Wenn Glaube politisch wird
Redaktion | 31. Mai 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Essay, Fazit 173
Ein Essay von Birgit Kelle. Aktuell debattiert die katholische Kirche, ob homosexuelle Paare gesegnet werden sollen. Ein Thema, das viele Gemüter erregt. Die Autorin zeigt auf, was passiert, wenn politische Debatten auf das System Kirche prallen.
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Birgit Kelle, geboren 1975 in Siebenbürgen, Rumänien ist freie Journalistin und Autorin. Sie ist Mutter von vier Kindern und in zahlreichen Frauen- und Familienverbänden engagiert und trat in verschiedenen Landtagen und vor dem Familienausschuss des deutschen Bundestages als Sachverständige für die Interessen von Müttern und Familie, sowie als Expertin im Themenkomplex Gender auf. Sie ist Mitglied der CDU. Kelle ist Autorin zahlreicher Bücher. Im vergangenen Jahr erschien ihr Buch: »Noch Normal? Das lässt sich gendern! Gender-Politik ist das Problem, nicht die Lösung«. vollekelle.de
Möglicherweise war man in der Katholischen Kirche nie näher an der offenen Unterscheidung zwischen Glaube und Kirche, als heute. Heute, am 10. Mai treten inzwischen über 100 Gemeinden offen zu einer Segnungsaktion für homosexuelle Paare an und stellen sich damit demonstrativ gegen die noch druckfrische Antwort der Glaubenskongregation des Vatikans auf die deutsche Anfrage, ob man homosexuelle Paare vielleicht doch mit kirchlichem Segen versehen könne, die mit einem sehr klaren und durchaus auch erwartbaren Nein beantwortet wurde. Das will man nun bei Gottes deutschem Bodenpersonal nicht so stehen lassen, Papst hin oder her, und probt den Aufstand. Denn auch wenn die Initiatoren der Segnungsfeiern selbst beteuern, es sei keine Protestaktion gegen Rom, so ist sie es faktisch und inhaltlich schon, manche Kirchenrechtler reden gar von einem drohenden Schisma, dennoch lädt man nun unter den Hashtags #mutwilligsegnen und #liebegewinnt zu öffentlichkeitswirksamen Segnungsgottesdiensten »für alle Liebenden« ein. Die Presse ist auch geladen, die Kameras stehen bereit.
Die Frage des Umgangs mit Homosexuellen
Kein Themenkomplex spaltet alle christlichen Kirchen seit Jahren mehr als die Frage des Umgangs mit Homosexuellen, jetzt auch mit weiteren geschlechtlichen Identitäten. Es mischen sich aber auch weitere Protestthemen zusammen in einen gemeinsamen Diskurs, die aber alle im weitesten Sinne mit Geschlecht und Sexualität zusammenhängen. Dieselben, die heute die Segnung »aller Liebenden«, wer auch immer und wie viele sie sein mögen, fordern, sind nicht selten auch vorne mit dabei, wenn es um die Forderungen nach Frauenpriestertum und Abschaffung des Zölibats geht. Man könnte auch formulieren: Die LGBT-Szene und der intersektionale Feminismus sind jetzt in die Kirche einmarschiert. Gerade erst verkündete das sogenannte Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) mit dem Anspruch, die zentrale Laienvertretung der gut 22 Millionen deutschen Katholiken zu sein, ihre eigenen Offenbarungen nur noch in gendergerechter Sternchenschreibweise zu verkünden, weil man alle Geschlechter und sexuelle Identitäten fortan in Gottes vielfältiger Schöpfung berücksichtigen wolle, auch wenn er nachweislich nur deren Zwei geschaffen hat. Nichts dokumentiert besser den Bruch zwischen einer katholischen Funktionärskaste aus rund 230 Menschen und dem millionenfach stillen Glaubensvolk, das nicht gefragt wurde, ob es das goutiert, sondern nur noch belehrt wird, was es neuerdings als Katholik zu unterstützen habe. Der Gutmensch findet in der Kirche sein Pendant im Gutchrist. Nicht nur das Private ist bekanntlich politisch, das Geglaubte ist es jetzt auch.
Die Evangelische Amtskirche ist schon weiter
In der Evangelischen Amtskirche (EKD) hat sich dieser Prozess bereits vor Jahren vollzogen. Nicht nur die Segnung homosexueller Paare ist dort möglich und erwünscht, man hat längst schwule und lesbische Pfarrhäuser und auch das eigene Genderzentrum in Hannover für die weitere Erforschung der Gendertheologie im Namen der »Gött*in«. Jetzt steht die Debatte akut in der katholischen Kirche an, auch befeuert und forciert durch jene, die im Namen des innerkirchlichen Reformprozesses des sogenannten »Synodalen Weges« seit Monaten in Arbeitsgruppen eine neue Machtverteilung zwischen Klerikern und Laien, zwischen Männern und Frauen, aber auch eine Gleichstellung aller sexuellen Spielarten fordern. Neben Ehe für Alle (Segnung Homosexueller Paare), soll hier analog das Amt für Alle (Priesterweihe auch für Frauen), und auch Sex für Alle (Abschaffung des Zölibats) auf der Agenda stehen. Sex Meets Church.
Nun bin ich keine Theologin, sondern einfache Gläubige, was schon schwer genug ist und ich kenne keinen Christen, der nicht schon mit seiner Kirche, ihren Grundsätzen und ihren hohen ethischen und moralischen Ansprüchen an den Menschen in Konflikt und ins ganz persönliche Scheitern geraten ist. Auch ich habe schon mehrfach versucht, mit Gott eine gut begründete Ausnahmeregelung für mich auszuhandeln, wir haben hart gerungen. Alles, was ich an Antworten gewinnen konnte, verdanke ich jedenfalls nicht lauten Akklamationen auf Kirchvorplätzen und politischer Agitation, oder gar der Forderung, meine Kirche möge sich meinem gescheiterten persönlichen Dasein bitteschön wohlwollend annähern, es schönreden, ihre Regeln zeitgemäß an meinen Lebenswandel anpassen oder meine Rebellion gegen meinen Gott sogar segnen. Es sind eher die stillen einsamen Momente, die einem oft Antwort geben, nicht immer gefällt sie einem. Manchmal können diese ungebetenen Antworten im inneren Hören aber auch überraschend anders sein, als man sie erwartet oder gar erhofft hatte.
Und nun rufen also ausgerechnet jene auch in meiner Kirche nach mehr Mitbestimmung, nach mehr innerkirchlicher Demokratie, die sehr wahrscheinlich eine echte demokratische Abstimmung und eine sehr wahrscheinliche Niederlage über ihre Anliegen unter den 22 Millionen Mitgliedern der römisch-katholischen Kirche in Deutschland als erste zurückweisen und nicht akzeptieren würden. Demokratie einfordern und die Entscheidung einer andersdenkenden Mehrheit dann aber auch hinnehmen, sind ja bekanntlich zwei sehr unterschiedliche Dinge.
Es ist aber Anlass genug, um sich vielleicht grundsätzlich nochmal die Verhältnisse in der Kirche in Erinnerung zu rufen: Es gibt keine eigenständige Deutsche Katholische Kirche, sondern nur katholische Kirchen in Deutschland. Formaljuristisch und auch als nützliches Vehikel zum Eintreiben meiner Kirchensteuern existiert selbstverständlich das deutsche Rechtsinstitut der Kirche, aus weltkirchlicher Perspektive ist das aber nahezu irrelevant.
Weltkirche entscheidet, nicht die katholische Bischofskonferenz
Katholiken gehören einer Weltkirche an, nicht der deutschen Bischofskonferenz, auch wenn die Illusion, man könne über die Grundsätze des katholischen Glaubens einen deutschen Sonderweg gehen, derzeit gerne und zahlreich von deutschen Theologen und auch kirchlichen Amtsträgern kolportiert wird.
Wer also hypothetisch über Zölibat und über Frauenpriestertum diskutieren und abstimmen will, oder aktuell über die Frage, ob weitere Beziehungskonstellationen abseits der Ehe aus nur einem Mann mit nur einer Frau innerhalb der Gemeinschaft der Katholischen Kirche gesegnet, gleichgestellt oder gar ebenfalls in den Ehestand befördert werden könnten, müsste das mit der Weltkirche und nicht mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken diskutieren. Der müsste die derzeit gut 1,3 Milliarden Katholiken weltweit in den Diskurs einbeziehen. Aber genaugenommen wäre diese Abstimmung völlig irrelevant, denn selbst diese Masse wäre am Ende immer noch der lehramtlichen Entscheidung des Papstes in Rom unterstellt. Das ist ein Affront für Demokraten, gleichzeitig aber katholisch systemimmanent. Kirche ist kein Parlament und auch kein NGO, es gibt keinen Rechtsweg, um sich einzuklagen, aber den Ausweg, wenn man gehen will. Wir können nicht über Gottes Schöpfung abstimmen und vor allem ist das Unterfangen haltlos zu meinen, wir könnten den Schöpfer überstimmen. Wer das anders sieht, dem stehen übrigens zahleiche ebenfalls christliche Kirchen auch in Deutschland offen, die bereitstehen jeglichen Segen über Jedermann auszugießen.
Kirche segnet nicht alles, was wir tun
Jene, die nun Segnungsfeiern wollen, kämpfen um Anerkennung, um das Gesehen-Werden und um Respekt. All das ist schlicht Christenpflicht und muss nicht diskutiert werden. Natürlich segnet die Kirche Homosexuelle. Und zwar jeden einzeln, wie sie es mit jedem Menschen tut. Sie segnet aber nicht alles, was wir tun.
Was heißt es konkret, wenn jetzt dazu aufgerufen wird, dass »alle Liebenden« kommen sollen, um ihre Verbindung, also ihren biblisch nichtkonformen Lebenswandel segnen zu lassen? Kirchlicher Segen untersteht einem Rahmen. Was von den Regenbogen-Lobbyisten jetzt auch im katholischen Rahmen eingefordert wird, ist die Gleichwertigkeit aller Lebensmodelle, ein aktives Gutheißen aller Familienkonstellationen, aller Liebesgeschichten egal welcher Zusammensetzung, Dauer oder Ambition. Es geht dabei nicht nur mehr um Toleranz, sondern Akzeptanz. Die Kirche soll ihren Rahmen aufbrechen. Nie war Glaube politischer als hier.
Wer braucht aber noch eine Kirche, die zu allem »Ja und Amen« sagt, die alles absegnet, egal ob es in Einklang oder im Widerspruch zu ihren eigenen Regeln steht? Auch ein Priester kann zudem nur das segnen, wozu ihm eine Vollmacht verliehen wurde, will er nicht leere, aber wohlklingende Worthülsen verkünden, oder gar falsche Versprechungen machen. Wir diskutieren gerade mit der falschen Instanz. In der »Una Sancta Catholica« entscheidet Gott und seine Botschaft und dann der Papst, nicht deutsche Bischöfe und auch nicht 230 Funktionäre eines deutschen Zentralkomitees. Das 2000 Jahre alte Schiff der katholischen Kirche hat genau deswegen die Stürme der Zeit überdauert, weil man sich grundsätzlich am Fixstern mit Ewigkeitshorizont orientiert hat. Es ist ihr Unique Selling Point, dass sie in ihrem Selbstverständnis und in ihrer Wirksamkeit dem verführerischen Charme einer menschlichen Selbstermächtigung widersteht.
Kirche und Politik sind getrennte Reiche
Im Herz dieser Kirche steht Jesus Christus, der von sich sagt, dass sein Reich nicht von dieser Welt sei. Seit jeher wurde dennoch vielfach versucht, die beiden Sphären zu vermischen. Kirche und Politik, das sind zwei getrennte Reiche, das hat Martin Luther klargestellt. Die Erfahrung lehrt uns, dass der christliche Glaube immer persönlich beginnt, aber regelmäßig dort etwas in eine Schieflage gerät, wo der Glaube bewusst politisiert wird. Die Ränkespiele der Macht gehören nicht ins Herz der Kirche. Jesus hat gänzlich darauf verzichtet. Entsprechend gibt es in Wahrheit auch keine christliche Politik, sondern nur Christen in der Politik. Weil es nie Aufgabe der Politik war, unsere Seelen als Christen zu retten und uns eine Erlösung nach dem Tod zu verschaffen, sondern nur unser Leben im hier und jetzt zu organisieren. Wer könnte das besser demonstrieren als jene Parteien wie die CDU und die CSU, die das Christliche noch im Parteinamen tragen, aber nicht selten auch wirklich nur noch dort. Fehlen die Christen in den Reihen der Politik, ist jede christliche Politik per se nur ein rhetorisches Stilmittel.
Erstaunlich ist nun folgendes Paradox: Einerseits sticht die Beobachtung hervor, dass die Gegner der christlichen Kirchen lautstark fordern, Glaube solle bitteschön ausschließlich Privatsache sein, um Andersgläubige und auch Atheisten nicht im Alltag zu behelligen. Religionsfreiheit bedeutet ja in der Tat nicht nur Freiheit zur Religionsausübung, sondern auch die Befreiung von Religion. Gleichzeitig wird – in diesem Falle die Katholische Kirche – aufgefordert, die weltlichen politischen Anpassungen etwa der Geschlechterpolitik auch innerhalb ihrer Kirchenmauern analog anzuwenden und die Maßstäbe des Weltlichen auch an das Kirchliche anzulegen.
Sollte also Glaube doch politisch wirken, dann nur in einem bestimmten Sinne: Menschen, die geprägt sind von ihrem christlichen Glauben, können nicht sonntags so und montags bis samstags anders agieren. Wer sich für einen christlichen Weg der Nächsten- oder gar der Feindesliebe entschieden hat, kann keinen Lebensbereich davon ausklammern. Was sonntags richtig ist, wird montags nicht falsch. Und so steckt jeder Christ nahezu ständig im weltlichen Leben, im Beruf, in einem Parlament oder auch nur in der Nachbarschaft und im Freundeskreis im Dilemma, seinen Glauben und seine Überzeugungen nicht aus Bequemlichkeit oder gar Feigheit zu verleugnen. Kirche ist und war nie Demokratie. Es gibt im christlichen Glauben nur den Schöpfer mit seinem Gesetz, das er mit seinen zehn Geboten uns in die christliche DNA gemeißelt hat. Das ist strukturell ziemlich autoritär. Und doch hat selbst Jesus sein Schicksal am Kreuz in Ohnmacht aus der Hand seines Vaters hingenommen und sich gefügt. Wer sind wir, es anders zu tun?
Herausforderung im Glauben: Man bekommt nicht immer das, was man fordert
Ja, wir kennen ihn, den Menschen, mit all seinen Wünschen, Träumen und Ambitionen, seinen Unzulänglichkeiten und seinen Forderungen. Wer hat noch nie mit der himmelschreienden Ungerechtigkeit gehadert und verzweifelt und scheinbar sinnlos zu Gott gerufen? Die Herausforderung im persönlichen Glauben beginnt spätestens dann, wenn wir das erste Mal realisieren, dass wir nicht das bekommen, was wir fordern, und schon gar nicht dann, wann wir es wollen. »Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege« heißt es beim Propheten Jesaja. In einer Zeit, die uns suggeriert, dass alles möglich und machbar sei, besteht die größte Herausforderung wohl darin, die eigene Ohnmacht in den Dingen hinzunehmen. Christen nennen es die Tugend der Demut.
Der vorliegende Text ist am 10. Mai dieses Jahres als Beitrag im Magazin Focus erschienen. Wir danken für die freundliche Genehmigung, ihn abdrucken zu dürfen.
Essay, Fazit 173 (Juni 2021), Foto: Kerstin Pukall
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