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Wer hier lebt, muss unsere Sprache verstehen. In unser aller Interesse

| 6. Oktober 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Editorial, Fazit 166

Über 52 Prozent der Wiener Schüler haben Deutsch nicht als ihre Umgangssprache in Verwendung. Im Bezirk Favoriten sind es sogar über 72 Prozent und an den Neuen Mittelschulen im Bezirk Margareten sind es unglaubliche 90 Prozent und mehr, für die das gilt. Das ist ein ungeheurer Missstand, der sich über die beiden letzten Jahrzehnte schleichend entwickelt hat. Und der wohl nicht zuletzt dadurch entstanden ist, beinahe jedwede »migrationskritische Stimme« als rechtspopulistisch (im besseren Fall) oder gleich überhaupt als »Nazi« zu brandmarken.

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So sind etwa seit 2010 immer wieder Forderungen erhoben worden, in den Pausen im Schulhof nur Deutsch als Sprache zu verwenden. Regelmäßig wurde darauf eben mit Rechtspopulismusvorwürfen und Diskriminierungsvorhaltungen geantwortet, regelmäßig versandeten dann ernsthafte Auseinandersetzungen mit dieser Problematik.

Und eine solche Auseinandersetzung, abseits irgendwelcher Fremdenfeindlichkeit, hätte es eben dringend gebraucht. Was angesichts der aktuellen Zahlen, in der Bundesrepublik schaut es ja in den Städten ähnlich trist aus, mehr als evident erscheint. Erst vor wenigen Wochen gab es wieder eine vorsichtige Annäherung an das Thema, ich denke von der CSU, und ich habe nur mit Kopfschütteln die Reaktionen der Intelligenzija auf Twitter dazu verfolgt.

Da war wenig unter einem Hitlervergleich zu haben, von bösen Migrantenablehnern war die Rede. Zahlreiche in Deutschland recht erfolgreiche Migranten (toll, wichtig und gut, dass es die gibt!) in Verbindung mit noch viel zahlreicheren deutschstämmigen Besserwissern (naja) priesen da die Vorteile der Mehr- und Vielsprachigkeit und haben viele Beispiele gebracht, wie toll der spätere Lebensweg war, auch ohne Deutsch als Umgangssprache in der Kindheit. Was diese Damen und Herren meines Erachtens falsch verstehen, ist einfach erklärt: darum geht es nicht. Jede einzelne Erfolgsgeschichte ist schön und begrüßenswert. Sie sind aber viel zu wenige, oder anders formuliert, das Problem zahlreicher kluger, gscheiter und liebenswerter Migrantenkinder – und da vor allem solche aus muslimischen Herkunftsländern – ist ein ganz anderes! Sie arbeiten später nicht, wie man nach einer Twitterschau denken könnte, allesamt auf Universitäten, in schmucken Redaktionsstuben oder in Anwaltskanzleien, nein, sie kommen ob ihrer Schwäche, die deutsche Sprache verwenden zu können, in aller Regel nicht einmal in den Genuss einer höheren Schulbildung, geschweige denn eines Studiums. Oft scheitern sie am Pflichtschulabschluss.

Eine »Verpflichtung« zur Verwendung des Deutschen auch im Privaten, ist natürlich für mich der persönlichen Freiheit verplichtetem Demokraten grundsätzlich nicht möglich und schon gar nicht exekutierbar. Trotzdem gilt es, sich diesem Dilemma zu stellen. Und zumindest darin Konsens zu erlangen, dass es sinnvoll, wichtig und wesentlich für jeden hier Lebenden ist, in deutscher Sprache kommunizieren zu können. Um damit überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet zu bekommen, Jobs, die über das Putzen oder Hilfstätigkeiten hinausgehen, jemals zu erlangen. Hier ist das Talent, das Potential einer ganzen Generation an jungen Menschen in Gefahr. Und nicht beim oft auch hilflos nach einer Lösung ringenden, bürgerlichen oder gar konservativen Politiker!

Wie unsere Gesellschaft das angehen kann, wie weit diese jungen Menschen in Wien schon jetzt, was ihre berufliche Karriere betrifft, auf dem Abstellgleis sind, ich weiß es auch nicht. Es wird eines gemeinsamen Kraftakts bedürfen, in dem vernünftige linke und rechte gesellschaftliche Strömungen zusammenarbeiten, um so viele von diesen Jungen wie möglich »mitzunehmen« und ihnen klarzumachen, wer in diesem Land leben will, der muss auch Deutsch sprechen können. In ihrem Interesse.

Und, das erlaube ich mir als etwas länger hier Lebender klarzustellen, auch in meinem. Schon jetzt habe ich, das merke ich bei meinen Wien-Besuchen von Jahr zu Jahr mehr, wenig gemeinsam mit vielen Menschen in der Hauptstadt. Sie sprechen nicht meine Sprache und haben damit wenig mit meiner Kultur gemeinsam. Das ist schade. Weil, das sehe ich etwa, wenn ich bei meinem türkischen Bäcker im Herz-Jesu-Viertel einkaufe und mit ihm ein bisschen über meine Kinder tratsche, es auch viel, viel besser gehen kann. Das müssen wir schaffen. Noch sind die Chancen intakt.

Editorial, Fazit 166 (Oktober 2020)

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