Tandl macht Schluss (Fazit 179)
Johannes Tandl | 29. Dezember 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 179, Schlusspunkt
Acht Millionen bleiben ratlos zurück. Waren Sie schon einmal auf einer Corona-Demo? Als Kunde der Grazer Verkehrsbetriebe entkommt man ihnen nicht mehr, den zahlreichen Verschwörungstheoretikern, Schwurblern, Esoterikern und – Gott behüte uns! – bösen Rechtsradikalen, die bei den Impfverweigerern angeblich längst das Kommando übernommen haben. Wenn also die Bim nicht fährt und auch der Schienenersatzbus nicht durchkommt, weil er von allen Seiten von Menschenmassen eingekeilt ist, steigt man halt aus und stellt sich der Gefahr.
So angekommen mitten in der Höhle des Löwen stoße ich jedoch auf keine pöbelnden Neonazis, sondern ich treffe auf seltsam gut gelaunte Menschen. Irgendwo weiter vorne im Demonstrationszug werden Sprüche skandiert. Ich kann »Wir sind das Volk!« und »Friede, Freiheit, keine Diktatur« heraushören. Ja selbstverständlich sind wir alle das Volk. Obwohl es mich juckt und ich der älteren Dame, die neben mir demonstriert, gerne klar machen würde, dass wir, wenn wir in einer Diktatur leben würden, jetzt nicht, ohne von der Polizei verprügelt zu werden, über den Joanneumring spazieren würden, halte ich mich zurück. Die Dame ist vielleicht gar keine Schwurblerin, sie kann ja wie ich ein bloßes Opfer der Demonstrationsfreiheit sein und sich ebenfalls zu Fuß auf den Weg gemacht haben, weil die Graz-Linien blockiert sind – diesmal halt nicht wegen einer Kommunistendemonstration, sondern wegen der Impfverweigerer. Schließlich leben wir trotz der scheußlichen Pandemie in Frieden und Freiheit und in keiner Diktatur. Ich versuche weiter nach vorne zu gelangen, und komme recht einfach durch. Die vielen Frauen – manche mit Kinderwägen – und viele Kinder im Volksschulalter unterhalten sich prächtig miteinander. Die meisten von ihnen haben keine Masken auf. Schließlich handelt es sich bei den Leuten ja um Impfverweigerer. Und die werden bekanntlich von Mal zu Mal radikaler.
Mitte November wurde bei einer ähnlichen Veranstaltung, zu der ein frustrierter Pizzabäcker aufgerufen hatte, tatsächlich das Haus des Gleisdorfer Bürgermeisters belagert. Und angeblich wurde »Holt ihn raus!« skandiert. Doch statt sich weiter zu radikalisieren, verliefen die weiteren »Corona-Spaziergänge« absolut friedlich und den auf Facebook mit den Impfbefürwortern vernetzten Impfgegnern war die Szene vor dem Haus von Bürgermeister Christoph Stark eher peinlich.
Doch zurück in die Grazer Innenstadt. Ich fasse mir ein Herz und ich rede einen lustig verkleideten Demonstranten an. Ich oute mich sogar als Journalist und will wissen, warum er hier ist und mich am Straßenbahnfahren hindert. Statt mir zu drohen, erklärt mir der Verkleidete, dass er Möbeltischler sei und es ihm um die Verhinderung der Impfdiktatur gehe. Die soll, sagt er, mit der »Plandemie« eingeführt werden. Er ist davon überzeugt, dass das »World Economic Forum« (WEF) gemeinsam mit der Gates-Stiftung den sogenannten »Event 201« in die Tat umgesetzt hat. Das war eine WHO-Krisenübung im Jahr 2019. Dort sei nicht wie offiziell verlautbart, die Reaktion auf eine globale Epidemie geübt worden, sondern man habe die Pandemie geplant, um den großen Reset herbeizuführen.
Der Verkleidete bleibt dabei freundlich und lässt sich von mir sogar fotografieren. Mir rät er, mich nicht länger an den Mainstreammedien zu orientieren und ich dürfe auch den korrupten Politikern nichts mehr zu glauben. Auf die Frage, ob er wirklich glaubt, dass 95 Prozent aller namhaften Wissenschaftler falsch liegen würden, wenn sie die Impfung als Weg aus der Pandemie empfehlen, sagt er, dass die sowieso alle gekauft seien. Natürlich lässt er sich auch von meinen Ausführungen nicht überzeugen. Die seien alle gekauft, sagt er ein weiteres Mal, und auch ich würde wahrscheinlich dazugehören. Sein Weltbild ist vollständig. Mit Argumenten gibt es bei ihm absolut kein Weiterkommen. Inzwischen denken zehn bis 15 Prozent der Menschen bei uns so oder ähnlich. Bisher haben sie stillgehalten, weil es kaum Konflikte zwischen ihrer und der aufgeklärten Welt gab. Über eine Million Menschen, die weder von den Medien und erst recht nicht von der Politik erreicht werden können, lassen die anderen acht Millionen völlig ratlos zurück.
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Tandl macht Schluss! Fazit 179 (Jänner 2022)
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