Tandl macht Schluss (Fazit 159)
Johannes Tandl | 20. Januar 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 159, Schlusspunkt
Populismus als kleineres Übel. »Get the Brexit done!« Nicht nur Brüssel hatte darauf gehofft, dass die Briten die Gelegenheit am Schopf packen würden, um mit dem Brexit auch dem Populismus von Boris Johnson eine Abfuhr zu erteilen. Weit gefehlt! Obwohl Johnson das Brexit-Votum mit erlogenen Argumenten erreicht hat, ist es ihm gelungen, der »Labour Party« eine der schwärzesten Stunden ihrer Parteigeschichte zu bereiten. Johnson hat mit dem wackeligen Brexitkurs von Labour-Chef Jeremy Corbyn abgerechnet.
Das Königreich hat zweifellos die schrillste Medienlandschaft Europas. Diese profitiert davon, die Politik auf einen Kampf von Gut gegen Böse zu reduzieren. Selbst die BBC als wohl beste öffentlich-rechtliche Sendeanstalt der Welt greift meist nur Themen auf, die zuvor vom Boulevard zugespitzt wurden. Und so ist Großbritannien inzwischen noch gespaltener als das restliche Europa oder die USA. Anders als fast überall sonst in Europa ist britische Parteienlandschaft jedoch kompakt geblieben. Es gibt keine Zersplitterung. Trotz der gesellschaftlichen Spaltung regiert nun wieder eine einzige Partei. Und das schafft Stabilität. Verantwortlich dafür ist ein Mehrheitswahlrecht mit Einerwahlkreisen. Der stimmenstärkste Kandidat kommt für seinen Wahlkreis ins Parlament – egal ob mit 20 oder über 50 Prozent der Stimmen. Gegenüber mittleren oder kleinen Parteien ist das natürlich ungerecht. Bei uns gäbe es bei einem britischen »The winner takes ist all«-System vielleicht ein paar Grüne und Freiheitliche, aber ganz sicher keine Neos oder Kommunisten in den Parlamenten.
Johnson Wahlsieg beweist – wie jener von Donald Trump – , dass Mehrheitswahlsysteme nicht vor Populisten schützen. Aber ist das wirklich so schlimm? Johnson kann selbst bei einem No-Deal-Brexit nichts anderes tun, als die britische Wirtschaft weiterhin im Binnenmarkt zu halten. Als Populist wird er sogar einen Weg finden, um das seinen »Brexeters« als weiteren Erfolg zu verkaufen. Und wenn er das nicht schaffen sollte, kommt beim nächsten Mal halt wieder Labour zum Zug.
Ein Wahlsystem sollte für gerechte Mehrheiten sorgen, einen regelmäßigen demokratischen Regierungswechsel zulassen und stabile Regierungen ermöglichen. Das Verhältniswahlrecht kann das nicht mehr leisten. In Deutschland regiert eine große Koalition, weil sich wegen der Zersplitterung der Parteienlandschaft keine andere Zweierkoalition mehr ausgeht. In Italien gibt es keine Volksparteien mehr und in Österreich schwebt über der SPÖ die Gefahr eines noch viel tieferen Falls, während die ÖVP ihren Absturz vorläufig durch das politische Ausnahmetalent Sebastian Kurz gestoppt hat.
Wahrscheinlich führt jedes Verhältniswahlrecht auf lange Sicht unweigerlich zum Niedergang der Volksparteien und in die Unregierbarkeit. Die Zersplitterung der Parteienlandschaft ist unausweichlich. Aus Stabilitätsgründen sollte man daher in ganz Europa über Mehrheitswahlsysteme nachdenken. Am besten solche, die es auch Kleinparteien ermöglichen, in die Parlamente einzuziehen bzw. in Regierungsverantwortung zu gelangen. Der Grazer Verfassungsrechtler Klaus Poier hat ein sogenanntes minderheitsfreundliches Mehrheitswahlrecht entwickelt, das den kleineren Parteien entgegenkommt. Poiers Modell sieht vor, dass die stimmenstärkste Partei 50 Prozent und einen Parlamentssitz erhält. Die restlichen Sitze werden nach dem Verhältniswahlrecht auf die anderen Parteien aufgeteilt. Um die anderen Parteien nicht dauerhaft von der Regierung auszuschließen, hat der steirische ÖVP-Politiker Herwig Hösele Poiers System abgeändert. Die stärkste Partei würde um einen Parlamentssitz weniger als die Hälfte erhalten, sodass sie sich, solange sie keine absolute Mehrheit erreicht, immer eine andere Partei als Regierungspartner suchen muss.
Ein Mehrheitswahlsystem wird niemals absolut gerecht sein, weil die Parlamentssitze nicht nach den Stimmenanteilen aufgeteilt werden. Darüber nachzudenken, wie das Wahlsystem verändert werden kann, damit die Regierungen stabiler werden und welche »Checks and Balances« womöglich gestärkt werden müssen, könnte sich dennoch auszahlen.
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