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Gesunde Mitarbeiter

| 30. November 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 178, Fazitthema

Foto: Adobe-Stock

Mit den Veränderungen der Arbeitswelt verändern sich auch die Herausforderungen, die sich hinsichtlich unserer Gesundheit ergeben. Dabei ist die betriebliche Gesundheitsförderung ein Bombengeschäft. Nicht nur für Mitarbeiter, Ärzte und Trainer, sondern auch für die Unternehmen! Denn jeder investierte Euro kommt mehrfach – in Form von motivierteren Mitarbeitern und weniger Krankenständen – zurück. Experten schätzen den Return on Investment auf 1:3 bis zu 1:26.

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Als Sabine T. erkannte, was los war, war es bereits zu spät. Die Verzweiflung hatte schon lange überhandgenommen. Ihre Erschöpfung war so bestimmend geworden, dass ihr morgens die Kraft zu fast allem fehlte. Sie fühlte sich zu schwach, um das Frühstück für ihr Kind zu richten, und zu traurig, um die Vorhänge zurückzuziehen und das Fenster zu öffnen. Stattdessen blieb sie einfach im Bett liegen, tagelang, und überlegte sich, wie es wäre, ihrer Hoffnungslosigkeit zu entrinnen, indem sie einfach alle Tabletten nähme, die sie daheim hatte.

Auf sich selbst hören.
Dabei hätte sie es merken können. Wenn sie nur ein wenig auf sich geachtet hätte … Dann wäre Sabine irgendwann aufgefallen, dass ihre Unsicherheit in dem neuen Job, den sie nach ihrer Kinderpause angetreten hatte, in übertriebenes Engagement umgeschlagen war. Dass sie sich permanent überschätzte, was zu Fehlleistungen führte, die sie durch ihren Einsatz erst recht wieder kompensieren wollte. Hätte sie nur auf ihr Umfeld gehört, dann wäre alles vielleicht noch gut gegangen. Aber Sabine T. hatte auf niemanden gehört. Nicht auf ihre Freundin, die ihr gesagt hatte, sie müsse endlich lernen, »nein« zu den Kollegen zu sagen, die ihre eigene Arbeit an sie delegierten. Nicht auf ihren Chef, der ihr dringend angeraten hatte, sich ein paar Tage frei zu nehmen. Nicht auf ihren Mann, der sich darüber beschwert hatte, dass ihre Beziehung zunehmend hinter ihren Job zurückgetreten war. Und nicht auf sich selbst, nicht einmal, als sie auffällig zugenommen hatte, weil sie lieber alleine mit einer Flasche Wein und einer Packung Chips vor dem Fernseher einschlief, als mit ihren Freunden und ihrer Familie etwas zu unternehmen.

Burnout als unterschätzte Gefahr.
Sabine T., das war eigentlich weder für sie noch für ihr Umfeld sonderlich schwer zu erkennen, war ausgebrannt. Ausgebrannt vom Job, vom Versuch, ihr Familienleben und die Arbeit erfolgreich unter einen Hut zu bringen, ausgebrannt von den eigenen Ansprüchen an sich selbst. Und obgleich das Burnout absehbar gewesen war, hatte sie bis zum Ende nichts dagegen unternommen. Immer weiter gemacht, bis selbst der Versuch, das Ruder noch herumzureißen, in weitere Anstrengung und schließlich die Selbstaufgabe mündete.
Sabine T. ist eine aus einer Legion von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die die Work-Life-Balance nicht auf die Reihe gebracht haben, eine von Tausenden, die ihr Job krank gemacht hat. Davon gibt es mehr, als man gemeinhin annehmen möchte. Nicht alle leiden unter psychischen Belastungen, die Mehrzahl der Krankenstandstage wird mit physischen Leiden begründet. Sie schaffen es trotz der zahlreichen Bemühungen öffentlicher Institutionen, privater Initiativen und unternehmerischer Anstrengung nicht, ihre körperliche oder seelische Unversehrtheit im Job aufrechtzuerhalten.

Statistik sagt heuer wenig aus.
Allein am statistischen Material ist der Komplex »Mitarbeitergesundheit/ Mitarbeiterkrankheit« nur schwer festzumachen. In aller Kürze: Gesundheitsbedingte Fehlzeiten stiegen nach einer Wifo-Studie 2020 gegenüber 2019 geringfügig an. Frauen verbringen mehr als 13,8 Tage im Krankenstand als Männer, die es auf »nur« 12,9 durchschnittliche Krankenstandstage im Jahr brachten. Auffällig dabei: Der Anteil der Kurzkrankenstandsepisoden steigt zwar – er beträgt derzeit 42 Prozent – ihr Gewicht am Fehlzeitvolumen ist aber vergleichsweise gering (9 Prozent aller Krankenstandstage). Längere Fälle sind also vergleichsweise selten, sie verursachen statistisch aber den Großteil der Fehlzeiten.

Atemwege und Rückenschmerzen.
Erkrankungen des Atemsystems und Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems verursachen zusammen die Hälfte aller Krankenstandstage. Inwieweit COVID-19 das Bild 2019, 2020 und 2021 verzerrt, lässt sich derzeit schwer sagen. Faktum ist, dass die Arbeitswelt sich durch COVID-19 verändert hat und damit auch die Krankheitsbilder, die mittelbar oder unmittelbar durch die Arbeit an sich auftreten. Vor allem das Home Office entpuppt sich immer mehr nicht nur als Segen, sondern auch als Fluch. Ist doch ein Heimarbeitsplatz meist nicht kompatibel mit den Anforderungen, die ein Büroarbeitsplatz an die Gesundheit der Mitarbeiter stellt. Ein Küchentisch ist kein höhenverstellbarer Schreibtisch, ein Esszimmersessel kein drehbarer Bürostuhl, ein 13-Zoll-Laptopscreen ist kein Bildschirm, wie man ihn in verantwortungsvoll ausgestatteten Büros vorfindet. Am Heimarbeitsplatz, wo man sich selbst überlassen seine Arbeitsumgebung improvisieren, ja, simulieren muss, greifen logischerweise viele Maßnahmen und Standards der betrieblichen Gesundheitsförderung nicht.

Home-Office-Bedeutung schwer einzuschätzen.
Neben den rein körperlichen Schäden, die die Auswirkungen der Pandemie auf Home-Office-Mitarbeiter haben, wird man sich vermehrt mit den veränderten psychischen Belastungen auseinandersetzen müssen. Burnout steht hier ganz oben auf der Liste jener Gefahren für die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Führungskräfte genauer beobachten sollten, genauer: die sie nicht ignorieren können. Bei allem Nutzen, den Home Office mit sich bringt – verpflichtendes Home Office verwandelt das Zuhause in eine einzige Gefahrenzone für die mentale Gesundheit. Nicht nur, dass plötzlich die Struktur des Tages eine völlig andere ist, weil man das Haus morgens nicht mehr verlassen und abends nicht mehr wiederkommen muss. Man wacht vielmehr in seinem Büro auf und geht in seinem Büro schlafen – die auch in »normalen« Zeiten schwierig festzumachende Trennlinie zwischen Arbeit und Freizeit ist in Zeiten der Pandemie für Home-Office-Mitarbeiter inexistent. Ganz zu schweigen von der Mehrfachbelastung, die durch etwaige Homeschooling- und Kinderbetreuungs-Tätigkeiten während der Arbeitszeit entsteht, den Ängsten, denen man durch ständige Ansteckungsgefahr ausgesetzt ist, der technisch unzureichenden Heim-Ausstattung oder dem Mangel an sozialer Interaktion … kurz, es gibt eine Vielzahl von Stressfaktoren, die betriebliche Gesundheit in eine neue Dimension rücken.

Belastungssyndrome nehmen zu.
Ein Schicksal wie das eingangs geschilderte von Sabine T. ist also wahrscheinlicher denn je. Die Zahl der Menschen mit mentalen und körperlichen Belastungssyndromen steigt laut Experten besorgniserregend an. Ein Drama, das sich natürlich auch auf die Wirtschaftsleistung heimischer Unternehmen auswirkt. Denn natürlich sind physisch und psychisch gesunde Mitarbeiter die motivierteren Mitarbeiter – und dementsprechend produktiver. Wenn die halbe Belegschaft ständig in Krankenstand ist, wirkt sich dies nicht nur auf die Produktivität negativ aus, sondern – Stichwort Entgeltfortzahlungen – auch auf die Bilanz.

Trend zur betrieblichen Gesundheitsförderung.
Kein Wunder also, dass Unternehmen ein vitales Interesse daran haben, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglichst gesund sind. Dementsprechend investieren kluge Unternehmerinnen und Unternehmer in die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen. Größere Unternehmen beschäftigen eigene Experten für betriebliche Gesundheitsförderung, kleinere sind meist auf sich allein gestellt. Wer BGF – so das Kürzel – ernst nimmt, hat viel zu tun und muss natürlich bereit sein, in die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu investieren. Ein Investment, das sich jedenfalls bezahlt macht: Das Netzwerk BGF, eine Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit den Netzwerkpartnern gemeinsam Angebote zu entwickeln und interessierten Unternehmen konkrete Unterstützung anzubieten, hat dazu auch Zahlen: »Ökonomische Betrachtungsweisen sprechen von einem Return on Investment von 1:3 bis zu 1:26. Jeder investierte Euro kommt somit mehrfach zurück.«

Zahlreiche Förderprogramme.
Das hat sich mittlerweile herumgesprochen. In Österreich beschäftigt man sich in diesem Rahmen schon geraume Zeit auf verschiedenen Ebenen mit BGF. Ausgangspunkt für die organisierte Zusammenarbeit der verschiedensten Institutionen ist die sogenannte »Luxemburger Deklaration zur betrieblichen Gesundheitsförderung« aus dem Jahr 1997. BGF zielt grundsätzlich darauf ab, Krankheiten und Unfällen am Arbeitsplatz vorzubeugen. Das schließt arbeitsbedingte Erkrankungen ebenso mit ein wie Berufskrankheiten oder Stress. Verschiedene Programme und Förderungen stützen die betriebliche Gesundheitsförderung. Dazu zählen etwa »baufit« – ein Programm speziell für Krankheits- bzw. Unfallvermeidung am Bau –, aber auch Schutzimpfungen, Sicherheits- und Gesundheitsmanagement oder Sicherheitsschulungen, die ebenso gefördert werden, wie Programme zur Stressbewältigung, der Unfallverhütung, der Arbeitsmedizin oder zur Verbesserung der Ergonomie am Arbeitsplatz.

Wandel der Arbeitswelt.
Die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema »betriebliche Gesundheitsförderung« bzw. »Mitarbeitergesundheit« bedingt freilich eine ebenso ernsthafte Auseinandersetzung mit den gerade vonstattengehenden Veränderungen der Arbeitswelt. »Arbeit 4.0« ist das Schlagwort, das vor allem auf die Verbreitung digitaler Technologien und ihrer Auswirkungen auf die Art, wie wir in Zukunft arbeiten werden, Bezug nimmt. Die Digitalisierung hat auf vielen Ebenen Auswirkungen auf unsere künftigen Arbeitsweisen und damit auch auf die Gesundheit, wie der Fonds Gesundes Österreich in einem entsprechenden Praxisbuch zusammengefasst hat: »Digitalisierung wirkt vielfach als Verstärker und Beschleuniger bestehender Trends und Dynamiken. Auf individueller Ebene hat die Digitalisierung insbesondere Auswirkungen auf die körperliche und psychische Gesundheit (z. B. Technostress), aber auch auf das Führungsverhalten und Teamprozesse«, so die Autoren. Die Herausforderungen einer digitalisierten Arbeitswelt sind dabei ebenso vielfältig wie deren Chancen. Die Flexibilisierung der Arbeit hinsichtlich Raum und Zeit (Stichwort Home Office) bringt höhere Eigenverantwortung mit sich und auch »zunehmende Grenzverschiebungen von Arbeits- und Privatleben. Arbeit außerhalb der regulären Arbeitszeit erschwert häufig, sich von Arbeit zu distanzieren, und damit die erforderliche Regeneration.« Damit nicht genug wird für eine ausgeglichene Psyche in Hinkunft auch die Möglichkeit, aktiv an Unternehmensentscheidungen mitzuwirken, immer wichtiger werden. Und auch die Relevanz der Tätigkeit wird an Bedeutung gewinnen, also ob sie einen persönlichen oder gesellschaftlichen Bedeutungsgehalt aufweist, man sich damit identifiziert und Arbeit Sinn stiftet, d. h. subjektiv als sinnvoll und relevant erachtet wird. All diese zentralen Merkmale der Arbeit 4.0 werden sich spürbar auf die körperliche und geistige Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auswirken.

Führungsverhalten entscheidend.
In der Gegenwart ist jedoch nicht nur bei den Führungskräften Problembewusstsein gefragt, sondern auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Im vergangenen Jahr etwa war nach Informationen der AK mehr als die Hälfte (56 %) der ArbeitnehmerInnen trotz Krankheit arbeiten – so viele wie noch nie. Noch 2018 war dieser Wert mit 38 % der niedrigste seit 2010 (45 %) gewesen. Der Arbeitsklimaindex der AK weist Arbeitnehmern im Home Office mit Kindern und Arbeitslosen einen besonders hohen Medikamentenkonsum aus; 75 % der Beschäftigten nahmen 2020 Schmerzmittel, 14 % Schlaf- und Beruhigungsmittel, sechs Prozent greifen laut AK sogar zu leistungssteigernden Substanzen. Das Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen spielt freilich eine entscheidende Rolle im Gesundheitsbild der Arbeitnehmer. Ebenfalls eine Studie der AK fand heraus, dass, wenn es z. B. Streit mit den Arbeitskollegen gibt, 43 Prozent über Verdauungsbeschwerden klagen; kommt man mit den Kolleginnen und Kollegen gut zurecht, sinkt diese Zahl auf 24 Prozent. Keine Überraschung ist, dass die Vorgesetzten großen Einfluss auf die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, wie die AK Oberösterreich belegen konnte: »Von denen, die unzufrieden mit der Führung durch die Chefin oder den Chef waren, waren 73 Prozent in den vergangenen sechs Monaten zumindest einmal krank. Beschäftigte mit guten Chefs waren im selben Zeitraum nur zu 61 Prozent zumindest einmal erkrankt. Wer nicht genug Unterstützung erhält, ist dreimal so viele Tage krank im Büro wie jene Beschäftigten, die vom Vorgesetzten guten Rückhalt bekommen. Und auch die Zeitdauer des Krankenstandes verkürzt sich bei guter Führung: Beschäftigte mit wenig Unterstützung von ihrer Chefin oder ihrem Chef sind durchschnittlich fast neun Tage im Krankenstand. Wer sich gut aufgehoben fühlt, ist nur 7,6 Tage zu Hause. Doch auch wenn sie arbeiten, wirkt sich der Vorgesetzte deutlich aus: 36 Prozent jener Beschäftigten, die mit ihren Vorgesetzten Probleme haben, leiden unter hohem Blutdruck. Bei Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen hingegen, die mit ihren Chefinnen bzw. Chefs gut auskommen, sind es nur 16 Prozent.

Fazit: Mitarbeitergesundheit ist nicht bloß eine Bringschuld der Unternehmen und Vorgesetzten, sondern fordert aktive Mitwirkung und Problembewusstsein der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ständiges Selbst-Monitoring, das Wahrnehmen der Angebote der Arbeitgeber und aktives Einfordern gesundheitsfördernder Maßnahmen sind essenziell im Bemühen um eine gesunde, lebenswerte Arbeitswelt. Wer auf sich selbst achtet, kann sich und seinen Lieben oft viel unnötiges Leid ersparen. Übrigens: Sabine T., unser eingangs geschildertes Burnout-Opfer, hat es letztlich mit professioneller Hilfe geschafft, ihr Burnout zu überwinden …

Fazitthema Fazit 178 (Dezember 2021), Foto: Adobe-Stock

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