Was aus dem Land wird, weiß der Landwirt
Redaktion | 10. November 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 177, Fazitthema
Der Klimawandel ist real, die Globalisierungskritik ebenfalls – und zwischen all den Hypes um biologisch, regional oder vegan müssen jene Unternehmungen überleben, die unsere Kühlschränke füllen. Vorhang auf für vier besonders findige Lebensmittelproduzenten aus der Oststeiermark, die mit ungewöhnlichen Konzepten auf große Fragen der (Ernährungs-)Zeit reagieren.
::: Hier im Printlayout online lesen
Der Frost hat im Frühjahr wieder zugeschlagen. Statt 50 können wohl nur 30 Prozent der steirischen Äpfel heuer exportiert werden, sagte der Obmann der Obst Partner Steiermark, Bernhard Ramminger, Anfang September auf steiermark.orf.at. Auch wenn mit rund 115.000 Tonnen Äpfel gerechnet wird – nicht zuletzt die Apfelbauern merken: E ist eine Transformation im Gange, die eine Überschrift namens Klimawandel kennt und nicht zuletzt dazu führte, dass ein junger Student aus Fladnitz im Raabtal in diesem Jahr schon einige Anfragen erreichten – von Obstproduzenten, die sich fragen, ob das mit der steirischen Olive ein Zukunftsszenario sein könnte.
Die steirische Toskana liegt doch im Raabtal
Richtig gelesen: steirische Olive, nicht nur mehr als Werbebotschaft, sondern richtig »Toskana« im Süden von Graz. Oder genauer gesagt: Südosten in diesem Fall. Die Geschichte geht so: Im April pflanzte der Raabtaler Lukas Weber gemeinsam mit seiner Freundin und seinen Eltern 250 Olivenbäume auf einem Grundstück, das unweit seines Elternhauses liegt. »Wir haben vom Großonkel eine Landwirtschaft geerbt«, erzählt Weber, als wir ihn im Raabtal besuchen. Da seine Eltern im Bankwesen tätig sind, wurden die Ackerflächen zu Wildacker. »Wir sind Jäger, ein paar Gründe haben wir verpachtet«, erklärt er weiter. »Auch das Feld war lange verpachtet«, sagt er bald und zeigt auf eine große Fläche unterhalb seines Wohnhauses. »Aber jetzt, ja, jetzt ist es mein Olivenhain«, erklärt er und grinst stolz. »Ein paar Bäume tragen bereits Oliven«, sagt er. »Aber allgemein wird die Ernte nicht besonders groß ausfallen heuer.« Aufgrund der Bodenbeschaffenheit dürften die einen Exemplare mehr Ertrag bieten als die anderen. Die gesetzten Bäume kamen von einer italienischen Baumschule zu ihm ins Raabtal, sind aber eine spanische Sorte und gelten als besonders kälteresistent. Das Know-how rund um die zur Gattung der Ölbäume zählende Nutzpflanze holte er sich in Eigenrecherche übers Internet und in Fachliteratur, bald will er auch bio-zertifiziert sein. Ganz am Anfang seines Hains finden sich zwei ältere Olivenbäume, die er bereits vor drei Jahren zur Probe gesetzt hat. Fürs richtige Überwintern setzt er auf weiße Kalkfarbe am Stamm und Stroh auf dem Boden.
Noch fünf Jahre bis zum Öl
»Ich habe es hier auf dem Feld auch schon einmal mit Kürbis probiert und wollte eigenes Kürbiskernöl produzieren, aber der Ertrag war nicht so, wie ich mir das vorgestellt hab. Auf die Olive bin ich gekommen, weil ich ein großer Fan der Olive bin«, erklärt er. Den ersten Olivenhain Österreichs beherbergt Lukas Weber allerdings nicht. 2017 startete in Mörbisch am Neusiedlersee ein Projekt namens »Oliva«, von dem Lukas auch seine »Probebäume« erwarb. Unlängst begann auch das Weingut Skoff damit, Olivenbäume zu setzen. So wie die Kollegen aus Ostösterreich seine Vorbilder waren, wurde er in den vergangenen Wochen zum potenziellen Vorbild in der Region. »Wir haben eigentlich nicht das richtige Klima für die Oliven, aber wir können den Pflanzen helfen, dass sie es bei uns aushalten«, sagt der Student der Umweltsystemwissenschaften. Olivenbäume tragen in unseren Gefilden Ende November oder Anfang Dezember. Heuer wird er die Früchte einlegen. Olivenöl wird er noch keines pressen. »Ich schätze, in fünf Jahren werde ich genug Oliven haben, um auch Öl produzieren zu können.« Ob irgendwann einmal tonnenweise Oliven in der Steiermark geerntet werden wie heuer und auch in den kommenden Jahren noch Äpfel, weiß Lukas Weber ebenso wenig wie wir. Dass bis dahin noch viel sprichwörtliches Wasser die Mur und diverse andere Flüsse der Steiermark hinunterlaufen wird, steht allerdings ebenso außer Frage wie die Tatsache, dass der Otter unseren heimischen Fischbestand auf dem Gewissen hat. Und schon sind wir bei einem anderen steirischen Transformator angekommen: dem Michi, von Michi’s frischen Fischen.
Tropenhaus zu Mortantsch
Mortantsch, unweit von Weiz. Etwas mehr als 2.200 Einwohner leben in der Gemeinde, die auf 550 Meter Seehöhe liegt. Und zur See sind auch wir unterwegs. Quasi. Denn hinter einem kleinen Zufahrtsweg befindet sich nur auf den ersten Blick eine Tischlerei. Das Holz ist nur in Form von selbst gebauten Anlagen mit Holzverkleidungen geblieben. Zwischen dem Holzboden steht die Luft hier, in dieser großen Halle. Es riecht ein bisschen nach Tropenhaus im Zoo und natürlich – nach Fisch. Denn ja, wir sind eben zur See gefahren. Quasi. Tore auf für Michis Zuchtbecken. »Ich war schon immer passionierter Fischer«, erzählt der Michi, der Michael Wesonig heißt und gerade den Doraden Futter zuwirft. »Doch durch den Fischotter gibt es ja kaum heimische Fische mehr, also habe ich begonnen, Fische zu züchten.« Noch immer hat er im Mürzer Oberland, wo er einst begann, Bio-Gebirgssaiblinge. Aber hier in Mortantsch, unweit seines Lebensmittelpunkts, hat er auch alte Hallen zu Indoor-Urban-Fish-Farming umgebaut. Alles in Eigenregie, ist er doch eigentlich Diplomingenieur mit Spezialgebiet Holztechnik. »Meeresfische« – ja, mit Anführungszeichen – nennt er das, was in den Becken um uns herum gezüchtet wird. Steirischer Branzino (Wolfsbarsch) zum Beispiel, aber auch Doraden, Lachs und Garnelen. Möglich machen das eine dauerhafte Wasserzirkulation und stetes Filtern – und ein Mix aus Mineralien, in dem sich die Meeresbewohner auch in der Oststeiermark wohlfühlen. 550 Meter über dem Meeresspiegel, um das noch einmal zu betonen. Gibt es so etwas oft weltweit? »Nein, eigentlich noch nicht, weil es viel einfacher ist, Netzgehege ins Meer zu hängen, da muss man sich um nichts mehr kümmern. Wenn wir uns einen Tag nicht kümmern, ist es vorbei.« Damit es seinen Fischen und Garnelen gut geht, schaut Michi tatsächlich jeden Tag nach dem Rechten. »Schaut’s, wie sie im Kreis schwimmen«, sagt er, und zeigt auf die Doraden, die erst zu Weihnachten verkauft werden können. »Daran sieht man, dass sie sich wohlfühlen.« Während seine Familie gerade auf Urlaub ist, hält er die Stellung, Urlaub hatte er schon lange keinen mehr.
Der »Meeresfisch« der Zukunft
Man merkt Michi seine Leidenschaft für seine Profession bei jedem Arbeitsschritt an. Wie geht‘s ihm dann damit, die Fische rauszufischen und zu verkaufen? »Für mich ist es das Schlimmste, ich kümmere mich jeden Tag um sie und dann sind sie weg«, sagt er durchaus wehmütig. Er selbst ist eigentlich Vegetarier, schon seit Jahren, aber selten esse er noch seine eigenen Fische. Immer kann er im Übrigen nicht liefern. Das sei so ein Ziel für die Zukunft, dass er das ganze Jahr hindurch Produkte anbieten könne. Apropos Zukunft. Er ist sich sicher, dass irgendwann so wie bei ihm in Mortantsch, überall »Meeresfische« gezüchtet werden. »Es wird noch viele gute Entwicklungen geben und wir werden zu 100 Prozent unabhängig vom Meer werden. Und das ist nicht zuletzt für das Klima gut.«
Ja, das Klima. In Zeiten der Klimakrise stellen nicht nur Michael Wesonig, sondern auch die Konsumenten naturgemäß die Frage nach der Herkunft. Gerade bei Lebensmitteln. Während das Label »biologisch« in vielen Bereichen des bürgerlichen Lebens immer selbstverständlicher wird, ist Regionalität ein Trend, der eigentlich nie einer war, weil es immer schon angesagt war, Obst und Gemüse aus der Umgebung zu beziehen. Aber globalisierte Gesellschaften lernen auch neue Produkte kennen, die sich heimlich, aber stetig über Ethnoküchen eine Nebenrolle in unseren Speiseplänen sicherten und in vielen österreichischen Haushalten mittlerweile zu Hauptdarstellern mutierten. Wenn diese Produkte dann nicht nur schmackhaft, sondern auch noch so gesund sind wie Ingwer und Kurkuma, was wäre da nur allzu praktisch? Richtig, Ingwer und Kurkuma regional zu beziehen. Und das geht auch. Dank Irene Gombotz.
Die Obfrau der »Jungen Wilden«, der Junglandwirt:innenvereinigung aus der Steiermark, machte sich schon vor Jahren mit steirischen Mini-Wassermelonen einen Namen. 2017 übernahm sie den elterlichen Betrieb, der einst für Tomaten und Ackerbau bekannt war, und stellte auf Beeren um. Himbeeren, Heidelbeeren, Kiwibeeren und Ribiseln produziert Gombotz heute. Weiterhin in Straden, im Südosten des Vulkanlands, und in so großem Stil, dass sie damit sogar die Lebensmittelkette Spar österreichweit beliefern kann. Und diesen Herbst versorgt sie – zumindest steirische – Supermärkte zum zweiten Mal mit Kurkuma und Ingwer. Wie bei den Beeren ebenfalls in Bio-Qualität. »Wir haben es im Herbst 2019 erstmals probiert«, erzählt sie. »Aus dem einfachen Grund, dass das beliebte Produkte sind, die es im Geschäft aber nur aus dem Ausland zu kaufen gab.« Im Burgenland und in Deutschland wurden vergleichbare Projekte besucht. Es sind winterfeste Sorten, die sie hier in Gewächshäusern anbaut und für uns bei unserem Besuch im September frisch aus der Erde holt. »Die Wurzeln brauchen eine hohe Luftfeuchtigkeit und Wärme.«
»Ich will eh schauen, wie die Wurzeln heuer gedeihen«, sagt sie. Und zeigt den überraschten Städtern dabei gleich, wie so eine Ingwerpflanze eigentlich aussieht, im Supermarkt findet sich ja nur die Wurzel selbst. In etwa wie zu groß gewachsener Frühlingszwiebel könnte man sagen. »Die Ingwerpflanze selbst kann in der Küche auch eingesetzt werden«, erklärt sie, ehe sie uns ein Stück Ingwer in die Hand gibt, der aus Peru kommt. »Der regionale Ingwer hat den großen Vorteil, dass er außen nicht getrocknet ist. Man muss die Schale nicht entfernen.« Wenige Gewächshäuser weiter landen wir bei großen grünen Blättern, die an Bananenstauden erinnern. Und einen ruckartigen Stich in die Erde später riechen wir an steirischem Kurkuma. »Wir ernten ab Mitte Oktober, aber nicht alles auf einmal. Einen Tag nach der Ernte sind die Wurzeln im Geschäft.« Bis zum zweiten Advent soll die Ernte heuer abgeschlossen sein.
Auf die Sprossen gekommen
Ob nun Olive, Zucht(meeres)fisch oder Kurkuma und Ingwer – die neuen Konzepte der vorgestellten kreativen Landwirte sind ja eigentlich gar nicht neu, sondern nur gut adaptiert und angepasst in neuen Regionen. Aber schon immer waren auch jene Wirtschaftstreibende erfolgreich, die gut im Benchmarken und Importieren waren. Bestes Beispiel: Vater und Sohnemann Rauer aus Bad Blumau. Ursprünglich kommt der Senior Fritz aus dem Gemüsebau, der Junior Sebastian auch, hat aber zusätzlich einen erfolgreichen Zwischenstopp auf der Universität für Bodenkultur in Wien eingelegt. Das war nicht nur lehrreich, sondern brachte ihn auch auf neue Ideen. »Mein Vater hat vor über 35 Jahren angefangen, jetzt waren wir auf der Suche nach einer Innovation, mit der wir uns abheben können«, erklärt Junior Sebastian. Das Produkt, das die beiden gesucht hatten, fanden sie in Frankreich: Sprossen. Nein, nicht Sojasprossen, wie wir sie aus den Chinarestaurantbuffets unseres Vertrauens kennen, vor allem Sprossen dieser Sorten: Alfalfa, Weizengras, Sonnenblumen, Leinsamen, Hirse, Buchweizen, Roggen und Dinkel. Die Gründe liegen auf der Hand, wie Sebastian Rauer erklärt: »Sprossen sind sehr gesund, schmecken außergewöhnlich gut und sind einfach produzierbar.« Zunächst als Frischeprodukte angedacht, erkennen Vater und Sohn bald, dass die Verarbeitung besonders charmant ist, und machen ernst. Riegel, Shots und Joghurt gibt’s zu kaufen, alle Sprossen sind biologisch produziert und alle Produkte werden von Hand abgefüllt. Aus dem alten Schweinestall wird die erste Produktionsanlage, weil es so gut läuft – unter anderem treten die beiden erfolgreich bei der Start-up-Show »2 Minuten, 2 Millionen» auf –, besitzen sie im heimischen Bad Blumau mittlerweile eine große Produktionsanlage, haben ein Folienhaus errichtet und eine Verarbeitungshalle gebaut. Die Sprossenprodukte der Rauers gibt’s mittlerweile nicht nur im eigenen feschen Onlineshop, sondern auch bei Billa und Billa+. Kann man probieren, sollte man probieren. So wie auch die anderen vorgestellten Produkte der letzten Zeilen. Und wer schon im Supermarkt ist: Auch steirische Äpfel werden sich dort noch wie gewohnt finden. Noch? Noch lange. So viel ist gesichert, auch in Zeiten des Klimawandels.
Fazitthema Fazit 177 (Novmber 2021), Fotos: Arno Friebes und Christian Schellnegger
Kommentare
Antworten