Politische Lehre
Peter K. Wagner | 11. Mai 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 172, Fazitgespräch
Kristina Edlinger-Ploder, Rektorin und Geschäftsführerin der Fachhochschule Campus 02, über Lehre in Zeiten von Corona und ihre Lehren aus der Politik.
Das Gespräch führten Volker Schögler und Peter K. Wagner.
Fotos von Erwin Scheriau.
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Über einen Neubau betritt man die Fachhochschule Campus 02. Eine große Stiege und einen Durchgang später erreichen wir den Altbaubereich der Bildungseinrichtung. Hier befindet sich das Büro von Kristina Edlinger-Ploder. »Es war für mich eine Rückkehr«, erklärt sie.
Bereits mit vier Jahren sei sie zum ersten Mal in diesem Gebäude gewesen. Nur einen Stock höher lag das Büro ihres Vater Klaus Edlinger – denn wo heute Menschen für die Wirtschaft ausgebildet werden, war einst der Sitz des ORF-Landesstudios, in dem ihr Vater arbeitete.
Ihr Büro ist groß genug für Schreibtisch, Regal und Besprechungstisch, aber kein Raum, in dem man Studierende vermuten würde. »Auch das hier war ein Hörsaal«, sagt Edlinger-Ploder. Und schon sind wir mitten im Thema – Unterricht zwischen Präsenz vor Ort und Internetübertragung. Aber nicht nur das werden wir die nächsten eineinhalb Stunden besprechen.
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Frau Edlinger-Ploder, wir sitzen in der FH Campus 02, die im letzten Jahr coronabedingt oft verwaist war. Man sagt, junge Menschen nehmen so großen Schaden an Pandemie. Woran erkennen Sie das bei Ihren Studierenden?
Da muss ich etwas differenzieren. Unsere Studierenden sind durchschnittlich älter als auf anderen Hochschulen, weil bei uns zu 80 Prozent berufsbegleitend studiert wird. Unsere Studierenden sind nicht hier, sie sind in ihren Betrieben. Aktuell ist die Lehre komplett auf Distance Learning umgestellt, aber wir hätten auch wieder sehr gerne Präsenzunterricht. Die Lehrveranstaltung selbst funktioniert ohne physische Anwesenheit noch am besten, aber alles, was vorher und danach passiert, fehlt.
Bedeutet berufsbegleitend, dass auch schon vor Corona viel Unterricht ohne Präsenz stattgefunden hat?
Wir waren sogar sehr stark auf Präsenz ausgerichtet mit einer verpflichtenden Präsenzquote, die bei Nichteinhaltung dazu führte, dass ein Prüfungsantritt gestrichen wurde. Wir werden auch jedenfalls wieder dazu zurückkehren. Aus dem einfachen Grund, weil wir unseren Studierenden ein Versprechen abgeben: Wir sagen ihnen, dass wir ihr Studium so gut organisieren, dass es in der vorhergesehen Zeit auch mit Beruf vereinbar und zu schaffen ist.
Was ist die mittelfristige Perspektive im Spannungsfeld zwischen Distance Learning und Präsenz?
Wir werden etwa 20 Prozent Distance Learning erhalten. Viele Lehrveranstaltungen funktionieren gut ohne Anwesenheit, andere aber nicht. Wir waren insofern gut auf Corona vorbereitet, da wir eine Digitalstrategie ausgearbeitet hatten – allerdings hatten wir die Hoffnung, sie nicht in der Geschwindigkeit umsetzen zu müssen. Wir haben auch Hybridlehre ausprobiert, wo die Hälfte der Studierenden anwesend war und die andere Hälfte zu Hause. Das System ist nicht nur gut aufgenommen worden. Ich sehe aber auch das positiv: Wir haben daraus gelernt.
Auf der Website der FH Campus 02 war die letzte Aktualisierung der Corona-Ampel im November. Wie lange ist bereits Stillstand?
Das Sommersemester 2020 war mehr oder weniger auf Distance Learning umgestellt, im Juni haben wir Prüfungen vor Ort gemacht, im Herbst begann die Hybridlehre und im November war damit Schluss. Derzeit haben wir folgendes Problem: Richtung Mai soll es Veränderungen geben. Aber wir reden da nun von einem Abstand von zwei Metern, wofür unsere Hörsäle nicht ausgerichtet sind. Es gibt daher an manchen Studiengängen Überlegungen, auch nach einer Öffnung nur online zu unterrichten.
Am 20. Oktober soll der FH-Event »Innovation of Automation« stattfinden, wenige Meter entfernt, im Europasaal der Wirtschaftskammer Steiermark. Ist das realistisch?
Wir rechnen schon mit der einen oder anderen Veranstaltung im Herbst. Großveranstaltungen wird es aber auch heuer nicht geben. Die angesprochene Veranstaltung hat Bezug zum Studiengang Automatisierungstechnik und zeichnet die besten Abschlussarbeiten von Studierenden aus – solche Dinge würden wir ungern sterben lassen. Auch Sponsionen werden wieder ganz normal stattfinden. Auch wenn wir unsere Kreation der Drive-in-Sponsionen vom letzten September noch einmal durchführen werden. Nicht zuletzt, weil sie sehr gut ankam.
Wie haben diese Drive-in-Sponsionen funktioniert?
Wir haben dazu am Parkplatz Ost eine Tribüne wie bei einem Autokino aufgebaut. Die Autos sind mit einer Rampe auf eine Bühne gefahren, es durften die Familien im Auto mitgenommen werden. Die Studierenden bekamen das Gefühl, wir bemühen uns, diesen Abschluss feierlich zu gestalten. Wir haben dafür auch sehr positives Feedback erhalten.
Wie hat sich die Anzahl der Studierenden aufgrund der Pandemie entwickelt?
Wir hatten ein Aufnahmeverfahren, das zwar elektronisch abgewickelt wurde, aber vor Ort. Durch die Online-Bewerbungen kam es zu einem Boom und wir hatten 30 Prozent Bewerberzuwachs. Wahrscheinlich steigern wir das heuer sogar noch einmal. Wir kennen aber die Demografie, es sind nicht mehr Junge geworden, sondern die Menschen melden sich durch die geringere Hürde bei mehreren Hochschulen an. Wir sind stolz darauf, dass dieser Zuwachs für alle Studiengänge gilt. Gerade weil wir mit Wirtschaft und Technik nur zwei Bereiche haben. Technik ist ein großes Thema, weil alle Bewerberinnen für die technische Ausbildung haben wollen und die Gruppe nicht in diesem Ausmaß wächst.
Kommen dann auch mehr Frauen zur Technik?
In der Informatik schon. Das trauen sie sich zu, weil sie schon selbst damit umgehen und arbeiten. Die klassischen Berufe wie Mechatronik, Bauingenieurwesen oder Automatisierungstechnik sind nach wie vor sehr männlich geprägt. Da sind wir allerdings auch regional dabei, über die Initiative Innoregio ein durchgängiges Angebot von drei bis 19 Jahren zu haben, um die technischen Fähigkeiten bzw. Interessen zu wecken und halten. Gerade in der Altersstufe zwischen zehn und 15 Jahren verlieren wir viele Jugendliche wieder.
Was ist der Unterschied zwischen berufsbegleitendem Studium und einer dualen Ausbildung?
Die Paradedisziplin ist, dass Menschen schon im Beruf sind und Freitag sowie Samstag zu uns kommen, um sich berufsbegleitend mit einem Bachelor oder Master fortzubilden. Das ist kein Muss, aber facheinschlägige Vorerfahrung bedeutet eine bessere Punktezahl im Aufnahmeverfahren. Es könnte aber auch sein, dass jemand schon berufstätig ist, sich aber umschulen möchte. Duale Ausbildung bedeutet, dass wir ein Studium organisieren und facheinschlägige Arbeit als Teil des Lehrplans in einem Unternehmen vermitteln. Das haben wir derzeit in der Informatik im Studiengang »Business Software Development«. Unsere Vollzeitstudien werden wiederum berufsermöglichend durchgeführt, das heißt, es gibt etwa nur an gewissen Tagen Lehrveranstaltungen.
Zu einem anderen Thema: Wir haben uns das Video von Ihrer Abschiedspressekonferenz als Landesrätin auf YouTube noch einmal angeschaut. Es hat uns noch einmal daran erinnert, dass es nicht so aussah, als ob Sie gerne abgetreten wären. Vermissen Sie die Politik?
Nein, weil sie nach wie vor Teil meines Lebens ist.
Anders gefragt: Vermissen Sie das Gefühl, gestalten zu können?
Nein, das ist ein bisschen ein Trugschluss. Gestalten kann man auch an anderen Orten – seit ich an der FH bin, konnten wir etwa drei neue Studiengänge starten. Ich bin politisch geblieben und habe gerade in der Bildungspolitik im Unirat der Med-Uni Innsbruck und durch andere Aufgaben spannende Möglichkeiten. Es ist gut, wie es gelaufen ist. Dass ich zum damaligen Zeitpunkt einen anderen Plan hatte, weil ich mit meinen Ressorts konkrete Ziele hatte, ist mittlerweile ein offenes Geheimnis. Auch, dass mir nicht gefällt, wie sich die Gesundheitspolitik weiterentwickelt hat. Sie bewegt sich zu langsam und die Richtung hat sich nicht geändert. Und ja, ich hätte auch den Pflegeregress nicht abgeschafft, aber wenn der Rückhalt fehlt, muss man Konsequenzen ziehen. In der erste Reihe sitzen zu dürfen und müssen, fehlt mir übrigens nicht.
Rudolf Anschober ist auf Bundesebene unlängst als Zuständiger für Gesundheitsagenden zurückgetreten. Wie belastend ist die Politik?
Sehr. Das hat auch Anschobers Rücktritt – unabhängig von der schwierigen Situation mit der Pandemie – gezeigt. Ich hatte damals ebenfalls Situationen mit Morddrohungen. Diese Dinge tun mir auch deshalb sehr leid, weil wir Menschen brauchen, die in die Politik gehen und diese Funktionen mit Leidenschaft ausüben. Ich kenne so viele Menschen, die politische Ämter kategorisch ablehnen, dabei ist es ein spannendes und wichtiges Feld.
Wie könnte man es ändern, dass Menschen lieber Teil der Politik werden?
Vielleicht braucht es ein Commitment zwischen Medien und Parteien, dass nicht jeder Rülpser gedruckt wird, weil er ein Sager ist. Politische Debatten mit unterschiedlichen Haltungen sind interessanter und haben mehr Informationswert. Die Spruchbandpolitik ist problematisch. Nicht jedes Thema ist geschaffen für ein Zitat mit einem Hashtag. Ich hatte gehofft, dass die Pandemie Vorteile des Gemeinsamen sichtbar macht. Leider hat gerade das Impfprogramm der EU und Österreichs nicht dazu beigetragen, sich mit besonderem Ruhm auszustatten, obwohl es so gut dafür geeignet gewesen wäre.
Sie haben die österreichische Impfstrategie schon unlängst kritisiert. Warum?
Man konnte sich darauf vorbereiten. Das ist nicht passiert, es wurde etwa nichts standardisiert, wo das doch das kleine Einmaleins im Produktions-, Digital- und Prozessmanagement ist. Ich habe den Eindruck, hier wurde einiges verabsäumt. Bei aller Freundschaft zum Föderalismus – ich war selbst Landesrätin –, aber ich verstehe nicht, warum die Länder mitreden durften. Es hat ja auch einen guten Grund, warum gewisse Themen – z. B. in Bildungsfragen – bundesweit geregelt werden.
Ein Vorwurf in Richtung Rudolf Anschober.
Dem geschiedenen Minister ist das nicht allein anzulasten, da gibt es auch den Koalitionspartner und die Länder. Ganz junge Menschen haben mir einmal einen tollen Satz geschenkt: »Richtige Entscheidungen finden ihre Mehrheit.« Ich bin sehr sachorientiert und habe mir das daher ganz oft in diesen Wochen gedacht. Da muss ich an meine Zeit als Gesundheitsreferentin des Landes denken und an den Aufschrei, der auf die Schließungen einzelner Abteilungen folgte. Heute redet keiner mehr darüber. Ich wiederhole mich daher: »Richtige Entscheidungen finden ihre Mehrheit.«
Wenn Krankl und Prohaska oder Pröll und Häupl gemeinsam fürs Impfen Werbung machen, stellt man fest: Die Kampagne zur Strategie ist alles andere als provinziell, sondern hervorragend gemacht. Fehlt in der Umsetzung der Strategie dann Kompetenz und Erfahrung? Steht gar die Show zu stark im Vordergrund?
Man könnte verkürzt sagen: Jeder Mensch macht zuerst das, was er am besten kann. Und so wird es vielleicht die Bundesregierung auch gemacht haben. Die Impfkampagne ist ihnen auf jeden Fall gelungen. Aber auch wenn ich über die Impfstrategie alles andere als glücklich bin, möchte ich auch positive Worte finden.
Zum Beispiel?
Es gibt etwa gute Gründe, dass wir kaum Pleiten haben. Es ist leicht, auf den Staat zu schimpfen, aber wir waren sowohl in der Lage als auch politisch willens, ein Netz zu spannen. Man darf zufrieden feststellen, dass Österreich sich wieder einmal als sehr guter Standort erwiesen hat. Es tut mir deshalb weh, wenn sich radikale Gruppen und Verschwörungstheoretiker so stark formieren.
Trotzdem wird die soziale Schere auch in Österreich weiter aufgehen. Ein Thema, das Sie durchaus beschäftigt, weil Sie erst unlängst ins Präsidium der Caritas Österreich gewählt wurden und auch Kuratoriumsvorsitzende der Caritas Steiermark sind. Bereiten Ihnen die sozialen Folgen der Pandemie Sorge?
Ja. Gerade beim Restart-up des Landes sollte man sich gut vorbereiten, brennende Felder zu fokussieren. Was meine ich damit: Wir sehen bei der Caritas, dass es eine relevante Anzahl neuer Armut gibt. Wir kratzen da am unteren Mittelstand. Menschen, die jetzt das Problem haben, die Miete zu zahlen und die unterstützt werden sollten, weil sie auch die größte Chance haben, die Unterstützung sehr bald nicht mehr zu brauchen. Ich glaube auch, dass es für eine Volkswirtschaft gut ist – wie auch bei Fortschritt und Technologie –, in diesem Bereich zu investieren, weil die Umwegrentabilität höher ist. Und – vorsichtig gesagt – gilt allerdings für manche Betriebe: Wir können nicht alle retten. Selbstregulation ist Teil unserer Wirtschaft.
Woher kommt dieser Begriff des Restart-up?
Das ist ein Ausdruck des Innolabs unserer FH. Heute kümmern sich viele um Start-ups, aber wir kümmern uns um Restart-ups, weil es bestehende Betriebe wie Tischler oder Essigproduzenten gibt, die sich verändern müssen, um langfristig überleben zu kommen. Das ist das Erfolgsgeheimnis vieler traditioneller Betriebe.
Die Art und Weise, wie Sie Politik gemacht haben, die Tätigkeit an der FH Campus 02 in direkter Nachbarschaft der Wirtschaftskammer, die Tätigkeit bei der Caritas – Sie wirken wie eine Vertreterin einer Volkspartei, die es im türkisen Gewand nicht mehr gibt. Wie geht es Ihnen – nicht zuletzt in für die Caritas sehr wichtigen Fragen wie Migration und Flucht – mit der Neuen Volkspartei?
Ich bin nach wie vor Mitglied der ÖVP und sehe mich als unternehmerischer Mensch, daher ist auch die Nähe zur Wirtschaftskammer richtig und gut für mich. Dass die Caritas und eine Partei nicht immer derselben Meinung sind – damit kann ich sehr gut umgehen. Da muss man professionell sein und das ist die Caritas auch. Was ich nicht mag, ist, wenn die Kommunikation nicht mehr stattfindet. Ich darf anderer Meinung sein, aber sollte immer höflich bleiben. Das ist eine wichtige Tugend. Es ist auch interessant, dass sich die Caritas aktuell in einem gewissen Spannungsfeld bewegt.
In welchem denn?
Auf der einen Seite stehen die Kirchgänger und Pfarrangehörigen – aber auch etwa die türkise Bewegung –, denen die Caritas viel zu links ist. Auf der anderen Seite finden sich Menschen, die meinen, die Caritas sei doch die Kirche und damit per se zu hinterfragen, weil sie die Institution sehr kritisch sehen. Dabei ist die Caritas in ihrem Wesen der dringende Wunsch, auf andere zu schauen. Es geht um glaubensunabhängige Nächstenliebe. Wobei Sünde auch schon wieder religiös konnotiert ist. Ich bin im Übrigen weiterhin gerne Teil der katholischen Kirche – auch wenn ich oft genug mit ihr hadere. Wie auch mit der eigenen Partei. Das ist aber beides ganz normal. Denn wo streite ich am meisten? In der Familie. Weil mit ihr setze ich mich am häufigsten auseinander.
Frau Edlinger-Ploder, vielen Dank für das Gespräch.
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Mag. Kristina Edlinger-Ploder wurde am 4. Juli 1971 in Linz geboren, maturierte am Akademischen Gymnasium in Graz und studierte Rechtswissenschaften an der Karl-Franzens-Universität. 1998, zwei Jahre nach ihrer Sponsion, begann sie im Büro der damaligen Landeshauptfrau Waltraud Klasnic zu arbeiten, 2002 wurde sie dort Büroleiterin. Ein Jahr später wurde sie bereits Mitglied der Regierung und Landesrätin. 2014 trat sie aus der Politik zurück. Seit September 2016 ist sie Rektorin und Geschäftsführerin der FH Campus 02 in Graz. Sie hat zwei Kinder.
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Fazitgespräch, Fazit 172 (Mai 2021), Fotos: Erwin Scheriau
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