Politicks Oktober 2020
Johannes Tandl | 6. Oktober 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 166, Politicks
Linzer TU-Pläne sorgen für Kopfschütteln
Mit der Ankündigung, in Linz eine weitere technische Universität errichten zu wollen, hat Bundeskanzler Sebastian Kurz nicht nur an den bestehenden TU-Standorten in Wien und Graz für Kopfschütteln gesorgt. Denn auch die Uni Salzburg plant die Abspaltung einer technischen Fakultät aus der naturwissenschaftlichen Fakultät, die dann in der Errichtung einer eigenständigen TU münden könnte. Offiziell wollen die Salzburger die Forschung sichtbarer machen und dazu die Biowissenschaften in der NaWi behalten und für digitale und analytische Wissenschaften einen eigenen Bereich aufbauen. Da wird eine Neugründung im nur eine Fahrstunde entfernten Linz natürlich als zu viel Konkurrenz auf zu kleinem Raum betrachtet. Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) soll sich daher beim Bundeskanzler telefonisch gemeldet haben, um seiner Verwunderung bzw. seinem Ärger Luft zu machen.
Während der Salzburger Landeshauptmann sein Engagement gegen eine TU Linz – wohl aus Parteiräson – dementieren lässt, geht die steirische Forschungslandesrätin Barbara Eibinger-Miedl (ÖVP) diesbezüglich mutiger und offener vor. »Wir haben mit der TU Graz, der TU Wien und der Montanuniversität Leoben drei hervorragende technische Hochschulen im Osten Österreichs, die mit ihrem Ausbildungsangebot die aktuelle Nachfrage nach Studienplätzen gut abdecken«, ließ sie die steirischen Medien in einer Aussendung wissen. Ihre Forschungsaktivitäten seien gerade auch im Bereich der Digitalisierung international höchst anerkannt. Eibinger-Miedl befürchtet durch eine neue Einrichtung negative Auswirkungen auf die budgetäre Situation und damit auf die Ausstattung sowie die Attraktivität der bestehenden Hochschulen. Sie beschließt die Aussendung mit den Worten: »Wir müssen bestehende Stärken stärken, statt Doppelgleisigkeiten aufzubauen.«
Die Politik plant die Linzer TU bereits im Jahr 2024 zu gründen. Wie aus dem Bildungsministerium bekannt wurde, haben sich Bildungsminister Heinz Fassmann und der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer (beide ÖVP) bereits auf die entsprechenden Vorarbeiten geeinigt. Entsprechend groß ist die Sorge des Grazer TU-Rektors Harald Kainz. Dieser meinte, dass Österreich aufpassen müsse, sich nicht durch zu viele kleine Einheiten selbst zu schwächen. Die österreichischen Rektoren ärgern sich auch über die Art der Bekanntgabe der geplanten technischen Universität in Linz. Statt auf Basis einer Bedarfsanalyse mache die Regierung wissenschaftliche Standortpolitik per Dekret. Dazu kommt aktuell, dass sich die österreichischen Unis mit teilweise dramatischen Rückgängen der Hörerzahlen konfrontiert sehen.
Wienwahl – Türkis-Grün hebelt die Corona-Ampel aus
Die Corona-Ampel war das Prestigeprojekt von Türkis-Grün zur Eindämmung der Pandemie. Ein Instrument, das es den Behörden ermöglichen sollte, die Verbreitung des Virus mit zuvor genau definierten und gesetzlich abgesicherten Maßnahmen auf die betroffenen politischen Bezirke einzuschränken. Stattdessen haben Bundeskanzler Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) die Corona-Ampel kurzfristig zur unverbindlichen Richtlinie erklärt. Und so gelten für die grüngeschalteten Regionen, in denen es so gut wie keine Neuinfektionen gibt, auf einmal dieselben Maßnahmen wie in den gelben oder orangen Bezirken.
Ursache für die Aushebelung der Ampel sind die hohen Infektionszahlen in Wien. Dort hätte die Ampel längst auf Orange gestellt werden müssen – mit Einschränkungen, die – würde sich die Regierung ernst nehmen – einem zweiten Lockdown nahe kämen. Stattdessen wurde ganz Österreich in Geiselhaft genommen. Denn weder die türkisen noch die grünen Regierungsmitglieder wollen dafür verantwortlich sein, dass ihre Parteien die am 11. Oktober stattfindende Wiener Gemeinderatswahl verklopfen. Das ist zwar nachvollziehbar, dass dieser Angst die monatelang vorbereitete Corona-Ampel geopfert wird.
Warum der Anteil der Wienerinnen und Wiener unter den in Österreich lebenden Infizierten zuletzt auf 50 Prozent hinaufgeschnellt ist, hat – glaubt man den Experten – viele Gründe. Da ist zum Einen die große Mobilität mit dem signifikant hohen Anteil des öffentlichen Verkehrs am Wiener »Modal Split«. Da sind die Migranten, von denen es sich viele nicht nehmen ließen, den Sommer in ihrer ursprünglichen Heimat zu verbringen. Dazu kommt die räumliche Enge des Ballungsraums und immer mehr kaum gefährdete Jugendliche, die auf die Einschränkungen pfeifen. Vielleicht spielt auch, wie vom Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker behauptet, die große Zahl an Corona-Tests, die in der Bundeshauptstadt vorgenommen werden, eine Rolle. Nachdem die Wiener SPÖ die Zahl der in Wien Infizierten wochenlang heruntergespielt hat, setzte vor wenigen Tagen plötzlich ein Umdenken ein. Bürgermeister Michael Ludwig musste mit Verärgerung feststellen, dass die Corona-Einschränkungen des türkisen Bundeskanzlers vom Großteil der potenziellen Wiener SPÖ-Wähler mitgetragen wird. Denn sowohl ÖVP als auch SPÖ werden überwiegend von älteren Mitbürgern – die bekanntlich auch die Corona-Risikogruppe bilden – gewählt. Und urplötzlich verlangten Ludwig und Hacker eine Verschärfung der Maßnahmen.
Corona-Populismus I: Verschärfungen trotz extrem niedriger Mortalität
Ursprünglich wollte die Regierung mit den von der Bevölkerung überwiegend positiv bewerteten Freiheitsbeschränkungen bloß die Überlastung des Gesundheitssystems verhindern. Davon kann aber derzeit – obwohl die Zahl der Infizierten ähnlich hoch ist wie im März – überhaupt keine Rede sein. Die Corona-Mortalität liegt aktuell bei unter 0,2 Prozent der Infizierten. In Bezug auf die Auslastung der Intensivstationen ist die Pandemie kaum mehr zu spüren. Und plötzlich geht es bei den Corona-Einschränkungen nicht mehr um die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems, sondern darum, um jeden Preis Neuinfektionen klein zu halten. Jetzt mag eine populistische Politik, die sich vor allem an Meinungsumfragen orientiert, zwischendurch sogar ihre Berechtigung haben. Der Umstand, dass die Höhe der ökonomischen und sozialen Kollateralschäden völlig außer Acht gelassen wird, ist für immer mehr Verantwortungsträger aus der Wirtschaft und dem Kulturbereich jedoch nicht länger hinnehmbar. Mit der Sehnsucht nach einer Abkehr von der populistischen Corona-Politik steigen daher die Frust und die Wut der Betroffenen. Und das wird sich irgendwann auch in den Meinungsumfragen widerspiegeln.
Corona-Populismus II: NEOS und FPÖ wollen punkten
Daher sehen sowohl die NEOS als auch die FPÖ ihre Zeit gekommen. Bei den Unternehmen herrsche »maximale Verunsicherung und maximaler Ärger«, ist etwa NEOS-Wirtschaftssprecher Sepp Schellhorn überzeugt. Und auch Parteichefin Beate Meinl-Reisinger übt massive Kritik an den vollmundig angekündigten Hilfen, von denen außer der Kurzarbeit kaum etwas funktioniere. Der Satz »Koste es, was es wolle« habe eine Erwartungshaltung geweckt, die von der Regierung nicht erfüllt werden konnte. Die NEOS wollen den Herbst dafür nützen, um von der völligen Hoffnungslosigkeit, die etwa die Event- und Tourismuswirtschaft erfasst hat, zu profitieren.
Die FPÖ hat sogar gegen die gesamte Regierung einen Misstrauensantrag eingebracht, der natürlich scheiterte. Klubobmann Herbert Kickl vergleicht die türkis-grüne »Corona-Rollkommando-Politik« sogar mit der NS-Zeit, indem er der Regierung vorwirft, ein System der Corona-Blockwarte etablieren zu wollen. FPÖ-Chef Norbert Hofer hat zuletzt in einer Pressekonferenz mit dem steirischen FPÖ-Chef Mario Kunasek die Corona-Ampel plakativ zum Müll geworfen. Kunasek sieht im Appell des Kanzlers, den westlichen Bundesländern bei der Vorverlegung der Gastrosperrstunde von ein Uhr morgens auf 22 Uhr abends zu folgen, eine gefährliche Drohung und einen ein weiteren Schlag gegen den Tourismus, der mutwillig Arbeitsplätze vernichten und ganze Wirtschaftszweige enorm schwächen würde. Die FPÖ spricht im Zusammenhang mit der Corona-Politik der Regierung nur mehr vom »Corona-Wahnsinn«. Auch der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) sprach sich gegen eine Vorverlegung der Gastrosperrstunde aus und appellierte, stattdessen die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen zu befolgen und vorsichtig zu bleiben. Sollten die Infektionszahlen auch in der Steiermark weiter steigen, könne er sich eine Änderung der Sperrstundenregelung aber durchaus vorstellen.
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Politicks, Fazit 166 (Oktober 2020)
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