Tandl macht Schluss (Fazit 175)
Johannes Tandl | 2. August 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 175, Schlusspunkt
Mit Zuckerl und Hürden zur Durchimpfung. Griechenland und Frankreich haben vor wenigen Tagen eine Corona-Impfpflicht für ihr Gesundheitspersonal eingeführt. Und auch in Österreich wird immer öfter eine berufsbezogene Impfpflicht, die auch das Bildungspersonal umfassen soll, diskutiert. Viele bereits Geimpfte und Impfwillige sind sich einig: Nachdem uns der Staat das Maskentragen und das »Social Distancing« vorgeschrieben hat, soll er nun gefälligst auch dafür sorgen, dass die Menschen zur Impfung gehen! Doch bei allem Ärger über die jetzt noch folgenden gesellschaftlichen Kosten der Pandemie durch Impfverweigerer muss klar sein, dass eine Impfung ein medizinischer Eingriff ist, zu dem kein Staat seine Bürger zwingen sollte.
Es gibt Menschen, die nicht rechnen können und den Unterschied zwischen einem Prozent Corona-Toten und einem Tausendstel-Promille an AstraZeneca-Impftoten nicht erkennen. Jeder Bürger hat das Recht, unlogisch zu handeln oder sich bezüglich einer Impfung unsicher zu fühlen oder bei anderen beobachten zu wollen, ob es nicht doch noch zu Spätfolgen der Impfung kommt. Unsere Demokratie wird diese irrationalen Ängste Einzelner aushalten. Tatsächlich verhalten sich Impfgegner wenig solidarisch. Ihnen ist natürlich klar, dass ihr Ansteckungsrisiko mit der Zahl der Geimpften zurück geht. Wenn sie lange genug standhaft bleiben, können sie daher von der Impfung der anderen profitieren, ohne sich selbst dem Risiko des Impfstichs aussetzen zu müssen. Denn je mehr Menschen sich dem gesellschaftlichen Impfdruck beugen, desto geringer wird das Risiko für die Ungeimpften. Insofern könnte sich dieses Impf-Schmarotzertum – aus der schrägen Perspektive der Impfverweigerer – also durchaus bezahlt machen.
Vielleicht ist die mangelnde Impfbereitschaft aber nur ein Beweis dafür, dass man Themen wie Bürgerpflicht oder gesellschaftliche Solidarität, nicht dem Individualismus hätte opfern dürfen. Ganz egal, ob Impfverweigerer nun aus Kalkül, andere bei der Impfung vorangehen lassen, oder ob sie – ohne schlechtes Gewissen – als Individualisten agieren: Beide Gruppen brauchen offenbar einen zusätzlichen Nutzen durch die Impfung, um ihren Widerstand zu überwinden. Genau diesen Weg hat man bei einem großen Grazer Industriebetrieb beschritten. Dort dürfen Geimpfte auf das Tragen eines Mund-Nasenschutzes verzichten. Dieser Zusatznutzen durch die Impfung kommt natürlich einer innerbetrieblichen Stigmatisierung der Ungeimpften gleich. Und so haben viele Mitarbeiter, die noch vor kurzem erklärten, nicht bereit für eine Impfung zu sein, inzwischen ihren ersten Stich akzeptiert.
Jetzt bleibt abzuwarten, ob irgendjemand den Rechtsweg gegen diese Art von indirektem Impfzwang beschreitet. Der betroffene Betriebsrat scheint jedenfalls stillzuhalten. Vielleicht hilft überbetrieblich auch eine PCR-Test-Pflicht für nicht Geimpfte, wie sie der Gesundheitsminister gerade für Besucher der Nachtgastronomie verordnet hat, als Impfanreiz.
Natürlich wird man sich immer wieder der Frage stellen müssen, ob es legitim ist, den Impfwiderstand durch ständig neue Zuckerl für Geimpfte bzw. Hürden für Nichtgeimpfte zu brechen. Diese Schritte scheinen jedenfalls rechtmäßiger zu sein, als das Aufrechterhalten eines Corona-Regimes, das massivste Einschränkungen der Privatsphäre beinhaltet. Aus demokratischer Sicht war die Forderung mancher Politiker, auch private Wohnungen in Bezug auf die Einhaltung der Corona-Regeln zu kontrollieren, übrigens ein unverzeihlicher Tabubruch, den die Wähler hoffentlich nicht vergessen werden.
In einem hat die Politik jedenfalls Recht. Der einzige Weg aus der Krise ist die Impfung. Und wenn Argumente nicht zur notwendigen Einsicht und zu Verständnis führen, muss die Gesellschaft eben reagieren. Nicht der Staat, denn dem sind aus den angeführten demokratiepolitischen Gründen die Hände gebunden. Daran ändert sich auch nichts, wenn sich die fünf Prozent an echten »Covidioten« und/oder Rechtsradikalen durch privatwirtschaftliche Zuckerl für Geimpfte und Hürden für Verweigerer ein weiteres Mal vor den Kopf gestoßen fühlen. Diese Gruppe war wahrscheinlich schon vor der Pandemie für die Demokratie verloren.
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Tandl macht Schluss! Fazit 175 (August 2021)
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