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Schöne Dinge

| 13. April 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 171, Fazitportrait

Foto: Heimo Binder

Als Vermittler von Freude sieht sich der Antiquitäten- und Kunsthändler in seinem Doppelgeschäft in der Grazer Mandellstraße. Seit mehr als vier Dezennien betätigt sich ein Rochus Probst als Bewahrer von Kulturgut: zuerst der Vater, dann der Sohn. Letzterer wittert nach jahrelanger Flaute am Markt für klassische Antiquitäten wieder Morgenluft. Seine Hoffnung beruht vor allem auf einer jungen Generation, der Werte wieder etwas wert sind.

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Die schönen Dinge siehst du nur, wenn du langsam gehst, heißt es im Zen-Buddhismus. Das sei nicht die Art und Weise, wie man einen Fluss überquert, läßt John Cage den Zen-Buddhisten sagen, als ein erleuchteter Hinduist über das Wasser geht. Ende des Prologs.

So wie man kein »Digital Native« sein muss, um auf digitalen Marktplätzen einzukaufen, muss man auch kein »Analog Native« sein, um ein Antiquitätengeschäft aufzusuchen. Es ist daher auch keine Frage des Alters. Künstliche Intelligenz und Antiquitäten haben überraschenderweise etwas gemeinsam: die Zweitverwertung. Der Mensch muss schon etwas geschaffen haben, bevor der Algorithmus für uns tätig oder das Bier aus dem Biedermeierpokal getrunken wird. Beides Kelche, die wir nicht mehr an uns vorübergehen lassen möchten – aber die Freiheit dazu hätten wir. Zumindest noch, was die KI betrifft und jedenfalls beim Bier.

Trost & Rat
Aber auch ohne religionsphilosophischen Aufwand kann man sich schönen Dingen zuwenden und von ihnen profitieren – indem man sich mit ihnen umgibt, um sich die Seele streicheln zu lassen. Wenn man ein ordentlicher Kaufmann ist, muss man aber auch die Kraft haben, sich von ihnen wieder zu trennen. Rochus Probst kann das. Der Antiquitäten- und Kunsthändler hat seinen Weg gefunden: »Ich kaufe nur das, was mir wirklich gefällt und mich wirklich interessiert und verlasse mich dabei auch auf das Bauchgefühl und auf die Beratung meiner Frau Dagmar.« Die wie er selbst ein Kunstgeschichtestudium aufzuweisen hat, was die Sache, genauer die Einschätzung und Wertung der Ware, erheblich erleichtert. Da Rochus Probst ein Allrounder und Generalist ist, findet man in seinem Geschäft nicht nur alle möglichen, sondern auch alle unmöglichen Sachen. Wobei »Sachen« eine wirklich unwürdige Bezeichnung für seine Ware ist. Man kann zwar bekanntlich über Geschmack nicht streiten, aber wenn man so ein Händchen für schöne Dinge hat wie er, ist das eine vernachlässigbare Sorge. Umso höher ist allerdings die Qual der Wahl – nichts Schlimmeres soll einem passieren. Deshalb ist dieser Laden auch ein Eldorado für all jene, die in der stets herausfordernden Situation sind, ein Geschenk ausfindig machen zu müssen. Die, die gern und leicht schenken sind hier nur deshalb nicht erwähnt, weil sie einfach kommen und weil sie angstlos sind, wofür ihnen Anerkennung und Bewunderung gebührt. Jene aber, für die die Suche nach Geschenken ein nahezu heiliger Akt größter Ernsthaftigkeit ist, bekommen in der Kunstwelt Probst Trost und Rat, zwei der wichtigsten Grundlagen für Entscheidungsakte. Einfacher ist es natürlich, sich selbst zu beschenken. Einen Kristallluster aus den Neunzehnsiebzigerjahren – als man ihn noch mit zwei l geschrieben hat – schenkt man nicht einfach, sondern will ihn für sich. Oder auch gar nicht, natürlich. Wenn aber genau so ein Ding in der elterlichen Wohnung deiner Kindheit im Wohnzimmer hing – zum Glück hört man beim Lesen nicht das Zittern der Stimme – dann ist das ein schönes Beispiel dafür, dass die Kunstwelt von Rochus Probst tatsächlich ein kleines Universum, eine eigene Welt für sich ist, in der die wahren Abenteuer Atmosphäre und Emotion heißen. Das ist das, was der Autoindustrie mit der Umstellung auf Elektroautos gerade verloren geht; kein blubbernder Großhuber mehr, kein Röhren im Tunnel beim absichtlichen Zurückschalten auf die Dritte, sehr vernünftig, sehr emotionsarm. So gesehen sind Antiquitäten die Oldtimer des Alltags. Nicht gefühlsbefreit und geräuscharm, sondern aufgeladen mit Geschichte und Geschichten, die berühren oder mit der Solidität des Handwerks oder einfach mit Schönheit und Stil.

Foto: Heimo Binder

Geburt der »Kunstwelt«
Das Unternehmen selbst schreibt auch schon seit mehr als vierzig Jahren Geschichte. Schon Rochus Probst senior, der Vater, war ein bekannter Antiquitätenhändler in Graz, der ab 1979 in der Kaiserfeldgasse das »Alt-Österreich« betrieb, später auch in der Körösistraße. Als er 1996 unmittelbar vor der Pensionierung stand, verstarb der alleinerziehende Vater zweier Kinder überraschend. Tochter Barbara, künstlerisch begabt und studierte Bühnenbildnerin, etablierte sich bereits früh als Artistin, trat im Zirkus und in Shows auf und lebt heute als Handstandäquilibristin und Schauspielerin in Frankreich. Rochus Probst junior, Jahrgang 1966, hatte gerade seine Firma liquidiert, die Hotels mit Gemälden und Spiegeln ausstattete. So kam es 1996 zur Neugründung des Antiquitätengeschäfts in der Körösistraße unter dem Namen »Kunstwelt«. Für den Junior damals ein schwieriger Start, weil die ursprüngliche Absicht einer Zusammenarbeit der Aufarbeitung eines ungeordneten Nachlasses wich. Diese Entwicklung ermöglichte allerdings einen inhaltlichen Neuanfang. Probst: »Und auch größere und übersichtliche Verkaufsflächen, zwischendurch sogar mit Filiale in der Innenstadt, ein breiteres Angebot und vor allem Konzentration auf die Verbindung von Alltagstauglichkeit mit größtmöglichem Anspruch an Schönheit und Authentizität der Objekte.«

Neue Generation von Sammlern
Zu einem weiteren Schwerpunkt wurden die wissenschaftliche Bearbeitung von Exponaten und die Erstellung von Gutachten im Rahmen seiner Sachverständigentätigkeit für Unternehmen und private Auftraggeber. Im November 2011 schließlich der Schritt nach Wien mit der Eröffnung einer Zweigstelle in der Sonnenfelsgasse, im ersten Bezirk. Damit wurde nicht nur der von Probst lang gehegte Wunsch vom Schritt in die Bundeshauptstadt wahr, sondern darüber hinaus eine weitere Möglichkeit erschlossen, internationales Publikum auch tatsächlich zu erreichen. Allerdings führten nicht ausreichender kommerzieller Erfolg in Verbindung mit dem hohen logistischen Aufwand 2014 zur Schließung der Wiener Dependance. Als eigentlicher Profit erwiesen sich aber Erfahrung und Kontakte. Der Antiquitäten- und Kunsthändler ortet auch eine Verlagerung der Interessen einer neuen, jüngeren Generation von Sammlern hin zum 20. Jahrhundert und passt daher sein Angebot entsprechend an. Objekte von Künstlern der klassischen Moderne und Design ergänzen das Angebot an Antiquitäten. Als Berufsgruppensprecher in der Wirtschaftkammer grenzt Rochus Probst seine Branche von den Altwarenhändlern klar ab, denn der Kunsthandel punktet zusätzlich mit ausgewiesener Fachkenntnis und bietet kaum Chancen für Schnäppchenjäger. Hauptgründe dafür sind der hoher Aufwand für sorgfältige Recherche und fachgerechte Restaurierungen, deren Dokumentation sich später in entsprechenden Expertisen zur Originalität oder zumindest der Rechnung für die erworbene Kostbarkeit finden sollte.

Foto: Heimo Binder

Die Vorteile von Gebrauchtem
Der Markt für klassische Antiquitäten ist seit den Neunzehnneunzigerjahren bis in die Zweitausenderjahre hinein mehr und mehr eingebrochen. »Der klassische Sammler hat so gut wie alles und daher höchstens noch Interesse an außerordentlich seltenen Einzelstücken«, so Probst. Im Zuge des folgenden Generationenwechsels entstand ein gewaltiges Überangebot, was zu einem Preisverfall geführt hat, auch das Messegeschäft musste gewaltig Federn lassen, viele Handelsbetriebe wurden eingestellt, es hat eine regelrechte Marktbereinigung stattgefunden. Doch der Geschäftsmann sieht Licht am Ende des Tunnels: »Während die alten Sammler aussterben, gibt es eine junge Generation, die höchst interessiert ist, die das alte Handwerk schätzt und die ökologischen, ressourcenschonenden Vorteile vom Gebrauchtem genauso zu schätzen weiß, wie jene einer fachgerechten Restaurierung. Und die deshalb auch bereit ist, dafür Geld auszugeben.« Außerdem könne er auf seine Stammkunden zählen, die gerade während der »Coronakrise« gekommen sind und ihr Urlaubsgeld in Antiquitäten oder Kunst investiert haben. Die Kunstwelt in der Mandellstraße, wo sie sich seit dem Jahr 2014 befindet, umfasst buchstäblich zwei Geschäfte und das Angebot ist ebenso buchstäblich unüberschaubar. Der Bogen spannt sich von archäologischen Artefakten wie einem winzigen babylonischen Rollsiegel über historische Spazierstöcke wie einem Bummler, vom Schmuck bis zu Uhren in allen Größen, von Sitzmöbeln aus den Neunzehnsechziger- und -siebzigerjahren bis zu Biedermeierschränken. Oder Preziosen wie eine roségoldene Doppelmanteltaschenuhr von 1907 mit Minutenschlag, eine emaillierte Tabatiere aus Silber, innen vergoldet mit Zündholzbehältnis und Reibfläche sowie einer Dochtvorrichtung, gefertigt in Wien um 1905 von Georg Adam Scheid. Oder ein Tabernakelschrank aus dem 18. Jahrhundert, ein sogenannter Blender, weil die Laden in Wirklichkeit Türen sind. Ein Prunkstück ist sicherlich ein Verwandlungstisch mit mehreren Gemälden vom Leipziger Hoftischler Friedrich Gottlob Hoffmann aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert, inklusive Entwurfszeichnungen. Die kleine »Kunstwelt« ist letztlich ein Plädoyer für den Genuss des Lebens, auf dass die Freude nicht zu kurz komme. Das meint Rochus Probst, wenn er sagt: »In Wirklichkeit leihen wir uns die schönen Dinge nur, denn nach uns wird sich ein anderer daran erfreuen.«

Epilog. Wenn wir zum Augenblick sagen möchten, verweile doch, du bist so schön, kommt nicht Mephisto, sondern die gegenwärtige Präsenz. Zen – die Wirklichkeit ist hier und jetzt. Was aber bleibt, ist Hoffnung allein. Deshalb führt Cages Zen-Buddhist den Hindu an eine seichte Furt und watet mit ihm durch das Wasser. So überquere man einen Fluss, meint er. Voller Hoffnung.

Kunstwelt Probst
8010 Graz, Mandellstraße 22
Telefon +43 676 3077172
kunstwelt.at

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