Musik aus dem Trichter
Volker Schögler | 16. März 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 180, Fazitbegegnung
Auf dem Plakat an der Wand schaut ein kleiner Hund aufmerksam in den Trichter eines Grammophons. Das Motiv von »His Master‘s Voice« ist sehr bekannt. Martin Schuhmann kennt sogar den Hund: »Das ist Nipper«, sagt er beiläufig und lenkt meinen Blick auf eine lebensgroße Skulptur des weißen Terriers mit den schwarzen Ohren inmitten seines Privatmuseums für Schellack-Schallplatten.
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Der 28-jährige Student der Klassischen Philologie weiß aber noch viel mehr. Daran erkennt man auch den echten Jäger und Sammler – abgesehen von der Detailverliebtheit, die phantastische Reisen in die Musikwelt der Zwanziger-, Dreissiger- und Vierzigerjahre garantiert. Aus dieser Zeit, namentlich jener zwischen 1925 und 1945 rekrutiert sich seine Sammlung von mehr als 5.000 Schellacks, jenen Vorläufern der Vinyl-Schallplatte, die leicht zu Bruch gehen, wenn sie zu Boden fallen. Von Schuhmann erfährt man auch, dass für die Herstellung der ersten Schellacks neben den Ausscheidungen der Schildlaus sowie Ruß auch Kuhhaare verwendet wurden. Erfunden hat sie jedenfalls Emil Berliner, als Weiterentwicklung beziehungsweise Nachfolge des Phonographen. Das war ein Tonträger in Walzenform, den Thomas Edison so nebenbei erfunden hat. Also neben der Glühbirne, für die er bekannt ist, die ihm nach neueren Erkenntnissen allerdings nicht mehr zugesprochen wird, aber das ist eine andere Geschichte.
Zu den Klängen von Tommy Dorsey, Count Basie, Gene Krupa, Benny Carter und Benny Goodman erzählt Martin Schuhmann von seinem Traum, seine Schellacks als Radiomoderator präsentieren zu dürfen. Tatsächlich verfügt er über ein weitreichendes Equipment, nimmt die Schellacks über einen Plattenspieler mit 78 Umdrehungen auf Kassette auf und digitalisiert die Musik auf CDs – die übrigens lange nicht so gut halten würden wie die guten alten Musikkassetten. Die er wiederum gern im Autoradio abspielt: »Ich mag diese nostalgischen Stimmen und Arrangements. Jedes Orchester damals hat einen eigenen Stil entwickelt, wie Larry Clinton, Duke Ellington, Fletcher Henderson oder Count Basie. Heute klingt alles irgendwie gleich.« Schon mit zwölf Jahren begann er auf Flohmärkten Schellacks zu sammeln. Als er mit der Schule in London war, wurde er genauso fündig, wie beim Familienurlaub in Paris oder später auch in den USA. Heute greift er auch bei Sammlungsauflösungen gern zu. Vollends vereinnahmt haben ihn seinerzeit die Sendungen von Gerhard Werner »Musik aus alten Rillen« auf Radio Nostalgie Raaba (94,2 Mhz) von 2003 bis 2005 und natürlich von Günther »Howdy« Schifter auf Ö3 mit seinem sonoren O-Ton: »Schellacks und Schellacks und Schellacks«. »Es gibt keinen wärmeren Klang als den Ton von Schellacks«, sagt der Liebhaber Schuhmann, der im Übrigen zehn Jahre Klarinette am Johann-Josef-Fux-Konservatorium in Graz gelernt hat. Und auch sonst musikalisch nicht ganz unvorbelastet ist, war doch Vater Rudolf Schuhmann neben seinem Job als Jurist auch Gitarrist bei der »El Gurko«-Band und hinterließ seinerseits eine Sammlung von 6.000 LPs. Aus Vinyl natürlich.
Mit Preisen zwischen fünf und 20 Euro sind Schellacks durchaus leistbar: »Es gibt aber auch welche, die bis zu 500 Euro wert sind.« Plakate wie jenes mit Bunny Berigan, Martin Schuhmanns Lieblingstrompeter, zieren die Wände des rund 20 Quadratmeter großen Museumszimmers in der Wohnung. Eine rund 400 Nummern umfassende Sammlung der Kinobroschüre »Illustrierter Filmkurier« aus den Dreissigerjahren und etwa 30 Grammophone, vom winzigen Reisemodell über Koffergeräte bis zum englischen Salongrammophon, sorgen für Atmosphäre zwischen den Schellackstapeln.
Zum authentischen Rauschen und Knistern (»das gehört dazu«) einer hundert Jahre alten Schellackplatte von »The Virginians« aus dem Jahr 1922 erzählt Schuhmann die Geschichte des Bildes mit Nipper zu Ende. Francis Barraud, der Maler des Ölbildes und Herrchen von Nipper, übermalte das ursprüngliche Motiv, einen Walzenphonographen, mit einem moderneren Grammophon zum Abspielen von Schellackplatten. Diese Übermalung ist heute noch gut auf dem Gemälde zu erkennen. Das Beste zum Schluss: Genau so ein »Improved Gramophone« mit Schwenktrichter wie auf dem Bild »His Master‘s Voice«, das längst zu einem internationalen Logo geworden ist, steht in Martin Schuhmanns Schellack-Privatmuseum, Graz, Straßgang.
Martin Schuhmann wurde 1994 in Graz geboren, besuchte das Oberstufenrealgymnasium Dreierschützengasse und studiert Klassische Philologie. Er spielt mehrere Instrumente, ist Liebhaber alter Filme und Sammler von den mittlerweile selten gewordenen Schellackplatten. Mehr als 5.000 Schellacks, alte Grammophone und Zubehör veranlassten ihn, in seiner Wohnung ein Privatmuseum für Schellacks einzurichten.
Fazitbegegnung, Fazit 180 (März 2022) – Foto: Heimo Binder
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