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Modigliani versus Hubmann

| 10. November 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 177, Kunst und Kultur

Foto: Staatsgalerie Stuttgart

Die Wiener Albertina verwöhnt uns gleich mit zwei hervorragenden Ausstellungen, die vom Stoff unterschiedlicher nicht sein könnten, aber durch ihre orts- und zeitnahe Präsentation eine Gesamtbetrachtung verdienen. Amedeo Modiglianis Porträtmalerei aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts steht Franz Hubmanns fotografischen Künstlerportraits aus der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gegenüber. Wir sind sehr verliebt.

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Amedeo Modiglianis Lebenswege nachzuzeichnen ist das eigentliche Narrativ der Megaschau. Ein Lebenskünstler wie aus dem Bilderbuch, der dem Anspruch gemäß mit 35 Jahren den Löffel abgab. Frauen, Alkohol, Drogen und natürlich Armut und Krankheit, gepaart mit diversen Schicksalsschlägen und anderer Pein, was für eine fesche Bilderbuchkünstlerbiografie für die Nachwelt. Als Draufgabe Typhus, Tuberkulose und der Selbstmord der schwangeren Freundin. Netflix könnte diese Ausgeburt an Bohemienismus nicht besser formulieren. Wie gut, dass es eine perfekt funktionierende Albertina gibt, die auch diese Entwicklung aufbereitet und mit den Arbeiten kontextualisiert.

Superstar der Kunstgeschichte
Naturgemäß zählt der in Livorno geborene und in Paris tätige Superstar mittlerweile zu den teuersten Künstlern der Kunstgeschichte und naturgemäß freut sich Klaus Albrecht Schröder über diesen Coup, den er vom Modiglianispezialisten Marc Restellini, dem Verfasser und Herausgeber des Werkverzeichnisses, kuratieren ließ. Rund 130 Gemälde und Skulpturen zeichnen einen künstlerischen Werdegang nebst biografischen Aperçus nach. Gelungen ist die didaktische Einführung mit Querverweisen zu Zeitgenossen wie Picasso, der mit seinem Kubismus in den Jahrzehnten danach das Rennen machte, während der früh Verstorbene erst zu späten aber umso gewaltigeren Ehren kam. Vor allem Modiglianis frühe Beschäftigung mit dem Begriff des »Primitivismus«, der heute in Zeiten der marktschreierischen politischen Korrektheit oft bewusst verfälschend eingesetzt wird, ist in den zeitlichen Rahmen der Nullerjahre des 20. Jahrhunderts eingeordnet. Hier trifft etwa ein Frauenkopf aus Stein aus dem kambodschanischen Angkor und eine hölzerne Maske, der Fang aus dem heutigen Gabun, auf zwei von Modigliani aus Sandstein geschlagene Köpfe mit überschlanken Schädeln und Mandelaugen. Merkmale, die uns in den wenige Zeit später entstandenen Porträts wieder begegnen werden und ihn bis zum Lebensende, das sich 2020 zum 100. Mal jährte, beeinflussen. Dass der Picassobezug in der Albertina nur geringfügig dargestellt wird – und marketingtechnisch für Albertinaverhältnisse erstaunlich hintangestellt wird – tut der Schau gut. Und die Besucherzahlen in den ersten Tagen sind gefühlt wohl ansehnlich. Man traut sich wieder ins Museum.

Schwarzweißes
Wem die Massen im ersten Stock der Albertina zu viel werden, möge sich anschließend eine Etage höher verfügen. Dem großen österreichischen Fotografen und vor allem alltagsgeschichtlichen Chronisten Franz Hubmann ist dort eine Werkschau gewidmet. Auch hier finden wir Portraits, auch hier prägnant präsentiert, wenngleich der aus der Alltags- und Gesellschaftsreportage kommende als Brotberuf im Bildjournalismus verortet war. Die Schau in der Albertina fokussiert auf die Arbeiten, die Hubmann als akribischen Präsentator seiner Künstlerkollegenschaft zwischen den Neunzehnfünzigerjahren bis zur Jahrtausendwende zeigen. Der ehemalige Galerist Helmut Klewan überließ der Albertina eine umfangreiche Sammlung. Eine Würdigung des 2007 verstorbenen Fotografen kommt gerade recht in einer Zeit der wildgewordenen Instagramgesellschaft. Ein Lars Eidinger etwa lässt seine Instagram-Fangemeinde zwei-, dreimal am Tag wissen, dass es ihn gibt. Bei Hubmann findet sich naturgemäß Schwarzweißes von Maria Lassnig bis Andy Warhol vom jungen bartlosen Hermann Nitsch bis Albrecht Paris Gütersloh in strenger braver Hängung. Parallelen zu den Betrachtungen Modiglianis, dessen Œuvre durchaus auch ebenso als Zeitchronik gelesen werden kann, tun sich auf. Wobei Hubmann die Spontanität im Blick der Kamera weit wichtiger war als die große Inszenierung.

Kultur trotzt der Pandemie
Spontan zu behaupten wäre auch, dass die Pandemie für den Kulturaficionado – wie es scheint – überstanden ist. Klaus Albrecht Schröder dazu: »Um Kultur wieder für breite Schichten zugänglich zu machen, braucht es praktikable Sicherheitskonzepte. Und leider auch noch 2021 eine substanzielle Unterstützung, um die dramatischen Verluste, die wir während des Lockdowns und durch Reiserestriktionen erlitten haben, auszugleichen. Das gilt vom Off-Theater bis zum Bundesmuseum. Kultur ist ein Wirtschaftszweig mit mehr Arbeitsplätzen als die Automobilindustrie. Das wird leider oft vergessen.« Seine Worte in jedermanns Ohr.

Modigliani. Revolution des Primitivismus
Noch bis 9. Jänner 2022 in der Wiener Albertina.
Täglich von 10 bis 18 Uhr.
albertina.at

Leider haben wir erst in letzter Minute realisiert, dass die Hubmann-Ausstellung schon am 17. Okober beendet wurde. Wir bedauern diesen Fehler. Als Ersatz bietet sich eine Ausstellung über amerikanische Fotografie von den Neunzehndreissigerjahren bis 2000 an.

Alles Kultur, Fazit 177 (November 2021), Foto: Staatsgalerie Stuttgart

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