Außenansicht (16)
Peter Sichrovsky | 4. August 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Außenansicht, Fazit 165
Die angeblich neue Europäische Union. Nach außen hin geht es nur um Geld, so wird es in den meisten Medien berichtet, und je nach politischer Positionierung werden die einen – meist Deutschland und Frankreich – als die Großzügigen und Verständnisvollen dargestellt und die »Neinsager« Österreich, Niederlande, Schweden, Dänemark und Finnland als die Geizkragen und Unsolidarischen.
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Wenn es nur so einfach wäre. Die verschiedenen Ideen zur Rettung der Wirtschaft sind nur vordergründig Kredite oder Geschenke, so wie es vereinfacht beschrieben wird. Dahinter geht es um die zukünftige Machtstruktur in der Europäischen Union nach dem Austritt von Großbritannien und die immer größer werdenden ökonomischen, sozialen und demokratiepolitischen Unterschiede innerhalb der Union. Bisher hatte der »Feind« Großbritannien einen Einigungseffekt, denn traditionell kam aus London prinzipiell immer ein »Nein«, und zuletzt versuchte die Gemeinschaft einen Vorschlag durchzusetzen, der London zu einem »Ja« bewegte und für alle anderen akzeptabel war. Jetzt fehlt der einigende Feind im Norden Europas und so wie in jeder Gruppe, in der das störende Mitglied entweder ausgeschlossen wurde oder es von selbst gegangen ist, muss sich die Gruppe neu definieren.
Die Lücke, die durch den Austritt des Vereinigten Königreichs entstanden ist, versuchten Frankreich und Deutschland mit einer »Hauruckaktion« zu füllen. Merkel und Macron ließen sich werbewirksam in den Medien abbilden mit Händeschütteln und lächelnd am Verhandlungstisch oder in einem Restaurant sitzend und der Botschaft: »Man hat sich geeinigt.« Wozu man sich geeinigt hatte, spielte dabei keine Rolle, wichtig war die Aussage: Frankreich und Deutschland werden in Zukunft gemeinsam entscheiden, was in Europa passiert.
Kritik gegen die Vorherrschaft der Achse Deutschland-Frankreich war nicht neu, schon in der Vergangenheit gab es Proteste, andere Meinungen, andere Vorschläge, doch ein eindeutiges »Nein«, wie es diesmal von den kleineren Nettozahlern in der EU kam, war neu und überraschend. Merkel und Macron beruhigten zu Beginn noch und erklärten, man werde sich schon einigen in den Verhandlungen, doch es klang auch der Frust durch, dass da plötzlich die »Kleinen« in der EU aufmüpfig und selbstbewusst reagierten.
Dabei ging es den Kritikern nicht nur um »Verschenken oder Verborgen« der Milliarden, sondern sie versuchten, längst fällige Reformen in den Staaten durchzusetzen, die eine finanzielle Hilfe erwarteten – und das völlig zu recht. Die Coronakrise zeigte überzeugender, wie jede ökonomische Krise es zeigten könnte, wie rückständig und chaotisch Länder in Südeuropa organisiert und strukturiert sind. Die Unterschiede zum Norden und auch immer mehr zum Osten haben sich verstärkt und können auch durch Zahlungen aus Brüssel nicht ausgeglichen werden. Das Gesundheitswesen, die Pensionsstruktur, das Niveau der Schulen und Universitäten, Infrastruktur und die Probleme von Korruption und Misswirtschaft belasten eine Gruppe von Staaten, die sich weigern, die notwendigen Reformen anzugehen, da jede Partei, die entsprechende Maßnahmen versucht durchzusetzen, die nächste nationale Wahlen verlieren würde. Das »Nein« der kleineren Staaten hat auch diesmal letzten Endes nichts geändert. Deutschland hat in letzter Minute die fehlenden Zahlungen übernommen, die nächsten zwei Generationen werden mit erhöhten Steuern diese Großzügigkeit bezahlen müssen und die Empfänger der Gelder werden den Reformen ausweichen. Solange es keine echte europäische Regierung gibt, die unabhängig von Wahlterminen in den Mitgliedsländern Entscheidungen trifft, wird immer das nationale Element die Beschlüsse beeinflussen.
Die Europäische Union wird weiter auseinander driften, die einen reicher, die anderen ärmer werden und das kann durch keine Spendenpolitik ausgeglichen werden. In dieser EU geht es nicht um Unterschiede, sondern um Widersprüche, um Gesellschaftssysteme, die den Menschen eine lebenswerte Zukunft garantieren oder eben nicht, und das lässt sich nicht unter einem Teppich von Euroscheinen verstecken, sonst werden wir weiterhin mit einer ersten, zweiten und dritten Welt innerhalb der EU leben müssen.
Außenansicht #16, Fazit 165 (August 2020)
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