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Die Kunst, Rollen auch zu trennen

| 26. März 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 161, Serie »Erfolg braucht Führung«

Beruflich und privat ein Team. Ein Gespräch von Carola Payer mit Michael Seper, ihrem Lebenspartner und Partner in der gemeinsamen Unternehmensberatung.

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Wenn zwei Unternehmen heiraten, sind sie sich oft völlig fremd. Wenn Partner, die in eine neue Beziehung gehen und Kinder mitbringen, ähnelt das einer Fusion. Auch Unternehmen, die in derselben Branche arbeiten oder Partner schon Familien haben, müssen sowohl bei Fusionen als auch in »neuen« Familien die unterschiedlichen Unternehmens- und Familienkulturen zusammen geführt werden. Dafür müssen die Führungskräfte und Eltern der verschiedenen Systeme professionell handeln und kommunizieren. Im Patchwork-Jargon spricht man von der »Patchwork Lüge«, wenn Eltern sich einreden, dass das leicht ist. Bei Fusionen spricht man im Modell der 7 Veränderungsphasen von der Ablehnung oder Verneinung, die Themen wahrnehmen zu wollen. »Die Zeit wird das schon richten« ist ein falscher Zugang. Der Prozess muss gut geleitet und eventuell sogar extern begleitet werden. Das bestätigt auch Tamara Haas: »Viele gehen davon aus, dass sie wie in der früheren Beziehung leben können, nur halt mit einem neuen Partner. Das ist der häufigste Fehler, der gemacht wird.«

Verständnis und Demut versus Egoismus
Tamara Haas: »Immer der Partner, der dazukommt, muss zuerst zurückstecken und flexibel, kompromissbereit und einfühlsam sein. Zumindest in den ersten zwei Jahren ist das sehr wichtig, damit es klappt. Man darf nicht ‚die Mama spielen‘, muss geduldig sein. Man braucht einen langen Atem. Eine große Gefahr ist, wenn man seine eigenen Interessen zu wichtig nimmt. Viel wichtiger ist es, sich in die Lage des anderen zu versetzen. Man muss oft einfach im Hier und Jetzt sein und nicht in seinen Erwartungen. Was ist jetzt in diesem Augenblick wichtig und vor allem wirksam? Mein Beruf der Anwältin hilft mir extrem. Berufsbedingt muss ich viele verschiedene Charaktere vertreten. Ich habe alle beteiligen Parteien schon vertreten und weiß, wo es hapert, wo gibt es Probleme. Ich verstehe Mütter und Väter und ergreife keine Partei. Ich versuche, neutral zu sein. Ich weiß, was Scheidungen, Unterhaltsstreit etc. bei anderen auslöst und welches Verhalten es triggert. Das heißt: Bist du mediativ veranlagt, dann geht das ganz gut. Bist du es nicht, dann scheiterst du.« Bei Fusionen fallen das Verständnis und die Zurücknahme des Egos eventuell schwerer, weil diese oftmals eher Vernunftehen als Liebesheiraten sind. Vernunftehen, in denen Emotionen eine große Bedeutung und Wirkung haben. Der Mangel an Vertrauen und Zutrauen, die Angst, Verlierer zu sein, der Druck, wieder schnell zu performen, kann das offene Zugehen auf die neuen Kollegen beeinflussen oder sogar extreme Widerstände und Kampfsituationen auslösen. Wenn man auf Akzeptanz durch die Mitarbeiter Wert legt, dann muss es den Führungskräften gelingen, rasch das Vertrauen zu erarbeiten. Sie müssen bei Kampf- und Abgrenzungstendenzen eingreifen und den Perspektivenwechsel der Mitarbeiter fördern. Emotionen sind Tamara Haas aus der Anfangsphase nicht fremd: »Am Anfang war die Eifersucht ein Thema. Weiters Frust und Stress, zu wenig Zeit für die neue Beziehung zu haben. Du bist frisch verliebt, voller Tatendrang und dann kannst du dich von Freitag bis Sonntag um ‚seine‘ Kinder bzw. die Kinder ‚anderer‘ kümmern.«

Loslassen von Gewohnheiten und Einstieg in eine andere Kultur
Mitarbeiter haben sich an die Strukturen, Prozesse, Arbeitsweisen und Spielregeln in Unternehmen gewöhnt. Kinder an die Erziehungsmodelle ihrer Eltern. Sie kennen die Entscheidungswege und Besonderheiten ihrer Umfelder. Wenn nun zwei oder sogar noch mehr Welten zusammenkommen, genügt es nicht allein, Strukturen und Regeln neu zu definieren und die Personen in Teams oder Zimmer zusammen zu legen. Loslassen wird in Organisationen und Familien von Beteiligten sehr schmerzhaft erlebt. Gewohnheiten geben Sicherheit und Stabilität und tragen auch zu effizienten Arbeits- und Alltagsroutinen bei. Tamara Haas: »Wir müssen irrsinnig viele Interessen unter einem Hut bringen, um harmonisch durch den Alltag zu kommen. Die verschiedenen Haltungen, Vorstellungen und Interessen der beteiligten Mütter, Väter, Partner, Kinder sind eine Gratwanderung.« Tamar Haas hat aber auch die Erfahrung gemacht: »Grenzen setzen geht bei den Kindern, die nur manchmal ins gesamte Familiensystem kommen, eher nicht. Die schalten sofort auf stur und kommen dann nicht mehr. Kinder, die part-time kommen, werden bei uns eher verwöhnt. Vor allem darf man andere Erziehungsstile nicht bewerten. Das führt zu nichts! Regeln mit den dazu gekommenen Kindern kannst du mit den Regeln bei den eigenen Kindern nicht vergleichen.« In Erziehung einmischen ist ein heikles Thema. Das wird dann als Kritik verstanden, umgekehrt kann aber auch der Vorwurf kommen: ‚Du kümmerst dich gar nicht um meine Kinder.‘ Neben den zahlreichen fachlich-inhaltlichen Fragen und der Frage nach der neuen Identität sind bei Fusionen kulturelle Fragestellungen herausfordernd. Es muss quasi eine »kulturelle Nullmessung« durchgeführt werden, wo man versucht, die Kultur der Unternehmen zu erfassen und daraus gemeinsame kulturelle Eckpfeiler abzuleiten. Die zusammen geführten Unternehmen sollten Zeit in die Reflexion der gemeinsamen Führungs-, Kommunikations-, Leistungs-,Innovations-, Team-, Veränderungs-, Kooperations- und Fehlerkultur investieren.

Teambuilding und Rolle der Führungskraft
Firmenfusionen und -übernahmen können daher nur funktionieren, wenn die Integration der Mitarbeiter erfolgreich ist. Neue Familien zu bilden, brauchen einen Prozess der Zusammenführung. Tamara Haas: »Eigentlich war meine Ausgangspatchworkfamilie mein Mann und seine zwei Töchter, ich ein Hund und ein Pferd. Unsere gemeinsamen Kinder kamen erst danach auf die Welt, da war das Teambuilding schleichend.« Unternehmen müssen insbesondere vorab viel in Kommunikation investieren und Führungskräfte gut in ihre Teams reinhören: Was beschäftigt die Leute? Welche Sorgen, Ängste, Gerüchte kursieren? Welche Vorbehalte hat man gegenüber neuen Kollegen? Den Mitarbeitern nah sein, ist wesentlich. Die erforderlichen neuen Organigramme zu zeichnen, über gemeinsame Prozesse nachzudenken, wird oft als wichtiger erachtet. Das Motto »Change-Kommunikation vor Change-Aktionismus« trägt zu positiven Zusammenführungen bei. Vorbildhaft als Führungskraft ohne Vorbehalte in die neuen Kooperationen zu gehen, motiviert auch die Mitarbeiter für Offenheit. Sowohl in Familien als auch bei Fusionen braucht es Zeit und Aufmerksamkeit für die Beziehungsgestaltung.

Harmoniesucht und Lösen von Konflikten
In Patchworkfamilien kann sowohl für die Kinder als auch für die Partner die Trennung traumatisch sein. Weil keiner mehr so was erleben möchte, neigen Patchworkfamilien manchmal dazu, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Auch in Unternehmen merkt man manchmal eine zu große Behutsamkeit der Führungskräfte, speziell mit neu integrierten Mitarbeitern. Die Harmoniesucht resultiert oft aus einer Art schlechtem Gewissen. Wenn die Tochter dem Vater vorwirft, netter zur Stifttochter zu sein, will dieser eventuell einfach höflicher zum »nicht familiären« Teil sein. Wenn Führungskräfte neuen Mitarbeitern mehr Aufmerksamkeit geben, können sich die bestehenden Mitarbeiter vernachlässigt fühlen. Wenn Kinder neue Partner ablehnen oder neue Partner die Kinder mit Geschenken überhäufen, können sich Konfliktfelder auftun. Wenn Mitarbeiter in den Widerstand gehen, tauchen Konflikte auf. Tamara Haas: » Auch in solchen Situationen heißt es: beobachten, ansprechen und reden, reden, reden. Aussprachen sind erfolgreich. Es klappt großteils gut. Man darf sich auch nicht erwarten, alles zu 100 Prozent lösen zu können. Bei nicht lösbaren Problemen sollte man sich externe Unterstützung holen. Wichtig ist, dass die Patchworkeltern zusammenhalten, vor den Kindern eine gemeinsame Sicht vertreten und bestimmte Themen unter vier Augen besprechen.«

Es braucht Geduld und Verständnis
Die wichtigsten Empfehlungen für Patchworkfamilien und für die Zusammenführung von Unternehmen aus Sicht von Tamara Haas: »Geduld, Verständnis, sich in den andern hineinversetzen, etwas aus der Sicht des Anderen betrachten. Das ändert den Blickwinkel. Da kann man irre viel für den eigenen Charakter lernen, wird extrem weitsichtig und nimmt sich selbst nicht mehr so wichtig.«

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Foto: Marija KanizajDr. Carola Payer betreibt in Graz die »Payer und Partner Coaching Company«. Sie ist Businesscoach, Unternehmensberaterin und Autorin. payerundpartner.at

Fazit 161 (April 2020), Fazitserie »Erfolg braucht Führung« (Teil 28)

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