Eine kleine Malwerkstatt
Volker Schögler | 11. Mai 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 172, Fazitbegegnung
Neulich in der Leonhardstraße. Stadteinwärts, Höhe Reiterkaserne, rechte Seite. »Kleine Malwerkstatt« steht in kleiner Schrift auf einem kleinen Geschäftslokal, drinnen steht eine kleine Frau. An der Glastür hängt ein Schild: »Zu Malzeiten geöffnet«.
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Das sind genug Gründe für eine Begegnung, befinde ich und trete ein. »Das ist eine Begegnung«, sagt Hilda Pasch, als ich mich erkläre, und hält mir ein Bild hin. Ich erkenne Kreuze, zumindest drei, ein Aquarell mit Abdecktechnik, ein christliches Motiv? Golgotha, die Schädelstätte, wo die Kreuzigung stattgefunden haben soll? Wer begegnet sich, die Männer auf den Kreuzen? War das Leben des Brian blasphemisch oder aufklärerisch? Die Synapsen schlagen Funken, Assoziationen überschlagen sich; hätte der kürzlich verstorbene Kollege Wolfgang Sotill als Israelspezialist Bescheid gewußt und weiß er jetzt, ob es Gott gibt? All das findet in Millisekundenschnelle statt und zeigt wieder einmal, was Kunst bewirken kann. Es geht immer um alles.
»Vor der Kunst bin ich nie sicher«, steht in einem Folder von Hilda Pasch über die Kleine Malwerkstatt, die ihr in erster Linie als Atelier für sich selbst dient, wo sie aber auch zumeist einmal in der Woche Malkurse abhält. Denn die ursprüngliche Autodidaktin ist nach unzähligen Kursen bei Künstlern und als langjähriges Mitglied im »Künstlerbund Graz« technisch hochversiert und kann mit Kaltnadelradierungen genauso umgehen wie mit neuartiger Tintografiktechnik aus der Autoindustrie. Sie legt aber viel Wert darauf, die Kursteilnehmer nicht zu überfordern, sondern Sicherheit und Routine im Umgang mit Technik und Farbe zu vermitteln: »Dann erst ist man in der Lage, sich auf ein Motiv einzulassen, in seinem Werk voll und ganz aufzugehen und sich mit jedem Bild selbst zu überraschen.«
Hilda Pasch malt schon seit mehr als 40 Jahren, seit elf Jahren aber konsequent und täglich – seit sie das Atelier gemietet hat. Das nur zufällig ein Geschäftslokal ist, in dem sie ihre buchstäblich unzähligen Arbeiten lagert. Der Verkauf sei gar nicht ihr Ziel sagt sie, und das hängt wahrscheinlich mit ihrem vorigen Leben zusammen. So mancher Grazer erinnert sich noch an das alteingesessene Bekleidungsfachgeschäft für Herren- und Damenwäsche, Hemden und Pyjamas, »Schiebel & Hütner« in der Girardigasse mit einem zweiten Eingang in der Gleisdorfergasse, das es von 1927 bis 2009 gab. Zu diesem Zeitpunkt hörte Hilda Pasch eineinhalb Jahre vor ihrer Pensionsberechtigung wegen einer schweren Erkrankung nämlich auf, dieses Geschäft weiterzubetreiben.
Heute ist sie Zeitzeugin einer Epoche in der Geschäftswelt, die es in dieser Art und Form nicht mehr gibt. Nach der Schulzeit begann sie eine kaufmännische Lehre im Kosmetikgeschäft Muzza von Maria Brühl, der ersten Frau von Kurt Brühl, dessen Kleidermodengeschäft es heute noch gibt. Bei Muzza verkehrte vor allem die damals sogenannte Haute Volee von Graz, durchwegs Geschäftsleute von heute ungewöhnlich hoch anmutendem sozialen Rang und deren oftmals sehr verwöhnte Kinder. Das waren die 1960er Jahre der »Halbstarken«, als Jochen Rindt und Freunde sich noch Autorennen in der Stadt liefern durften. Einfach und direkt gestaltete sich damals auch die Rekrutierung von Personal. So wurde Hilda Pasch beim Friseur von einer gewissen Frau Heitzmann, die bei Schiebel&Hütner arbeitete angesprochen, ob sie nicht zu ihr wechseln wolle: »Statt 250 Schilling sollte ich plötzlich 1.800 Schilling verdienen.« So wechselte die junge Hilda von der Kosmetik- in die Bekleidungsbranche, was damals ziemlich unüblich war und Ärger mit den Eltern garantierte. Fortan bestimmten Wäsche von Mäser und Hemden von Amann und Gloriette ihren Berufsalltag. Nach Heirat und Karenzunterbrechungen für die zwei Töchter konnte sie 1989 das Geschäft übernehmen und führte es 20 Jahre lang weiter bis zur Erkrankung 2009, die heute endgültig überstanden ist.
Die Kunst im Hintergrund drängte in den Vordergrund und führte über so manch verschlungenen Umweg zu diesem neuen Geschäftslokal bzw. Atelier in der Leonhardstraße, in dem ich als Lebenstourist einer Frau begegne, die im eigenen Leben anwesend ist. So wie die Schriftstellerin Susan Sontag gemeint hat, sie schreibe nur, um herauszufinden, was sie denkt, sagt die Grazerin über ihr Malen: »Man lernt sich dabei selbst kennen.« Das ist schon eine Begegnung wert.
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Hilda Maria Pasch wurde am 13. Oktober 1951 in Graz geboren, besuchte die Nibelungen- und die Kronesschule und absolvierte eine kaufmännische Lehre zunächst in der Kosmetik-, dann in der Textilbranche und arbeitete ab 1970 bei Schiebel & Hütner zunächst als Angestellte, von 1989 bis 2009 als Chefin. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Pasch malt seit 40 Jahren, ist Mitglied im »Künstlerbund Graz« und betreibt in der Leonharstraße 89 die »Kleine Malwerkstatt«.
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Fazitbegegnung, Fazit 172 (Mai 2021) – Foto: Heimo Binder
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