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Die ÖVP braucht eine Zäsur. Und unser Land eine integre konservative Kraft

| 10. November 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Editorial, Fazit 177

Die österreichische Volkspartei ist schwer angeschlagen. Und hat das in seiner gesamten Dimension offenbar noch nicht richtig realisiert. Die letzten Veröffentlichungen bzw. die Voruntersuchungen gegen VP-Obmann Sebastian Kurz und einen Teil seiner engsten Mitarbeiter haben zu seinem Rücktritt als Bundeskanzler geführt.

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Es war lediglich ein »Schritt zur Seite«, er ist nun Klubobmann der ÖVP im Nationalrat. Es geht aber nicht mehr darum, dass auch für Politiker die Unschuldsvermutung gelten muss. Es geht nicht mehr darum, dass es einen eigenen Justizskandal darstellt, dass unter dem Schutz des Briefgeheimnis zu stehen habende Nachrichten – immer wenn es gerade gut passt – an die Öffentlichkeit gelangen, und es geht auch nicht darum, dass der Hass und die Häme, die Kurz von Beginn seiner Tätigkeit als Integrationsstaatssekretär an, entgegenschlugen, einen eigenen Tiefpunkt politischer Kultur in diesem Land darstellen.

Es geht darum, dass die Integrität der Volkspartei auf dem Spiel steht. Das lässt es nicht zu, dass dieser untragbaren Situation seitens der Partei nicht umgehend Rechnung getragen wird. Robert Lichal hätte von der »normativen Kraft des Faktischen« gesprochen, wenn man sich die Summe der Vorwürfe (und Chatprotokolle) anschaut, die mittlerweile einen Rücktritt von Sebastian Kurz auch als VP-Chef erzwingen. Es ist einfach erforderlich, dass alles getan wird, all die Vorkommnisse lückenlos aufzuklären. Das stellt im Übrigen auch das einzig denkbare Szenario dar, in dem Sebastian Kurz von den Vorwürfen reingewaschen werden und – wenn das so wäre – in dem er danach eine Möglichkeit zum Wiedereinstieg in die Spitzenpolitik finden kann. Was ich sehr hoffe!

In den letzten Wochen bin ich in diversen persönlichen Gesprächen (an Diskussionen und Postings im Internet gar nicht zu denken) auf eine ungeheure und bisher nicht gekannte Wucht an Ablehnung gegenüber der Volkspartei gestoßen. Das ist ungerecht, vor allem ist es natürlich nicht den Tatsachen entsprechend, dass die ÖVP etwa ein »verbrecherischer Verein« oder ein »korrupter Haufen« sei. Die ÖVP kann aber, solange sie nicht reinen Tisch gemacht hat, nicht einmal damit beginnen, die eben großteils ungerechtfertigten Vorwürfe gegen sie zu entkräften. Glaubhaft zu entkräften. Sie kann nicht sinnvoll darauf hinweisen, dass der Umgang mit öffentlichen Geldern in Sachen Inseraten vor allem in der Bundeshauptstadt schlicht ungeheuerlich ist. Sie kann auch nicht einmal sinnvoll die – richtigen und wichtigen! – Argumente gegen die skandalösen Veröffentlichungen von privaten Nachrichten einbringen und anprangern.

Die aktuellen Herausforderungen dieses jungen Jahrtausends, in der eine fragile Gesellschaft immer öfter den Verlockungen der »sozialistischen Utopie« (Graz!) zu erliegen droht, in der viel zu viele Junge gar nicht wissen, dass es einzig der Kapitalismus (die ökosoziale Marktwirtschaft, welch großartige Errungenschaft der ÖVP!) ist, der seit Jahr und Tag das Leben der Menschen in Österreich, in Europa, auf der ganzen Welt nur besser und besser macht (Kindersterblichkeit, Armut, Alphabetisierung, Ernährung und und und), diese aktuellen Herausforderungen brauchen eine starke und handlungsfähige Konservative wie der Hungernde ein Stück Brot. Dummdreisten Genderentwicklungen, aberwitzigen Rassismusdebatten, schrecklicher Cancel-Culture oder schwachsinnigen Diskriminierungsvorwürfen allerorts kann nur eine nicht diskreditierte Partei mit Verstand, Gelassenheit und klarer konservativer Kante begegnen. (Die Union in Deutschland gibt ja ein ähnlich desaströses Bild nach 16 Jahren, in denen sie unter Merkel jede linksliberale gesellschaftspolitische Mode mitgemacht hat, ab – aber ohne Korruptionsverdacht.)

Schafft die ÖVP keine echte Zäsur, verabsäumt sie es, sich ordentlich und glaubhaft für das fragwürdige Bild zu entschuldigen, dass sie derzeit abgibt, dann droht dieser Partei viel mehr an Ungemach, als es der Rücktritt eines Obmanns darstellt.

Zu dem wäre es so essentiell, wenn alle im Nationalrat vertretenen Parteien erkennen würden, dass der wichtigste Untersuchungsausschuss im Parlament einer wäre, der sich auf die Suche nach der verlorenen poltischen Kultur (aller Parteien!) in unserem Land macht. Aber auch dazu kann die ÖVP erst beitragen, wenn sie ihre Hausaufgaben gemacht und sich ernsthaft neu aufgestellt hat. Ich hoffe, es gelingt ihr.

Hinweis: Lesen Sie zu diesem Thema auch Johannes Tandls Einschätzungen in den Politicks und Peter Sichrovskys Außenansicht.

Editorial, Fazit 177 (November 2021)

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