Tandl macht Schluss (Fazit 170)
Johannes Tandl | 4. März 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 170
Die Bundesregierung beginnt in der Coronakrise zu straucheln. Es läuft nicht mehr rund in der türkis-grünen Koalition. Was als »das Beste zweier Welten« begann, droht zum Dauerstreitfall zu werden. Die Projekte aus der gemeinsamen Schnittmenge von ÖVP und Grünen sind längst abgearbeitet. Und ohne Corona-Krisenmanagement hätten sich die beiden Regierungsparteien wohl schon seit Monaten nicht mehr viel zu sagen.
Bis zum Sommer hat die Regierung – allen voran Bundeskanzler Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober – die Herausforderungen der Pandemie gut gemeistert. Weil der erste Lockdown früh genug erfolgte – als das Contact Tracing mit den täglichen Infektionszahlen noch nicht überfordert war –, waren die Inzidenzen vergleichswiese niedrig. Und weil der erste Lockdown in den meisten Schigebieten mit dem Wintersaisonschluss einherging, kam auch der für Westösterreich extrem wichtige Tourismus mit einem blauen Auge davon. Der wirtschaftliche Abschwung im zweiten Quartal war in erster Linie den nicht mehr funktionierenden Lieferketten in der Industrie geschuldet. Damals standen die chinesischen Zulieferer still. Und mit ihnen die österreichische Industrie.
Bis auf wenige Pannen, wie etwa das unsinnige Schließen der Bundesgärten in Wien, funktionierte nicht nur die Krisenkommunikation, sondern auch das Krisenmanagement der Regierung recht ordentlich. Selbst einige Fehler im Gesundheitsministerium, die dazu führten, dass mehrere Verordnungen höchstgerichtlich aufgehoben wurden, waren halb so schlimm. Die intensivmedizinische Versorgung blieb intakt. Die Todeszahlen waren niedrig. Die Bevölkerung stand hinter den Maßnahmen. Als über die Sommermonate nachgewiesen wurde, dass Corona fast ausschließlich bei den Alten und bei Menschen mit Vorerkrankungen wie etwa Diabetes, Bluthochdruck oder Adipositas zu schwerwiegenden Verläufen führt, hätte die Regierung dringend den Schutz der Risikogruppen in den Mittelpunkt ihrer Strategie stellen müssen.
Die Antigentests standen bereits zur Verfügung. Und mehrere ordentlich geführte Pflegeheime haben vorgezeigt, dass es mit täglichen lückenlosen Tests für Bewohner, Mitarbeiter und Lieferanten gelingt, Corona auszusperren. Trotzdem konnte das Virus bis zur Impfung in vielen Heimen wüten. Die Betreiber wollten dem Pflegepersonal die täglichen Tests nicht zumuten. Außerdem sei es logistisch viel zu schwierig, tägliche Tests zu organisieren.
Statt auf die Risikogruppen zu achten, wurde das ganze Land in einen zweiten, dritten und vierten Lockdown gezwungen; im Kulturbereich, im Tourismus und in der Freizeitwirtschaft wurde er gar nie aufgehoben. Das hat dazu geführt hat, dass kein anderes EU-Land wirtschaftlich so hart aufgeschlagen ist wie Österreich. Begründet werden diese Lockdowns immer noch mit der drohenden Überlastung des intensivmedizinischen Systems und mit dem Versagen des telefonischen Contact Tracing.
Dabei waren die Corona-Betten überwiegend von der Risikogruppe besetzt. Und auch das Contact Tracing funktioniert nur aus einem einzigen Grund nicht: Datenschutz ist in Europa wichtiger als Menschenschutz! Denn natürlich wäre es möglich gewesen, die Datenschutzregeln befristet auszuhebeln und die Bürger zum Einsatz von Tracing-Apps zu verpflichten.
Ein weiterer Skandal ist die Impfstoffbeschaffung. Um nicht als »Impfnationalisten« dazustehen, haben sich die EU-Mitgliedsländer unter der Federführung Deutschlands auf eine gemeinsame Impfstoffbesorgung durch die EU-Kommission geeinigt. Finanzschwächere Staaten drängten zum Kauf des günstigsten Impfstoffs. So wurde die Impfstoffbesorgung zum bekannten Desaster.
Die USA haben für ihre 328 Millionen Einwohner übrigens rund 18 Milliarden Euro für Impfstoffe ausgegeben. In Brüssel war man anfangs stolz, mit nur 3,8 Milliarden für 450 Millionen Menschen das Auslangen gefunden zu haben.
Vor diesem Hintergrund wundert sich niemand, dass die Unzufriedenheit mit der Regierung steigt. Natürlich wittert die Opposition die Chance, Türkisgrün zu Fall zu bringen. Die Frage ist nicht ob, sondern wann ihr das wohl gelingen wird.
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Tandl macht Schluss! Fazit 170 (März 2021)
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