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Urbane Mobilmachung

| 6. Juli 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 164, Kunst und Kultur

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Wir haben hier an dieser Stelle unlängst angemerkt, dass wir überzeugt davon sind, den Besitzer des »Öffentlichen Raumes« namentlich nennen zu können. Es handle sich, so unsere Annahme, um jenen, der das Geld und die Macht hat. Dem ist nicht ganz so, sind wir mittlerweile draufgekommen.

::: Hier können Sie den Text im Printlayout lesen.

Der Grazer Volkskörper ist wiedererwacht. Nach Wochen des Darbens und des verordneten Innehaltens, nach Homeoffice und »Zoomkonfis«, nach Bangen um den Job und Angst vor der Zukunft, nach häuslichem Stress und psychischem Unbehagen, hat der Body seine neue alte Bestimmung wiedergefunden. Ihm ist erlaubt, sich hinauszubewegen, sich in Gruppen zu konstituieren und neu zu definieren. Zumindest vorerst.

Das Bangen um den Job bleibt ohnehin bestehen. Dies Wiedererwachen wäre in anderen Zusammenhängen jetzt nicht wirklich erwähnenswert. Aber im vorliegenden Fall dann doch. Der Grazer bzw. steirische Körper strömt durch die Gassen, er besetzt Räume, durchflutet Territorien labt sich im und vor allem am öffentlichen Raum. Gemeinsam sind wir mehr, denkt er sich, der Volkskörper. Und wir geben ihm recht.

Wir sind momentan in einem großen Diskursdelta gefangen. Wie umgehen mit dem öffentlichen Raum ist die Frage? Ganze Institute beschäftigen sich damit, Lehrstühle sind eingerichtet. Wenn das Öffentliche und das Private »zsammkleschen« braucht‘s staatliche Kontrolle, sonst macht der Volkskörper unüberlegten Unfug (siehe Stuttgart). Er braucht sittliche Richtlinien (siehe Rauchen, lautstarkes Telefonieren, Schmusen), braucht ein Reglement für geduldeten Widerstand (Refugees welcome, Plastik nicht ins Meer, Black lives matter und so weiter).
Es braucht auch Gastgarten- und Betriebsanlagenrecht. Und unter staatlicher Kontrolle braucht es auch teilsubventionierte Vergnügungen zur Bespassung des Volkes. Also lediglich temporär verfügte, organisierte Leitkultur.

In erster Linie sprechen wir von »Klanglicht« und »Aufsteirern«, »Lendwirbel« und »La Strada« und wie sie alle heißen mögen. Nun gesellt sich wahrscheinlich auch der »Summer in the City« hinzu. Viel zu sehr Kommerz schreien schon die Dauerempörten, Innenstadt- und vor allem Konjunkturbelebung die anderen. Sauf-, Punschstandel- und Proseccounkultur zwitschern jene, die den wahren Kulturbegriff im Auge haben. Bedürfnisbefriedigung und dringend notwendigen Geldzirkulationsimpuls sehen die anderen.

Sei dem wie dem wäre
Die Existenzialisten unter uns meinen, Essen und Saufen, das tun die Kulturbewußten wie die  -unbewußten. Da fragt man sich, ob es staatlich geförderte Innenstadtbelebung wirklich braucht oder die Innenstadt nicht ohnehin Kulisse genug ist, um zahlungskräftiges Ausgehpublikum zu attrahieren. Wenn dort und da im Hintergrund ein bisschen Unterhaltungsmusik dahinsäuselt, soll‘s uns recht sein. Die staatlich subventionierte und somit legitimierte und also verordnete Glücksindustrie steht einer ohnehin dem Menschen in sich wohnenden Glückssuche gegenüber.

Zur Veranschaulichung und Erbauung
Unlängst haben Gelehrte festgestellt, dass Spermien ihre Schwimmstile ändern können, um schneller als der Konkurrent zur Eizelle zu gelangen. Die Spermien heften sich an andere Zellen und lassen sich sozusagen ziehen. Das führt zu Richtungswechsel und Geschwindigkeitszunahme, zu einem Wettbewerbsvorteil durch Engagement und Eigenleistung. So ähnlich dürfen wir uns einen mündigen Wettbewerb um abendliche Kundschaft im öffentlichen Stadtraum vorstellen. Je liberaler der Umgang mit Gastrokonsumenten, je weniger mit ideologischem Mehrwert verbrämt, je weniger schulmeisterlich und didaktisch aufgeladen und verordnet, um so eher lässt sich gesundes, urbanes Feeling entwickeln. Das kanalisiert sich dann ganz von selbst.

Alles Kultur, Fazit 164 (Juli 2020), Foto: Enlarge

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