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Außenansicht (18)

| 30. Oktober 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Außenansicht, Fazit 167

»Wiener blicken vertrauensvoll in die Vergangenheit.« Dieser Ausspruch von Karl Farkas könnte das Ergebnis der Wahlen in Wien zusammenfassen. Selbst der Absturz der Freiheitlichen hat daran nichts geändert. Der Bürgermeister als strahlender Sieger nach einem völlig inhaltslosen Wahlkampf, in dem er versprochen hatte, es werde alles so bleiben, wie es ist. Es ist ja tatsächlich ganz angenehm, in dieser Stadt zu leben. Parkanlagen und Grünflächen, der perfekte öffentliche Verkehr, die große Dichte von Cafés und Restaurants, ein eindrucksvolles Kulturangebot und eine gut organisierte Bürokratie summieren sich in einem Lebensgefühl, das bereits dem Neugeborenen eine Sicherheit garantiert, die in anderen Städten höchstens die Pensionisten erwarten.

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Selbst die große Zahl von Flüchtlingen schluckt diese Stadt, als hätte sie den Magen eines Allesfressers, der einfach verdaut, was er zu sich nimmt. Außer ein paar Schlägereien zwischen Türken, Syrern und Tschetschenen untereinander oder mit linken Aktivisten ist es ruhig in der Stadt. Im Sportzentrum Donaucity spielen Koreaner Tennis, Tunesier Fußball, türkische Kinder auf dem Spielplatz und Amerikaner Beach-Volleyball, alle nebeneinander, allerdings auch nie mit- oder gegeneinander. Im zweiten Bezirk siedeln sich orthodoxe Juden an, es gibt koschere Supermärkte, Bäckereien und Restaurants mit arabisch/israelischen Spezialitäten während andere Städte in Europa No-Go-Zonen haben, in denen Islamisten die Länge der Röcke der Frauen kontrollieren.

Eine eigenartige Wolke aus Zuckerwatte liegt über dieser Stadt und selbst bei den wenigen politischen Demonstrationen ist man sozusagen unter sich, grüßt einander freundlich, nimmt ein Plakat oder ein Transparent, und wenn alles vorbei ist, genießt man mit Genossinnen und Kameraden ein Bier oder einen Großen Braunen in einem der wunderbaren Cafés.

Die ideologische Flexibilität der Wiener zeigte auch die letzte Wahl. Während ein Teil der Medien täglich die ÖVP in der Vorwahlzeit kritisierte, dass sie mit ausländerfeindlicher Rhetorik immer weiter nach rechts rücke, um die Stimmen der FPÖ einzufangen, verteilten sich die flüchtenden freiheitlichen Wähler auf Sozialdemokraten, Türkise und Nichtwähler und widerlegten damit die hysterischen Warnungen. Im Grunde genommen müsste sich die SPÖ für ihren Wahlsieg bei H. C. Strache bedanken.

SPÖ und FPÖ sind in keiner beneidenswerten Situation. Man kann sich nur noch neugierig wartend zurücklehnen, was den beiden Parteien einfallen könnte, um Wähler für sich zu gewinnen. Grün hat Klima- und Umweltschutz reserviert und der ÖVP vertraut man in Bereichen Wirtschaft und Sicherheit. Die reine Anwaltsfunktion hat einer Partei noch nie gut getan. Auch wenn die SPÖ sich Jahrzehnte lang für die Rechte der Arbeiter eingesetzt hatte, sind diese dennoch zu den Freiheitlichen übergelaufen und wären jetzt noch dort, wenn diese Partei sich nicht selbst gesprengt hätte. Erkämpft eine Partei gewisse Vorteile für ein Segment unter den Wählern, heißt das noch lange nicht, dass dieses sich mit der entsprechenden Unterstützung bei Wahlen bedankt.

Das politische Programm der Freiheitlichen wurde von deren Vertretern auf die Flüchtlingsproblematik reduziert. Der Versuch, diese Auseinandersetzung auf eine Art »Kulturkampf« auszuweiten, mit der Argumentation, dass der Islam unsere »Werte« nicht respektieren würde und daher unser Leben verändern werde, greift nur zum Teil. Der Flüchtling als »Gefahr« war noch vorstellbar, bei einer Religion ist das schon schwieriger zu vermitteln.

Auf Wien werden schwierige Zeiten zukommen. Die Zuckerwattewolke hat ihren Preis. Die Bevölkerung leidet bereits jetzt unter einer extrem hohe Steuerbelastung, die Stadt ist verschuldet und gilt innerhalb der EU als ungünstiges Pflaster für Neugründungen und Investitionen. Die hohe Arbeitslosigkeit mit einem langsamen Wirtschaftswachstum wird dieses Problem noch verschärfen. Schulabsolventen, die weder Deutsch sprechen noch Rechnen können, werden nicht einmal als Lehrlinge aufgenommen. Wenn durch Krisen wie Corona auch noch der Tourismus wegfällt, könnte dieser ewig singende Heurige, wie sich die Stadt gerne darstellt, bald keine Musiker mehr bezahlen und die Gäste verlieren, weil denen der Wein einfach zu sauer ist.

Außenansicht #18, Fazit 167 (November 2020)

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