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Tandl macht Schluss (Fazit 174)

| 2. Juli 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 174, Schlusspunkt

Das Long-Covid-Syndrom der Wirtschaft ist der Fachkräftemangel. Die SPÖ debattierte auf ihrem Parteitag Ende Juni auf der Wiener Messe einen Leitantrag zum Thema Arbeitszeitverkürzung. Befeuern ließen sich die Genossen wie immer von den ÖGB-Berufslobbyisten. Gemeinsam mit einschlägigen Publizisten warnen sie ja seit geraumer Zeit, dass uns in den nächsten Jahren die Arbeit ausgehen wird. Ziemlich faktenbefreit wird argumentiert, dass in nächster Zeit zigtausende Jobs vor der Wegdigitalisierung, Wegrationalisierung oder Verlagerung ins Ausland stünden.

Daher müsse die verbleibende Arbeit »sozial gerechter« verteilt werden, denn das Wirtschaftswachstum der kommenden Jahrzehnte könne – aus Klimaschutzgründen oder weil uns die Ressourcen ausgehen – gar nicht so hoch ausfallen, dass die wegfallenden Arbeitsplätze von der Wirtschaft ersetzt werden könnten.

Dabei ist die Realität eine gänzlich andere. Denn statt mit Auftragsausfällen und Umsatzeinbrüchen kämpfen die Unternehmen mit einem Fachkräftemangel noch nie dagewesenen Ausmaßes. Im Tourismus wäre das ja noch verständlich. Dort haben die Lockdowns dazu geführt, dass viele Arbeitnehmer in andere Branchen gewechselt haben, wo sie jetzt erstmals in ihrem Berufsleben die Segnungen eines »Nine-to-Five-Jobs« mit prinzipiell freien Wochenenden erleben dürfen. Der Arbeitskräftemangel betrifft inzwischen jedoch nicht nur den Tourismus, sondern so gut wie alle Branchen und Arbeitsplätze, für Akademiker ebenso wie für Hilfstätigkeiten, die nur zwei gesunde Hände und Füße sowie den Willen zur Arbeit erfordern.

Eine Wirtschaft, die ihre Arbeitsplätze nicht zur Gänze besetzen kann, hat jedoch ein Problem. Sie wächst wesentlich langsamer, als sie eigentlich könnte. Und so beginnen manche Unternehmen bereits, ihre österreichischen Expansionspläne zu redimensionieren. Wenn die offenen Stellen nicht besetzt werden können, helfen selbst billigste Kredite und großzügige Investitionshilfen nicht weiter.

Dabei gäbe es angesichts des Post-Corona-Aufschwungs eine Riesenchance für Österreich und für ganz Europa. Denn auf den globalen Arbeitsmärkten schaut es völlig anders aus als auf dem heimischen. Der Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf, der britische Politikwissenschafter Guy Ryder, sprach zuletzt von einer katastrophalen Entwicklung. Er geht davon aus, dass heuer weltweit insgesamt 100 Millionen Vollzeitarbeitsplätze durch die Coronakrise vernichtet werden.

Die Folgen der Beschäftigungskrise zeigen sich schon jetzt. Mit den Einkommensverlusten steigt die Armut. Vor diesem Hintergrund – Arbeitskräftemangel bei uns und hohe Arbeitslosigkeit in den Entwicklungsländern – ist es schade, dass das Migrationsthema seit 2015 einen so negativen Spin bekommen hat. Ursache ist jene Minderheit von Zuwanderern, die ein so geringes Qualifikationsniveau aufweist, dass sie auf unserem Hochleistungsarbeitsmarkt einfach nicht Fuß fassen kann und jetzt aus den Sozialtöpfen leben muss. Dazu kommt die Kriminalität der in die Illegalität entschwundenen Ausreisepflichtigen.

Die Tausenden Arbeitsmigranten, die mithelfen, unsere Sozialtöpfe zu füllen, und unsere Wirtschaft am Laufen halten, nehmen wir längst ebenso wenig als Zuwanderer wahr wie jene Tausenden 2015er-Flüchtlinge, die es inzwischen in sichere und existenzsichernde Jobs geschafft haben, weil sie mit vielen von uns längst Tür an Tür leben.

Der Fachkräftemangel bietet vielen Jobsuchenden die Chance, in Bereichen Fuß zu fassen, die eigentlich ihr Qualifikationsniveau übersteigen würden. In so gut wie allen Industriebetrieben gibt es sogenannte »angelernte Facharbeiter«. Das sind Menschen, die als Hilfsarbeiter eingestellt wurden und danach mit entsprechender Qualifizierung aufsteigen konnten.  

Es ist ein Riesenfehler, bei der Zuwanderung auf das Zufallsprinzip zu setzen. Österreich braucht Migranten, die den Willen und die Fähigkeit haben, hier zu arbeiten und zu leben. Die linken Parteien sollten darüber nachdenken, ob es nicht an der Zeit wäre, gezielt und großzügig Migranten ins Land zu lassen, die die Gesellschaft weiterbringen wollen.

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Tandl macht Schluss! Fazit 174 (Juli 2021)

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