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Unsere Politik muss vom Parlament gestaltet werden. Nicht von Richtern

| 24. Dezember 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Editorial, Fazit 169

Im Namen der Republik hat der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) am 11. Dezember dieses Jahres zwei Erkenntnisse veröffentlicht. Zum einen wurde das Verhüllungsverbot an Volksschulen aufgehoben, zum anderen wurde entschieden, dass der Straftatbestand der »Hilfeleistung zum Selbstmord« gegen das Recht auf Selbstbestimmung verstoßen würde. Mit beiden Erkenntnissen habe ich wenig Freude, darum geht es mir aber nur zweitrangig; das Verfassungsgericht hat sicher nicht die Aufgabe, mir eine Freude zu machen.

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Was mir Kummer bereitet, ist der Umstand, dass dieses Verfassungsorgan – zusammengestellt aus 14 »unabhängigen« und quasi auf Lebenszeit bestellten Richtern – in den letzten Jahren immer mehr an »Gesetzesgestaltung« an sich gezogen hat. Und damit unsere Gesellschaft gerade in substantiellen Fragen ihrer Weiter- und Fortentwicklung viel zu sehr dominiert. Eine Aufgabe für die in der Demokratie einzig und allein der Souverän zuständig zu sein hat. Und in unserer repräsentativen Demokratie eben der Nationalrat. Diesen beinahe ungeheuerlichen Zustand, er wird interessanterweise in der öffentlichen Diskussion recht wenig beachtet, laste ich im Übrigen gar nicht allzusehr den durch die Bank hervorragenden Juristen des VfGH an, nein, es ist dem Parlament bzw. »der Politik« vorzuwerfen, immer schwächer in der Ausformulierung von Gesetzestexten zu sein und immer öfter die Verantwortung in den komplexen Themenbereichen nonchalant an das Verfassungsgericht abzugeben. Da dieser Zustand nicht erst seit heuer um sich greift, kann diese Aushöhlung unserer demokratischen Rechte auch nicht mit der 2020 alles dominierenden Coronakrise in Verbindung gebracht werden, nein, dieses »Fürchten« vor heiklen Themen grassiert schon länger in der heimischen Innenpolitik.

Neben den beiden aktuellen Erkenntnissen waren es etwa die Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare, die Anerkennung eines dritten Geschlechts im Personenstandswesen, die Abschaffung des Druckes auf Migranten, die deutsche Sprache zu erlernen (der Gesetzgeber wollte die Sozialhilfe damit junktimieren, eine sinnvolle Maßnahme meines Erachtens) oder das »Nichterlauben« der Verwendung von Aufnahmen aus der »Section Control« auf den Autobahnen zur Verbrechensbekämpfung, um nur einige zu nennen. Im Grunde ist auch die Aufhebung der Bundespräsidentschaftswahl im Jahr 2016 durch den VfGH eine zumindest fragwürdige Entscheidung gewesen, die mir viel zu viel Spielraum für Gedanken der Wichtigmacherei dieses Gremiums eröffnen.

Für all diese hier aufgezählten Themenbereiche gibt es jeweils gute Argumente dafür oder dagegen. Was ich nicht akzeptieren will, ist die Tatsache, dass nicht »ich« bzw. meine mich vertretenden Abgeordneten das entschieden haben, sondern eben ein völlig auf sich allein gestelltes Kollegium. Andreas Unterberger spricht in einem aktuellen Kommentar sogar von einer »Richterdikatur«, was ich für maßlos übertrieben halte, der Weg hin zur Kritarchie, der Herrschaft von Richtern, scheint sich aber durchaus schemenhaft abzuzeichnen. Wenn meine Stimme bei der Nationalratswahl dazu Verwendung findet, zu entscheiden, ob sieben oder zehn Prozent an einer Steuer anfallen, aber die wesentlichen Fragen unseres gesellschaftliches Miteinanders von 14 Menschen bestimmt wird, dann ist etwas faul im Staate Dänemark.

Dass diese wesentlichen Fragen naturgemäß einiges an Brisanz mit sich bringen, lässt sich etwa am Thema Sterbehilfe gut darstellen. Ich für meinen Teil, um nun doch auch inhaltlich sehr kurz darauf einzugehen, halte jede Form einer gesetzlich verankerten Tötungsmöglichkeit durch Dritte für ein Tor, das eine ihre Alten wertschätzende Gesellschaft nie und nimmer auftun sollte. Selbstverständlich gibt es (in ihrem persönlichen Schicksal schreckliche) Extremsituationen und selbstverständlich ist die rechtliche Absicherung auch von Ärzten, die einen Sterbenden begleiten oder einen Sterbewilligen behandeln, von Belang. Was unser viel zu oft viel zu hedonistisches Denken aber gerne übersieht, ist die nunmehr drohende und ebenfalls schreckliche Situation für unsere alten Menschen: Sie stehen vor der bitteren Erkenntnis, ihr Leben ist nur mehr wenig wert, es darf ganz offiziell beendet werden. Solche gesellschaftlichen Entwicklungen kann ich nicht mittragen, wenn sie von ungewählten Juristen vorgegeben werden.

Editorial, Fazit 169 (Jänner 2021)

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