Politicks Juli 2020
Johannes Tandl | 6. Juli 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 164, Politicks
Graz soll Radfahrerstadt werden
Das Land Steiermark und die Stadt Graz wollen in den nächsten zehn Jahren gemeinsam 100 Millionen Euro in die Grazer Radwege investieren. Bürgermeister Siegfried Nagl spricht zu Recht vom »Beginn einer Verkehrswende«. Denn nicht nur die bestehenden 120 Radwegekilometer sollen endlich sicherer und radfahrtauglicher gemacht werden, zusätzlich sollen 200 weitere Kilometer geschaffen werden.
Wer schon einmal das Wagnis auf sich genommen hat, Graz von Ost nach West mit dem Fahrrad zu durchqueren, weiß, wie dringend notwendig bequeme und sichere Radwege sind. Denn seit den Tagen von Verkehrsvisionär Erich Edegger, der es als ÖVP-Vizebürgermeister und Planungsstadtrat bereits in den frühen 80er-Jahren gewagt hatte, auf sanfte Mobilität zu setzen und zahlreiche – aus heutiger Sicht jedoch viel zu enge Fahrradstreifen – auf einige Grazer Straßen malen ließ, hat sich in puncto Radverkehr nicht mehr allzu viel getan. Es gab zwar einige Leuchtturmprojekte, wie den für seine 200 Meter Länge extrem teuren Radweg zwischen Leonhard- und Riesplatz, oder den Ausbau der links- und rechtsseitigen Murradwege samt Mur- und den Augartensteg. Aber das reicht natürlich längst nicht aus, um der steigenden Beliebtheit des Fahrrads als Alltagsverkehrsmittel Rechnung zu tragen.
Während die Nordsüdverbindung entlang der Mur also trotz der für Radfahrer unfreundlich geschalteten Ampeln einigermaßen funktioniert, ist vor allem der bevölkerungsreiche Grazer Westen Fahrradschwellenland geblieben. In Zukunft soll es Radschnellwege mit getrennten Richtungsfahrbahnen und Überholungsmöglichkeiten von den äußeren Stadtbezirken in die Innenstadt geben. Dazwischen sollen Verbindungswege geschaffen werden. Um den Anreiz zum Umsteigen auf das Rad zu erhöhen, verfolgt die kommunistische Verkehrsstadträtin Elke Kahr ein »Zuckerbrot-und-Peitsche-Konzept«. Denn mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger in der Innenstadt bedeutet automatisch weniger Platz für Autofahrer. Daher wird das öffentliche Parkplatzangebot im Zentrum deutlich reduziert.
Im Vorjahr lag der Fahrradanteil in Graz bei knapp 20 Prozent. Durch die Coronakrise dürfte er zuletzt deutlich angestiegen sein. Allerdings ging dieser Anstieg zu Lasten des öffentlichen Verkehrs. Ziel der Verkehrsplanung ist es natürlich, den 40-Prozent-Anteil des Autoverkehrs an den zurückgelegten Wegen zurückzudrängen.
Das Land investiert auch in den Bezirken in das Alltagsradnetz
Nicht nur in Graz, auch in der übrigen Steiermark soll in neue Radwege investiert werden. Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer sieht die sanfte Mobilität als Beitrag zum Klimaschutz in den Köpfen der Menschen angekommen und sein Stellvertreter Anton Lang geht neben den 50 Millionen für Graz von weiteren 130 Millionen für das Alltagsradnetz in den steirischen Bezirken aus. Dazu muss man sich vor Augen halten, dass bisher nur das touristische Radwegenetz bestens ausgebaut wurde. Für Menschen, die ihre täglichen Wege mit dem Fahrrad zurücklegen wollen, hat sich aber zu wenig getan. So wurden etwa viele Kreuzungen zu Kreisverkehren umgebaut. Damit sind sie für Autofahrer deutlich sicherer geworden, nicht jedoch für Radfahrer, für die jeder Kreisverkehr eine besondere Gefahrenquelle darstellt. Und auch die meisten steirischen Zentralorte sind verkehrstechnisch für Autofahrer optimiert.
Unterstützung erwartet sich das Land vom Bund. Derzeit wird mit der zuständigen Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) aber noch verhandelt. Rückendeckung erhält die Landesregierung von den steirischen Grünen, die in der Radoffensive einen ersten Schritt zu einem landesweiten Alltagsradwegenetz sehen.
Im Automotive-Bereich droht ein deutlicher Stellenabbau
Jeder dritte unselbstständig beschäftigte Steirer geriet durch die Pandemie bisher entweder in Kurzarbeit oder hat sogar seinen Arbeitsplatz verloren. Die Arbeitslosigkeit hat sich seit Mitte März verdoppelt. Anfang Juni lag sie etwa um 85 Prozent über dem Vorjahreswert. In den meisten Branchen ist der Shutdown längst beendet. Nur im personalintensiven Eventbereich ist immer noch nicht abzusehen, wann es eine Rückkehr zur alten Normalität geben kann. Dem Vernehmen nach wird es große Massenveranstaltungen erst wieder geben, wenn Corona durch einen wirkungsvollen Impfschutz nachhaltig besiegt ist.
Obwohl es im Fertigungsbereich keinen echten Shutdown gegeben hat, bereitet derzeit die »automotive-lastige« steirische Industrie die größten Sorgen. Denn Corona hat einen weltweiten Einbruch der Fahrzeugverkäufe verursacht. Und Unternehmen wie Magna-Steyr mit 16.000 Mitarbeitern in der Steiermark denken bereits laut über einen Stellenabbau nach. Mit seiner Ansage im ORF-Report, dass es für die steirischen Magna-Mitarbeiter keine Jobgarantie geben werde, stellte Magna-Europa-Geschäftsführer Günther Apfalter nicht nur zahlreiche Kündigungen in den Raum. Mit der expliziten Ankündigung, am Standort Graz festhalten zu wollen, deutete er an, dass es durchaus sein könne, dass steirische Magna-Werke außerhalb von Graz zusperren könnten. Aber nicht nur Magna, sondern der gesamte Automotive-Bereich mitsamt der Luftfahrtindustrie wurde durch die Pandemie hart getroffen. Im Vorjahr erwirtschafteten die 40.000 Mitarbeiter der Autocluster-Unternehmen mit 10 Milliarden Euro ein Viertel des steirischen Regionalproduktes. Umwegrentabilitäten sind da noch gar nicht mitgezählt.
Die Corona-Krise hat der gesamten Autobranche gewaltige Absatzeinbrüche beschert. Und die Zulieferindustrie ist sogar noch härter betroffen als die Stammwerke der Fahrzeughersteller. Kurzfristig müssen die Zulieferer zwar nur mit den Folgen eines – hoffentlich – temporären Absatzeinbruchs fertig werden. Langfristig besteht jedoch die Gefahr, dass die Autobauer ihre Aufträge gänzlich zurückziehen, weil sie inzwischen genügend eigene Kapazitäten haben, die sie auslasten wollen, bevor sie Aufträge auslagern. Klimakrise, Überkapazitäten, die Diskussionen über umweltfreundliche Antriebstechnologien sowie über Verkehrsbeschränkungen brachten den Automarkt schon vor der Pandemie ins Trudeln. Bereits in den Monaten Jänner und Februar brachen in der EU die Neuwagenkäufe um 7,5 Prozent ein. Im April betrug der Rückgang unglaubliche 76 Prozent!
Eine Umfrage unter deutschen Autozulieferern ergab, dass bis Ende Juli etwa 65 Prozent der Unternehmen bis zu 40 Prozent ihrer Arbeitsplätze abbauen wollen. So hart wird es hoffentlich weder Magna noch die übrigen AC-Styria-Mitglieder treffen, aber selbst ein Rückgang von »nur« zehn Prozent der gutbezahlten Metaller-Jobs, hätte große negative Auswirkungen auch auf alle anderen Wirtschaftsbereiche vom Handwerk bis zum Wohnbau.
Land Steiermark und AMS errichten Corona-Stiftung
Mit 40 Millionen haben das Land Steiermark und das AMS inzwischen eine sogenannte Corona-Stiftung dotiert. Laut Soziallandesrätin Doris Kampus handelt es sich dabei um die größte Arbeitsmarktinitiative der letzten Jahrzehnte. Über die Corona-Stiftung sollen Qualifizierungsmaßnahmen für 5.000 Menschen finanziert werden. Für AMS-Geschäftsführer Karl-Heinz Snobe ist das ganze Ausmaß des wirtschaftlichen Schadens durch die Pandemie überhaupt noch nicht abzusehen. Er rechnet jedenfalls mit zahlreichen Insolvenzen und längerfristigen Folgen für den Arbeitsmarkt.
Die Stiftung startet am 1. September. Zur steirischen Corona-Stiftung gehören auch Regionalstiftungen, über die die Unternehmen die Möglichkeit haben, gegen eine Kostenbeteiligung ihre Mitarbeiter höher zu qualifizieren. Daneben gibt es die Insolvenzstiftung, die arbeitslos gewordenen Steirern die Möglichkeit zu einer Umschulung bieten soll.
::: Hier im Printlayout online lesen
Politicks, Fazit 164 (Juli 2020)
Kommentare
Antworten