Schöner wohnen
Volker Schögler | 6. Oktober 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 166, Fazitportrait
Seit 63 Jahren verschönert das Familienunternehmen Kaufmann Wohn- und Lebensbereiche in mittlerweile dritter Generation. Als Allround-Tapezierer wird die gesamte Palette der Raumausstattung abgedeckt: Wände, Polstermöbel, Böden, Vorhänge und Sonnenschutz. Lesen Sie, warum Vorhangseitenteile und Laminatböden out sind und welche Rolle das Tanzen und die Ibiza-Affäre in diesem Unternehmen spielen.
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Graz, Mandellstraße, Kreuzung Sparbersbachgasse, stadtauswärts. Es ist Rot. Die Rechtsabbiegespur ist verschwunden. Dafür gibt es eine Fahrradspur. In einigen Ländern darf man bei Rot rechts abbiegen. Es ist noch immer Rot. Und wenn nur die Radfahrer bei Rot rechts abbiegen dürften? Würden sich die Fußgänger dann gefährdet fühlen? Es ist noch immer Rot. Die Autoschlange wird länger. Die Mandellstraße ist wirklich sehr schmal. Einmal haben wir hier mit einem Bundesheer-Lkw eine sich öffnende Autotür weggerammt, auch schon lange her. Eigentlich ist Rot eine schöne Farbe. Aber als sie das Haus da vorne links an der Kreuzung ganz rot angemalt haben, haben alle geschaut. Ist auch schon länger her. Es ist Grün.
Landesinnungsmeister der Tapezierer
Im roten Haus befindet sich seit mehr als sechzig Jahren eine Tapeziererwerkstatt. Genauer gesagt seit 1957, dem Beginn der Wirtschaftwunderzeit, als die Kundschaft von selbst kam und nicht mittels Werbung dazu animiert werden musste. Als noch nicht unzählige Prospekte von riesigen Möbelhäusern mit fix und fertigen »Schöner-Wohnen«-Produkten als Massenpostwurfsendungen unsere Postkästen verstopften. Und als Angela Kaufmann, die Ehefrau des Unternehmensgründers Erich Kaufmann, die Vorhänge für die Kundschaft noch selbst nähte. Ein Geschäftslokal mit Schauraum und modernem Büro war damals noch nicht notwendig. Das kam erst 1989 direkt im Nebenhaus auf Hausnummer 23 dazu, als mit Erich jun. und Gerhard die zweite Generation übernahm. Gerhard Kaufmann (60) ist seit mittlerweile elf Jahren Landesinnungsmeister der Tapezierer und gehört zu den Allroundern in seiner Branche. Das heißt, er hat sich nicht auf ein Teilgebiet seines Metiers spezialisiert, sondern deckt die gesamte Bandbreite des Berufsbildes auch in der Praxis ab. Wer glaubt, dass ein Tapezierer nur Wände tapeziert, glaubt auch, dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet, nur weil er so heißt. Als Raumausstatter im weiten Sinn des Wortes ist der Tapezierer auch für Böden und Teppiche zuständig sowie für Vorhänge und Karniesen. Aber auch für Beschattung, wenn auch nicht im observierenden Sinn, sondern vielmehr für Sonnenschutzvorrichtungen wie Markisen, Jalousien oder Innen- und Außenrollos. Das Hauptgeschäft im Hause Kaufmann ist aber die Tapezierung von Polstermöbeln, der schwierigsten Disziplin. Das alles bewältigt der Meister aber nicht allein. Nach dem Tod seines Bruders Erich wurde das Unternehmen in eine GmbH umgewandelt und mit Gerhards Sohn Michael (30) steht ihm schon seit fast zwölf Jahren ein weiterer Tapezierermeister zur Seite, während Tochter Martina (34) ihre betriebswirtschaftliche Ausbildung als geschäftsführende Gesellschafterin einbringt. Und Ehefrau Eva (56) trägt den Familienbetrieb schon seit mehr als 30 Jahren in der Administration und Buchhaltung mit.
Neu beziehen statt neu kaufen
Rund sechstausend Stoffe umfasst das Kaufmann‘sche Repertoire für den Bezug von Polstermöbeln. Es werden aber keineswegs nur alte Klassiker aus Barock-, Biedermeier- oder Jugendstilzeit zum Neubeziehen gebracht, etwa die Hälfte der Polstermöbel sind modern und zeitgenössisch. Gerhard Kaufmann: »Eine Möbelgarnitur von Rolf Benz etwa kostet gleich einmal 5.000 bis 6.000 Euro, ein Neubezug mit 2.500 bis 3.000 Euro hingegen aber nur die Hälfte. Das ist auch von der Nachhaltigkeit her sinnvoll.« Die Klientel des Tapezierers ist eher älter, manche Kunden werden schon seit 45 Jahren betreut. Grundsätzlich, so bestätigt Michael Kaufmann, wird heute mit Schaumstoffen gepolstert, aber speziell bei historischen Stücken kommt nach wie vor Rosshaar zum Einsatz, das den Vorteil hat, bei Kälte zu wärmen und bei Hitze zu kühlen. Tatsächlich gibt es heute aber nur mehr einen Bezugstoff, das sogenannte Gradl, das rosshaardicht ist. Früher verwendete man eine 18 Zentimeter starke Rosshaarschicht, heute nur mehr eine zwei bis drei Zentimeter dicke als Pikierung auf dem Latex. Darüber kommt aber noch eine Watteschicht, damit das Rosshaar nicht durchsticht. So ist auch ein nicht-rosshaardichtes Gradl verwendbar.
Die Vorhangfrage
Den Anteil von Polstermöbelaufträgen für sein Unternehmen schätzt Kaufmann auf 60 Prozent, dann folgen die Wände mit etwa 20 Prozent, Beschattung und Vorhänge sowie Böden mit jeweils 10 Prozent. Vorhänge sind insbesondere bei der Jugend gar nicht mehr gefragt. Und wenn, dann nur Stores, keine Seitenteile. Ob das irgendeine gesellschaftliche Bedeutung haben kann, ist eine interessante Frage. Bedeutet es mehr Offenheit im Sinne von Transparenz oder schlichte Freizügigkeit? Oder – so scherzt man etwa in Amsterdam, wo Vorhänge seit jeher unüblich sind – will man bloß den Nachbarn zeigen, dass man nichts zu verbergen hat? »Oder den Jungen geht das Geld aus, weil die Möbel so viel gekostet haben«, meint Gerhard Kaufmann. Auch bei den Böden hat sich einiges verändert. Zunächst wurde der Parkettboden vom Laminatboden abgelöst. »Der ist überhaupt nicht mehr gefragt«, weiß Kaufmann. Er hat sich als qualitativ nicht befriedigend herausgestellt und ist an den Stößen schnell unansehnlich. So wurde er durch den Designerboden aus Vinyl ersetzt, aber auch Klebeparkett wird gern verwendet. Auch Spannteppiche sind am ehesten noch in Hotels gefragt, im Wohnzimmer überwiegt der hohe, weiche, moderne Teppich. Perser sind im Übrigen total out und haben auch drastisch an Wert verloren. Dafür sind Tapeten komplett in, sprich gefragt. Aber nicht die Raufasertapeten unserer Jugend, werte ältere Leser, die man noch mit h geschrieben hat, sondern Eyecatcher mit auffälligen Motiven oder grellen Farben. Michael Kaufmann: »Heute werden zumeist nicht mehr ganze Räume austapeziert, sondern zum Beispiel nur eine Wand.« Oder ein Teil davon. So etwa im physikalischen Therapiezentrum in der »Auster« (iEggenberger Bad), wo jedes Behandlungszimmer mit eigenen Motiven auf Augenfang geht. Mit den neuen, fast ausschließlich verwendeten Vliestapeten (»zu 99 Prozent«, so Michael Kaufmann) gibt es keinen sichtbaren Stoß und keine Überlappungen. Die Motivauswahl ist theoretisch unendlich, die Kundschaft könnte auch einen Fotografen kommen lassen, der das persönliche Motivobjekt des Begehrens ablichtet und so vergrößert, dass es genau zu den Abmessungen der Wand passt. Ein eher urbaner Trend.
Geselle gesucht
In der Werkstatt zeugen Industrienähmaschinen, darunter eine Doppelnahtnähmaschine, davon, dass hier mit schwerem Stoff bis zum Leder gearbeitet wird. Mittlerweile eine Besonderheit ist die Krempelmaschine, mit der Rosshaar aufgekrempelt und gesäubert werden kann. Die alten Matratzen waren bekanntlich mit Rosshaar gefüllt, auch jene der Krankenhäuser, so dass diese Maschine sehr oft gebraucht wurde. Gerhard Kaufmann: »Früher war sie wirklich täglich im Einsatz, heutet vielleicht zweimal im Jahr.« Viele der 1.500 Tapezierer in Österreich, davon 120 in der Steiermark, 15 sind es in Graz, werden so eine Maschine nicht mehr haben. Zurzeit werden im Familienbetrieb Kaufmann insgesamt vier Lehrlinge ausgebildet, nach einem Tapezierergesellen wird seit drei Jahren gesucht.
Tanzen, Ibiza und Nationalrat
Ein großes Thema ist im Hause Kaufmann das Tanzen. Gerhard und Eva haben sich nicht nur in der Tanzschule kennengelernt – ja, so war das in den 1980ern – sondern sie haben auch Turniererfahrung. Höhepunkt war der österreichische Staatsmeistertitel in Rockakrobatik. Dieselbe Vorliebe hat Sohn Michael entwickelt. Auch er war Turniertänzer, vor allem im lateinamerikanischen und im Standardbereich, wurde mehrfacher steirischer Meister, war Vierter der österreichischen Staatsmeisterschaft und österreichischer Meister im Kürtanzen. Heute hat er den größten Tanzsportclub der Steiermark mit 280 Mitgliedern und ist Trainer auf mehreren hundert Quadratmetern im Odörfer-Gebäudekomplex. Zum Glück tanzt seine Ehefrau auch. Schwester Martina und ihre Ehefrau teilen diese Vorliebe nicht. Martina Kaufmann ist durch und durch ein politischer Mensch und – Nationalratsabgeordnete. Nebenbei betreut sie noch Kommunikationsprojekte, so stammt etwa die Erdäpfelpyramide für das Ökosoziale Forum von ihr. Ihre politischen Stationen beginnen bereits in der Schulzeit als Schulsprecherin, sie war Bundesobfrau der Schülerunion, Obfrau der Jungen ÖVP Graz, Büroleiterin bei den Stadträten Eisel-Eiselsberg und Hohensinner und vieles mehr. Heute ist sie als Nationalratsabgeordnete in mehreren Ausschüssen, so im Justiz-, im Unterrichts-, im Wissenschafts- und im Außenpolitischen Ausschuss, was schon höchst interessant ist. Aber noch interessanter ist ein weiterer, in dem sie sitzt: der sogenannte Ibiza-Untersuchungsausschuss. Da würden wahrscheinlich viele gern ein Mäuschen spielen. So verbringt sie oft mehrere Tage pro Woche in Wien: »Aber dafür gibt es auch wieder Zeiten in denen dort gar nichts los ist.« Und Martina Kaufmann sich ganz ihrem Tapeziererunternehmen in Graz widmen kann.
Die Ampel in der Mandellstraße ist wieder rot. Zum Glück bin ich mit dem Fahrrad meiner Frau unterwegs. Es ist feuerrot und ich fahre ohnehin stadtauswärts.
Tapezierer Kaufmann GmbH
8010 Graz, Mandellstraße 21
Telefon +43 316 823460
tapezierer-kaufmann.at
Fazitportrait, Fazit 166 (Oktober 2020) – Fotos: Heimo Binder
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