie bei der Kraftwärmekopplung beim Mellacher Gaskraftwerk zum Beispiel.

Foto: Erwin Scheriau

Die Energie Steiermark hat erst kürzlich ein sogenanntes „Green Loan“-Darlehen über 90 Millionen Euro bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) zum Ausbau der Stromnetze zur besseren Einbindung erneuerbarer Energien aufgenommen. War dieses Darlehen tatsächlich günstiger als eine Finanzierung auf dem Finanzmarkt oder beim hauseigenen Minderheitsanteilseigner Macquarie?
Es ist für uns wirklich günstiger. Seit ich hier im Vorstand bin, haben wir unterschiedliche Finanzierungen aufgenommen. Wir haben ein Schuldscheindarlehen von der Hessischen Landesbank oder ein Darlehen von Raiffeisen in Höhe von 120 Millionen. Derzeit ist die Europäische Investitionsbank konkurrenzlos günstig, was die Zinslage betrifft. Und der „Green Loan“ hat den Vorteil, sehr lange eine günstige Finanzierung zu sichern. Man braucht dafür allerdings die richtigen Projekte. Der Zugang zur EIB ist für uns daher von großer Bedeutung. Die EIB möchte sich zu einer grünen Bank entwickeln und den Plan von Ursula von der Leyen im Sinne des Klimaschutzes umsetzen.

Wie kann die Steiermark atomstromfrei werden? Zwischen 6 und 16 Prozent liegt der Anteil an Atomstrom laut unterschiedlicher Berechnungen. Im Übrigen hat der Atomstrom ja einen Vorteil: Er ist klimaneutral.
Die Energie Steiermark ist atomstromfrei. Die Frage zielt auf physikalische Theorie ab. In Europa ist im Mix 15 oder 20 Prozent Atomstrom, aber wenn wir Strom einkaufen, kaufen wir ausschließlich die richtigen Zertifikate und die sind atomstromfrei. Bei uns wird kein Kunde auch nur im Promillebereich Atomstrom im Paket haben. Es gibt unterschiedliche Qualitäten, die Industrie hat etwas Kohle- und Gasstrom dabei, die privaten Haushalte haben eigentlich nur Wasserkraft. Dann gibt es für besonders ökologisch denkende Menschen auch noch einen Mix aus kleiner Wasserkraft, Photovoltaik und Windkraft. Jetzt kann man sagen, dass ist alles nur Papierkram. Aber wir kaufen dort, wo wir die Energie einkaufen, tatsächlich immer auch die Zertifikate mit. Nach der Theorie Ihrer Frage kann man die Steiermark nur dann atomstromfrei mit Energie versorgen, wenn in ganz Europa keine Atomkraftwerke mehr am Netz hängen.

Die Energie Steiermark steht als steirischer Landesenergieversorger zu 74,9 Prozent im Besitz des Landes. Was hat der Stromkunde davon, dass er mit seinen Strompreisen über die Energie-Steiermark-Dividende die Löcher im Landesbudget stopfen muss?
Ich glaube, dass jedes Unternehmen das eingesetzte Kapital erfolgreich verzinsen muss. Dadurch kommt es bei uns zu Dividenden von 50 bis 65 Millionen Euro jährlich. Wir sind kein Non-Profit-Unternehmen und auch keine NGO. Wir sind ein Unternehmen, in dem viel Kapital steckt – weit über eine Milliarde Euro sogar. Das gehört wie bei jedem normalen Geschäft verzinst. Ganz einfach aus dem Grund, da sonst das Interesse an einem Unternehmen wie unserem verloren ginge.

Die Energie Steiermark hat sich schon einmal komplett aus dem Kraftwerksbetrieb zurückgezogen. Nun werden wir sukzessive Kraftwerke ins Portfolio aufgenommen. Entspricht das der Klimastrategie oder einer betriebswirtschaftlichen Strategie?
Wir haben uns nicht zurückgezogen, wir haben das Netz der STEG und deren Kunden gekauft und unsere Wasserkraftwerke in die Verbund Hydro Power eingebracht. Was man immer vergisst, ist, dass wir bei der Verbund Hydro Power mit fünf Prozent beteiligt sind. Uns gehören also auch fünf Prozent von Kaprun oder den Donau- oder Draukraftwerken. Im Vorjahr hat uns das übrigens eine Dividende von etwa 15 Millionen eingebracht. Das ist der Betrag, den wir auch erhalten hätten, wenn wir die Kraftwerke weiterhin selbst betrieben hätten. Wir haben uns außerdem auch den Strom unserer ehemaligen Kraftwerke auf Lebzeiten gesichert. Die Energie Steiermark hat dann darüber hinaus den Entschluss gefasst, weiter zu investieren. Etwa in Wasserkraftwerke. Wir haben einen kleinen Kraftwerkpark in der Oststeiermark erworben und sind etwas später auch in den Windbereich eingestiegen. Erst später deshalb, weil die steirische Rahmengesetzgebung eigentlich nicht sehr windkraftfreundlich war. Das hat sich in den letzten Jahren stark geändert.

Das umstrittene Murkraftwerk, genauer gesagt die Murstaustufe Graz-Süd in Puntigam, ist seit kurzem eröffnet. Es gab dort viele Streitereien und Kritik. Verstehen Sie die polarisierenden Haltungen?
Nein. Wir haben einen klaren Zug zu einer CO2-freien Stromproduktion. Jeder weiß, dass die Energiewende nur mit der Produktion von CO2-freiem Strom funktionieren kann. Nun haben wir mitten in Graz ein Kraftwerk gebaut, das von der ökologischen Belastung meiner Meinung nach minimal ist. Daher verstehe ich überhaupt nicht, dass der vielleicht zukünftige Vizekanzler Teil der Demonstranten war. Gerade die Grünen müssten eigentlich ein Interesse daran haben, dass solche Flussbereiche ausgebaut werden.

War dieses Kraftwerk auch ökonomisch sinnvoll? Aus Sicht der Stadt Graz ist es aufgrund des Speicherkanals ja nachvollziehbar, aber für die Energie Steiermark auch?
Ja, unbedingt. Wir haben beim Speicherkanal einen Beitrag geleistet. Aber wir hätten einen größeren Beitrag leisten müssen, wenn die Stadt Graz den Speicherkanal nicht gebaut hätte, weil wir sonst die ganzen Kanäle bis ins Unterwasser führen hätten müssen. Die Oberflächenwässer kann man ja nicht in ein Stehgewässer einleiten. Es ist also ein echtes Win-win-Szenario. Während der Bauphase hat sich der Strompreis noch dazu fast verdoppelt. Das heißt, wir erzielen bereits in den ersten Jahren deutlich höhere Erlöse als geplant. Es läuft gut für uns. Wir sind keine Gönner, wir bauen solche Kraftwerke aus ökonomischen Überlegungen.

Foto: Erwin Scheriau

Werden die Strompreise so hoch bleiben?
Sie werden tendenziell eher weiter steigen. Wenn Deutschland sukzessive aus der Kohle aussteigt, wird der Level, der jetzt da ist, eher nach oben nivelliert werden.

Ihr Eigentümervertreter Landeshauptmannstellvertreter Michael Schickhofer berichtet bei seinen Donnerstags-Pressekonferenzen regelmäßig darüber, dass er die Energie Steiermark angewiesen habe, dies und das umzusetzen. Das hört sich so an, als ob er bloß zum Handy greifen braucht und Sie müssen springen. Wie schaut es tatsächlich mit der Einflussnahme der Eigentümervertreter aus?
Wir haben ein gutes Arbeitsverhältnis, dessen Rahmen durch das Aktienrecht geregelt ist.

In den letzten drei Jahren haben sie ungefähr 172 Millionen als Dividenden an das Land Steiermark und an ihren 25%-Eigentümer Macquarie ausbezahlt. Wie verläuft eigentlich die Zusammenarbeit mit dem Finanzinvestor Macquarie und wer nimmt dessen Interessen in ihrem Vorstand wahr?
Es sind zwei Fachleute aus Deutschland in den Aufsichtsrat kooptiert, die aus der Branche kommen und viel Wissen haben. Aber sie haben keine operativen Rechte oder gar die Möglichkeit, einen Vorstand zu positionieren. Unser Aufsichtsratsvorsitzender Josef Müllner achtet sehr genau darauf, dass diesbezüglich alles vertragskonform läuft. Wir können uns daher sinnvoll und frei bewegen.

Sie sind seit 2012 bei der Energie Steiermark, der Vertrag läuft 2021 aus. Was sind Ihre Pläne?
Ich bin dann 66 Jahre alt. Ich schließe nichts aus und es kommt auf die Struktur des Eigentümers an. Ich bin schon jetzt der Vorstand, der am längsten im Amt ist.

Herr Purrer, vielen Dank für das Gespräch!

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Christian Purrer wurde am 7. Jänner 1955 geboren. Nach dem Studium des Bauingenieurwesens an der TU Graz arbeitete er als Assistent am Institut für konstruktiven Wasserbau der TU Graz. Im Jahr 1989 wechselte Purrer in die Steweag, Abteilung für strategische Planung. Seit April 2012 ist Purrer Vorstandssprecher der Energie Steiermark AG und engagiert sich zudem in Aufsichtsräten und Interessenvertretungen. Er ist verheiratet und hat eine Tochter.

Die Energie Steiermark ist das viertgrößte Energie- und Dienstleistungsunternehmen Österreichs und steht zu 75,1 Prozent im Eigentum des Landes Steiermark. Das Unternehmen hat 1.800 Mitarbeiter und etwa 600.000 Kunden im In- und Ausland. Der Zweiervorstand  besteht aus Vorstandssprecher Christian Purrer und Vorstandsdirektor Martin Graf.

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