Tandl macht Schluss (Fazit 167)
Johannes Tandl | 30. Oktober 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 167, Schlusspunkt
Klüger werden in Sachen Corona ist keine Schande. Die meisten Jugendlichen in Österreich haben ihre Angst vor dem Coronavirus abgelegt, und auch immer mehr Erwachsene halten sich nur mehr mit Widerwillen an die Maßnahmen der Bundesregierung. Für ihre Ignoranz müssen sie sich vorwerfen lassen, sogenannte »Covidioten« zu sein. Dabei mehren sich die Beweise, dass das Coronavirus tatsächlich viel weniger gefährlich ist, als noch im März befürchtet.
Der renommierte US-Forscher John Ioannidis ist Professor für Medizin und Epidemiologie an der Stanford University und gilt als einer der meistzitierten Mediziner der Welt. Er wertete für eine im WHO-Bulletin veröffentlichte Publikation 61 Studien über Corona-Antikörpertests aus der ganzen Welt aus. Dadurch konnte er erstmals die Gesamtzahl der Infizierten errechnen und nicht nur die Zahl der positiv Getesteten. Ioannidis verglich in der Folge die Zahl der Covid-19-Toten mit jener Population, bei der Corona-Antikörper nachgewiesen werden konnten.
Eine der seinen Untersuchungen zugrundeliegenden Studien war übrigens die berühmte Heinsberg-Studie des Bonner Virologen Hendrik Streeck. Streeck fand heraus, dass bis Mitte April 15,5 Prozent – das sind etwa 2.000 Personen – der 12.000 Einwohner im Corona-Hotspot Gangelt im deutschen Landkreis Heinsberg eine Infektion durchgemacht hatten. Offiziell lag die Zahl der Infizierten jedoch nur bei knapp 500 Personen. Sieben Menschen von ihnen waren bis Mitte April gestorben. Daraus errechnete Ioannidis zusammen mit der Dunkelziffer aus der Streeck-Studie eine Sterberate von 0,25 Prozent, also 2,5 Todesfälle auf 1.000 Infizierte.
In seiner Metastudie kommt Ioannidis außerdem zum Schluss, dass in der Altersgruppe unter 70 »nur« eine von 2.000 infizierten Personen an Covid-19 stirbt. Im Median der von ihm untersuchten Studien liegt die Mortalität bei 2,7 Promille. Das bedeutet, bei 50 Prozent der Studien lag die Sterblichkeit unter 0,27 Prozent, bei 50 Prozent darüber.
Die höchste Sterblichkeit ergab sich mit 1,63 Prozent übrigens aus einer Studie in zwei Gemeinden im US-Bundesstaat Louisiana. Und die höchste Infiziertenrate fand sich mit 58 Prozent in einem Slum im indischen Mumbai, wo die Sterblichkeit jedoch unter dem Durchschnitt lag. Statt mit 2,7 Promille wurde im März mit einer Sterblichkeit von etwa fünf Prozent gerechnet.
Ioannidis selbst folgert aus seinen Ergebnissen, dass die Covid-19-Mortalität sehr stark vom Anteil alter Menschen unter den Infizierten und vom Zustand des jeweiligen Gesundheitswesens abhängig ist.
Umgemünzt auf Österreich bedeuten die Ioannidis-Ergebnisse, dass trotz der steigenden Infektionszahlen ein Exit aus den bisherigen Corona-Maßnahmen möglich wäre, weil eine Durchseuchung der jüngeren Bevölkerung ohnehin nicht zu einer Übermortalität führt.
Gleichzeitig wird aber klar, dass die Übersiebzigjährigen unter allen Umständen vor einer Infektion geschützt werden müssen – und zwar bis entweder eine Herdenimmunität erreicht ist oder bis endlich eine Impfung zur Verfügung steht. Daher sind Projekte wie die steirische Corona-Ampel im Pflegebereich oder geplante tägliche Testungen vor Dienstantritt für alle Mitarbeiter im Pflegebereich unabdingbar. Mit den neuen Antigentests und anderen zuverlässigen Schnelltests stehen endlich mächtige Werkzeuge zur Verfügung. Mit den neuen Tests kann in sensiblen Bereichen schnell und täglich getestet werden.
Ältere Menschen in den Pflegeheimen könnten weitgehend in ihr Leben vor der Pandemie zurückkehren. Älteren Menschen, die zu Hause ein selbstbestimmtes Leben führen wollen, bleibt aber weiterhin weder die Minimierung der Sozialkontakte noch die Einhaltung der Sicherheitsregeln erspart. Nur wäre das jedenfalls ein vertretbarer Preis, um sowohl das Leben der Älteren zu schützen als auch um einen weiteren Lockdown – mit seinen unabsehbaren ökonomischen Folgen – zu verhindern.
Die Bundesregierung sollte einräumen, dass sie aus neuen Erkenntnissen klüger werden kann und einen neuen Weg aus der Coronakrise beschreiten.
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Tandl macht Schluss! Fazit 167 (November 2020)
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