Tufting in der Sixerie
Volker Schögler | 6. April 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 181, Fazitbegegnung
Ja, der kryptische Titel soll neugierig machen. Und nein, niemand kann ihn ganz verstehen. »Was ist eine Sixerie?«, frage ich Doktor Google und er gibt 2270 Antworten, wovon sich 2269 auf Monte Sixeri auf Sardinien beziehen und falsch sind. Noch falscher ist die eine Antwort, die auf ein Traktat von Antonio de Guevara aus dem 16. Jahrhundert über die Verachtung des Hoflebens verweist. Künstlicher Intelligenz ihre Grenzen aufzuzeigen, ist für Liebhaber des Analogen immer ein Vergnügen.
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Höchst analog geht es auch bei Kristina Six zu, die ihr Atelier »sixerie« im Grazer Bezirk Jakomini schlicht nach ihrem Namen benannt hat. Das winzige Geschäftslokal im Parterre eines Altbaus in der Steyrergasse sorgt schon von außen mit lackierten Holzprofilen und -füllungen an Tür und Auslage für Atmosphäre. Und gewährt im vintagegeprägten Inneren direkten Einblick in jenen Kunst/Handwerk/Designbereich, der in der Auslage mit einem delikaten, scheinbar schwebenden Neonschriftzug näher beschrieben ist: Tufting steht hier in roter Schreibschrift. Stopfen, stechen, Büschel – so lauten die Übersetzungen, eingedeutscht auch »tuften«. Gemeint ist damit eine Technik zur Herstellung dreidimensionaler textiler Flächen. »Malen mit Faden und Nadel«, sagt Kristina Six zu ihrer Tätigkeit, »dabei entstehen Gemälde und Landschaften in unterschiedlichen Florhöhen.« Tufting ist grundsätzlich das weltweit am häufigsten eingesetzte Verfahren zur Herstellung von Teppichböden, natürlich auf maschineller Basis.
Six hingegen ist Handarbeiterin, ihren ersten Teppich hat sie überhaupt nur mit einer sogenannten Punch Needle, einer einfachen Stanznadel, Stich um Stich gefertigt. Heute steht sie vor dem, auf einen Rahmen aufgespannten Trägermaterial in Leinwandbindung, einem sogenannten Mönchsstoff, wie ein Maler vor seiner Leinwand und hält statt eines Pinsels eine Art Pistole in den Händen – eine Schlingenflormaschine, auch Tufting Gun genannt. Über Führungsösen ist der »Pistole« der Wollfaden zugeleitet, der sich von speziellen, konisch geformten Kegelformen abwickelt. Die sich nach oben verjüngende Form der Kegel ist wichtig, weil die Wolle beim Einschalten der Pistole sehr rasant abgewickelt wird. Die Pistole wird dabei auf die »Leinwand« gepresst und ist der Abzug einmal gedrückt, schießt eine Nadel, ähnlich wie bei einer Nähmaschine, den Wollfaden in die Leinwand, auf der die Pistole frei und relativ schnell bewegt wird. Die Fäden werden schließlich mit Kleber oder Latex fixiert. So kreiert Kristina Six völlig freihändig ihre Ideen, Motive und Formen auf dem Mönchsstoff. Auch die Florhöhe, die Länge der Fäden, kann bis zu einem gewissen Grad variabel eingestellt werden. »Außerdem muss spiegelverkehrt gearbeitet werden«, erklärt die Spezialistin. Denn das ist Six wirklich, nachdem sie die Kunstuni in Linz absolviert und im Textilzentrum Haslach an der Mühl ihre Tuftingkompetenz perfektioniert hat: »Dort wird mit teuren Luftdruckpistolen gearbeitet, mit denen man Teppiche mit wesentlich längeren Fäden herstellen kann. Das geht mit meinem elektrischen Modell nicht.«
Hauptberuflich ist Kristina Six seit sechs Jahren Lehrerin für Bildnerische Erziehung und Werken, aktuell an der Modellschule in Graz. Ursprünglich ist sie gelernte Physiotherapeutin, aber nach einem Berufsjahr in der Gebietskrankenkasse konnte sich ihre kreative Ader durchsetzen. Das Textilatelier hat sie erst vor ein paar Monaten angemietet, einige Teppiche sind bereits entstanden und hängen an den Wänden – dort gehören sie auch hin, denn zum Draufsteigen sind sie zu schade. Im Vordergrund steht für sie zunächst Leidenschaft und Entfaltung. Harmonie in der Farbgebung und Komposition sind ihr wichtig, die amerikanische Künstlerin Trish Anderson ein Vorbild. Six: »Es ist eine meditative Arbeit, es entstehen Zeitdokumente, die bleiben und wenn sich design- und kunstaffine Menschen finden, die Handarbeit schätzen, ein besonderes Stück, einen Farbtupfer suchen, freue ich mich und sehe es auch als Verkaufslokal«. So hat sich die Dreiunddreißigjährige einen expliziten Wohlfühlort geschaffen, den sie zeitgemäß auf Instagram dokumentiert. Dazu gehört auch ein Schrank voller Vintagemode, die sie aufpeppt, um- oder neugestaltet und Musik von deutschem Hip-Hop und Rap über Indie bis zu den Klängen der Neunzehnachtzigerjahre. Ein roter Teppich für das Lebensgefühl.
Kristina Six wurde am 10. September 1988 in Wolfsberg geboren, aufgewachsen in der Gaal bei Knittelfeld mit zwei Geschwistern. Der Vater ist Pilot beim Bundesheer in Zeltweg, die Mutter Sprachlehrerin in Judenburg. Sie wurde von der Physiotherapeutin zur Kunsterzieherin und »Neuen Selbständigen« mit dem Textilatelier »sixerie« in der Steyrergasse 49, dem einzigen Tuftingbetrieb in Graz. sixerie.com
Fazitbegegnung, Fazit 181 (April 2022) – Foto: Heimo Binder
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